Von Stralsund nach Berlin.

Es war Freitag, als ich entdeckte, daß ich Stralsund, in dem ich keinen Menschen kannte, lange genug besehen hatte, und da ich die herrliche Insel Rügen für eine Episode in meiner Odyssee bis zu meiner Rückkunft aufzusparen gedachte, beschloß ich, einen Sonnabend und Sonntag in Greifswald zuzubringen, woselbst ich doch eine Universität fand und wahrscheinlich erwerbenswerte Bekanntschaften machen konnte. Ich warf mich in einen offenen Extrapostwagen und rollte behaglich, aber auch sehr langsam dem Lehrsitze zu. Sand und Staub fehlten nicht; die Wege fangen hier schon an norddeutsch, d. h. schlecht zu werden, obwohl sie im ganzen nicht schlechter sind als unsere schonenschen. Das Land sieht überhaupt geradeso aus wie Schonen, nämlich flach, einförmig, hier und da mit einigen Buchen geschmückt, volkreich und im allgemeinen fruchtbar. Diese verwandtschaftliche Aehnlichkeit prägt sich auch in den Physiognomien der Bewohner aus. Einsame Weiler oder Gehöfte sieht man hier nicht, in Norddeutschland fährt man beständig durch Städte und Dörfer. Die letzteren gleichen wieder den schonenschen, bald wohlgebaut und reinlich, welches wahrscheinlich das Verdienst des Gutsherrn ist, bald so, daß sie kaum menschlichen Wohnungen gleichen, und dann sehen auch die sie bewohnenden Menschen danach aus.

Greifswald ist eine kleine, hübsche Stadt, deren umgebende Natur etwas Unschuldiges und Einladendes hat. Gleichwohl muß ich gestehen, daß das letzte bodenlos sandige Stück Wegs meine Geduld fast erschöpfte. Trotzdem erreichte ich die Stadt ziemlich früh am Abend und fand, daß sie wirklich das enthielt, was sie von außen versprach. Die Einwohner sind freundlich, gastfrei und sehr schwedisch gesinnt. Diese Sinnesstimmung, welche in dem ganzen ehemals schwedischen Pommern herrscht, beweist wohl zur Genüge, wie milde auch südlich von der Ostsee das schwedische Szepter war. Gleichwohl gab es eine Zeit, da die Herren Pommern dies nicht einsehen wollten und man sie oft wünschen hörte, die Franzosen möchten je eher desto lieber ihre politische Lage verändern. Sie sind jetzt hinreichend hierfür gestraft worden. Ich habe noch nicht viel von Preußen und Deutschland gesehen, aber doch genug, um Gott zu danken, daß wir noch Schweden sind. Wer weiß, ob dies nicht am Ende das Hauptresultat von allem ist, was ich auf meiner Reise lernen werde?


Nicht weit vor Greifswald sieht man am Wege eine kleine Kirche, bei deren Mauer der vergängliche Teil Thorilds ausruht nach einem Leben voll Essig und Galle. Ich besuchte aber sein Grab doch nicht, weil ich erst nach meiner Ankunft in der Stadt erfuhr, welch ehrwürdiger Staub für uns Schweden auf jenem Kirchhofe verborgen ist.

Die Universität ist wohlgebaut und anständig dotiert, sie wurde schon im Jahre 1456 gegründet, ist also älter als die von Uppsala. Die Anzahl der Studenten schien mir nicht groß; verschiedene derselben trugen die sogenannte altdeutsche Tracht, die ich hier zum ersten Male sah. Sie wird von der deutschen Jugend, besonders auf den Universitäten, sehr geliebt, von der Regierung jedoch mit Unwillen angesehen und für eine Art Ordenszeichen des übertriebenen Deutschtums gehalten. Man hat lange in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften über den Wert oder Unwert einer eigenen Volkstracht gestritten und auch über ihre Einführung gerade in dieser Gestalt. Sie sieht wirklich, wenn man so will, etwas gespenstisch aus, denn sie ist, bis auf wenige unbedeutende Veränderungen, unmittelbar von den charakteristischen Porträts des 15. und 16. Jahrhunderts in das ewig Gleichmäßige übertragen worden, das unserem jetzigen Gesellschaftsleben als Uniform dient. Es ist auch möglich, daß der bloße Gedanke an eine Nationaltracht nicht zu der universalisierenden Richtung unserer Zeit paßt, die darauf hinauszulaufen scheint, das ganze Europa in Sitten und Begriffen zu einer einzigen Nation zu verschmelzen, daß mithin das Streben der jungen Altdeutschen vereitelt werden wird. Doch so viel ist sicher, daß diese Nationaltracht in pittoresker Hinsicht weit schöner ist als die unsrige und das Auge durch den Anblick von etwas Individuellem erquickt, besonders da sie mehr als die gewöhnliche geeignet ist, die Gemütsrichtung dessen, der sie trägt, zu kennzeichnen; überdies setzt sie, um richtig zu gefallen, noch größere Sorgfalt und Zierlichkeit voraus als das gewöhnliche Kleid und kleidet eigentlich nur solche jungen Männer, die in Blick, Wuchs, Stellung und Gang eine Verwandtschaft mit jener ritterlichen Zeit verraten, an welche ihr Kleid erinnert. Findet man bei einem schönen Jünglinge – wie mir dies oft widerfuhr – nicht bloß den für den Wuchs so vorteilhaft ausgeschnittenen und mit unsichtbaren Haken zusammengehaltenen schwarzen Leibrock, die Halbstiefel, den nackten Hals, den herabfallenden zierlichen Spitzenkragen, die um die Schultern wallenden langen Locken und auf dem Kopfe das trotzige Samtbarett, sondern auch eine Denkart sowie Neigungen und Handlungen, die unverkennbar einen Stammesgenossen des Franz von Sickingen und des Wolfram von Eschenbach verraten, dann wahrlich überläßt man sich mit voller Freude dem Eindruck dieses verkörperten romantischen Traumbildes und vergißt auf einen Augenblick die geräuschvolle alltägliche Verschwommenheit, die jetzt herrscht und auf nichts weniger als ein völliges Durcheinanderrühren aller geistigen Bestandteile des Menschenlebens zu einem ungesalzenen und ungenießbaren Brei hinausgeht.

Die Bibliothek ist nicht groß, aber hübsch aufgestellt, bequem und geräumig. Von allem, was man mir in derselben zeigte, habe ich nur die Erinnerung an den von der Highland Society herausgegebenen großen und prachtvollen Ossian in gälischer Ursprache mit wörtlicher lateinischer Uebersetzung und an einen hohen, altertümlich gearbeiteten Goldkelch behalten, den, laut Inschrift, die akademische Jugend Wittenbergs dem D. Martin Luther und der Katharina von Bora an ihrem Hochzeitstage schenkte. Was den Ossian betrifft, so wirst Du wahrscheinlich nach seinem neuesten Ausleger, dem Professor Ahlwardt, fragen. Ich suchte ihn, jedoch vergebens, denn er war aufs Land gereist. Merkwürdig bleibt es, daß man selbst in Deutschland seine Uebersetzung weniger würdigt, als sie es verdient; bis jetzt ist sie doch die einzige, welche es versucht hat, den schottischen Barden in der ursprünglichen Form seiner Poesie darzustellen, und dies Bemühen, welches ihm oftmals glückte (wie ausgezeichnet ist nicht der Schwanengesang Berrathon in der Ahlwardtschen Behandlung!), müßte doch die ihm vorgeworfene Undeutschheit hinlänglich sühnen, eine Beschuldigung, die mir, von deutschen Rezensenten gemacht, geradezu lächerlich vorkommt. Denn diese sind gewohnt und verlangen, daß bei Uebersetzungen aus derartigen Urschriften die außerordentliche Bildsamkeit der deutschen Sprache bis auf die äußerste Spitze getrieben werde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte