Mit einem anderen Manne hatte ich mehr Glück im Finden,

Mit einem anderen Manne hatte ich mehr Glück im Finden, nämlich mit dem berühmten Skalden Rügens, dem alten Kosegarten, der seit einigen Jahren seine idyllische Insel verlassen und sich in Greifswald als Oberkonsistorialrat und Lehrer der Theologie niedergelassen hat. Ich fand eine etwas gealterte, aber riesenhafte und priesterlich-feierliche Gestalt; das lange, dunkle Haar war in der Mitte der Stirn gescheitelt und umrahmte ein wohlgebildetes, tiefdenkendes, melancholisches und fast farbloses Gesicht. In seinem Wesen verrät sich eine gewisse studierte mystische Würde, die ihn aber nicht schlecht kleidet. Das Porträt, welches vor seinen Poesien steht, ähnelt ihm wirklich sehr, obgleich er jetzt älter und theologischer aussieht. Lohnt es schon die Mühe, ihn zu sehen, so lohnt es sich noch viel mehr, ihn zu hören; seine Stimme und Aussprache ist ganz eigentümlich in ihrer Art. Stelle Dir eine Stimme vor, die sehr tief, hohl und geisterhaft klingt und die, wenn er in Affekt gerät – was sehr leicht und oft geschieht –, eine erstaunliche Aehnlichkeit mit dem Klageton der Wogen hat, die ein aufsteigender Sturm gegen steile Uferfelsen wälzt. Einmal, als er von einer Frau sprach, deren Erinnerung ihn in das höchste Maß des Entzückens versetzte, erschrak ich ordentlich, und als ich dabei in das bleiche, düstere, seltsame Antlitz blickte, ward mir gerade, als ob der nebelhafte Seegott der Ostsee vor mir stünde. Späterhin teilte mir jemand mit, daß die pommerschen Landpfarrer sich nicht bloß sämtlich in diese wunderbare Tonart verliebt hätten, sondern sich auch darin versuchten, sie nachzuahmen. Denke Dir nun, welch schrecklicher Wogenschwall und Klageton alle Sonntage die christlichen Gemeinden in den pommerschen Kirchen erbaut! Ein Witzbold, dessen Bekanntschaft ich eines Abends nach jenem Besuche machte und dem ich mein Erstaunen über jene wie Sturmwind sausende Stimme Kosegartens mitteilte, äußerte sich, daß ich es ganz in der Ordnung finden müsse, da ich, um das Elysium des deutschen Dichterkreises zu schauen, auf Reisen gegangen wäre, nun auch an der Pforte desselben zuerst den Zerberus anzutreffen. Kosegarten war übrigens in seiner Weise sehr freundlich und gesprächig, drückte mir mehrmals herzlich die Hand, sagte, daß er verschiedene meiner Gedichte kenne, und wünschte, daß ich die heilsame Revolution, die in der schwedischen Literatur nun endlich begonnen, glücklich durchfechten möge. Um so weniger war er mit dem gegenwärtigen Stande der deutschen Literatur zufrieden und erklärte, daß er in Zukunft mit allem, was er noch irgendwie schreiben könne, anonym aufzutreten entschlossen wäre. Er warf seinen Landsleuten großen Leichtsinn in Geschmack und Urteil vor und behauptete, daß sie alle ihre echten Klassiker geradezu vergessen hätten, sogar die wenigen noch lebenden. Goethe selbst nicht ausgenommen; daß man jetzt bloß von Fouqué, dem Abgotte des Tages, sprechen höre usw. Trotzdem äußerte er sich mit Achtung über Fouqués poetische Begabung und rühmte besonders seine Undine; doch seine neueren Schriften nannte er kurzweg bloße aus den Aermeln geschüttelte Nachäffungen älterer und frischerer Erzeugnisse in gehärteter Manier. Schließlich tröstete er sich damit, daß diese Mode in der Poesie doch nur das Schicksal der vorangegangenen Moden baldigst teilen würde. »Ich habe schon mehrere solcher Influenzen durchlebt!« sagte er. »Und auch mitgemacht!« dachte ich, mir auf die Zunge beißend, der dieser unhöfliche Zusatz beinahe entschlüpft wäre. Ja, es ist wahr, von dem Augenblicke an, da Kosegarten seine Schriftstellerlaufbahn begonnen, hat in der deutschen Poesie und Aesthetik nicht eine einzige Art Influenz oder Manier geherrscht, an der er sich nicht mit vollstem Ernste beteiligt hätte. Er hat Klopstocksche Oden, Stolbergsche Hymnen, Bürgersche Balladen, Leisewitzsche Tragödien, Vossische Idyllen, Schlegelsche Legenden, Romane von französischer, englischer und zuletzt religiös-erbaulicher Richtung verfaßt, nur die Fouquésche Ritterlichkeit bleibt ihm noch zu versuchen übrig, und wer weiß, ob er nicht trotz aller seiner Proteste binnen kurzem eine isländische Novelle oder eine Romanze im Rhythmus und Stil des Nibelungenliedes drucken läßt? – Die Rezensenten haben übrigens den armen Greis seit langer Zeit wegen seiner Proteus-Natur angefochten, die trotz aller seiner glänzenden disjecti membra poetae weniger eine reiche und vielstimmige Phantasie als einen Mangel innerer Selbständigkeit, eine nachklingende, aber an eigener Nahrung leere und deshalb unaufhörlich veränderliche Individualität verrät, deren Zusammenhang mit ihm selbst fast nur aus dieser Wandelbarkeit von Form und Farbe besteht und von einer gewissen leeren, zerrissenen und schmachtenden Sehnsucht durchhaucht sowie mit dem Prunke einer selten verhüllten, oftmals gewaltsam hervorbrechenden Eitelkeit gepaart ist. In der jüngst verflossenen Zeit hat er auch das Unglück gehabt, sich in Napoleon zu verlieben – eine Ursache zu Unwillen und Verdammnis mehr für deutsche Leser und Forscher. Indessen, Kosegarten hat unstreitig viele schöne Sachen geschrieben, und als ein Ganzes sind besonders seine Legenden (zum größten Teile) vortrefflich. Nach den Scriptores Rerum Suecicarum fragte er mit lebhafter Neugier; mit der Idee, eine Bibliothek der deutschen Klassiker herauszugeben, war er zufrieden und fragte, wie weit man damit fortgeschritten wäre. Ich blieb einen ganzen Nachmittag bei ihm, und obgleich aus seiner Unterhaltung oft genug persönliche und durch die Urteile sowie Ansprüche der gegenwärtigen Generation verletzte Eitelkeit hervorlugte, verriet sie doch im großen und ganzen einen Mann von Geist und ausgezeichneter Belesenheit. Schließlich, als ich gehen wollte, erteilte er mir den Abschiedsgruß in einer wirklich hierophantischen Weise, indem er nämlich seine beiden Hände auf meinen Kopf legte und mit der ganzen Majestät des Ozeans die folgenden Worte deklamierte: »Nun, Gott segne Sie, und der Stern begleite Sie, der Ihre Jugend so schön erleuchtet!« Obwohl mir diese Segnung etwas seltsam vorkam, war doch der Eindruck seiner Persönlichkeit, die ich vielleicht niemals wiedersehen werde, in jenem Augenblicke mächtig und imponierend. – Eine andere, zwar weniger auffallende, aber recht angenehme Bekanntschaft machte ich an dem Professor Schildener, einem ebenso geistreichen wie gelehrten Juristen mit klarem und scharfem Blick, männlichem Urteil, Witz und kecker geistiger Spannkraft. Er ist lange in Stockholm und Schweden gewesen, denn er war einer der Rechtsgelehrten, welche unter Gustav IV. Adolf das schwedische Gesetz für die Pommern ins Deutsche übersetzen sollten. Gegenwärtig war er mit der Herausgabe des Gothlandsrechtes beschäftigt und zeigte mir die ersten Druckbogen desselben; aber eine Nervenaffektion, welche ihm besonders auf die Augen gefallen ist, hat ihn gezwungen, seine Arbeit abzubrechen. Meine knappe Zeit erlaubte mir nur einige Male, seinen Umgang zu genießen; aber ich erinnere mich gern an diese flüchtigen Stunden, welche wir auf und ab spazierend im lebhaften Gespräch in seinem schönen Baumgarten zubrachten. Greifswald hat ebenso wie Lund verschiedene kleine, hübsche Baumgärten. Auch öffentliche Spazierwege fehlen nicht; einer von diesen wird von den alten Stadtwällen gebildet und sieht heiter und vortrefflich aus. Hier sah ich am Sonntagnachmittag ein dichtes Gewimmel gewöhnlicher Leute und auch einen Haufen Honoratiores beiderlei Geschlechts der Stadt; im allgemeinen hatten die Leute angenehme, mitunter sogar schöne Gesichter.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte