Am Sonntag, dem 6. Juli 1817, erkletterte ich abends das hohe Wagenschiff der ordinären Post

Am Sonntag, dem 6. Juli 1817, erkletterte ich abends das hohe Wagenschiff der ordinären Post – denn Wagen sollte dies ungeschlachte Fuhrwerk eigentlich nicht heißen – und begann meine Abreise von Greifswald. Willst Du Dir einen klaren Begriff vom Postfahren machen, dann betrachte das folgende kleine Bild: Man wird in einen ungeheuren, mehrsitzigen Wagenrumpf gepackt, der bedeckt, aber sonst in jeder Hinsicht unbequem ist, zusammen mit einer Menge Personen von allen möglichen Sinnesstimmungen, Ständen, Vermögen, Jahren und beiderlei Geschlechts, Menschen, die man hier zum ersten Male in seinem Leben sieht und zum größeren Teile sicherlich niemals wieder zu sehen bekommt. In dieser Weise wird man ganz piano von vier phlegmatischen Pferden fortgezogen, von denen das eine die Ehre hat, auf seinem Rücken einen livree-geschmückten Lümmel zu tragen, der den Titel Schwager führt und unaufhörlich mit einer himmelstürmenden Fuhrmannspeitsche in der Luft umherknallt, ohne daß deshalb die Reise auch nur im geringsten schneller ginge. Die Wege sind freilich nicht zum Schnellfahren eingerichtet, am wenigsten in der Mark Brandenburg und je näher nach Berlin zu. Die Pferde waten Schritt für Schritt durch schwellenden Sand, während die Munterkeit der Fahrenden, ehe sie sich dessen versehen, durch einen tüchtigen Rippenstoß aufgefrischt wird, indem der Wagen über einen mitten auf der Landstraße liegenden Steinhaufen oder über einen tüchtigen grundfesten Feldstein fährt, den aus dem Wege zu räumen sich niemand die Mühe gibt. Wenn man in dieser Weise längere Zeit durch den Sand gewatschelt ist, erreicht man eine Stadt, und dann beginnt das größte Leiden; der Postillon will da nämlich teils Zeit einbringen, teils sich vor Mädchen und Bekannten als glänzender Hippodromist zeigen; deshalb jagt er unbarmherzig toll durch die langen schlecht gepflasterten Straßen, so daß den armen Passagieren auf ihren Holzbänken zu Mute wird, als ob ihnen Leber und Lunge aus dem Leibe springen möchten, und nicht selten Männer, Weiber und Kinder bunt durcheinander von ihren Sitzen herunterwirbeln und auf den Wagenboden fallen; darum kümmert sich Bruder Schwager aber nicht, denn er macht Reiterkünste auf seinem Pferde, woselbst er keine Stöße bekommt, knallt lustig mit der Peitsche und bläst auf seinem Posthorn einen Marsch nach dem andern. Die sogenannten Chausseen sind nicht viel bequemer als die Stadtstraßen, nur ein wenig besser gepflastert Besitzt man einen starken und gegen alles mögliche Ungemach abgehärteten Körper, dann kann man wirklich mit solch einer Postfahrgelegenheit, soweit die äußeren Reiseerfordernisse in Betracht kommen, um alles unbekümmert bleiben, denn man hat für nichts Sorge zu tragen und läßt sich mechanisch Nacht und Tag weiterschleppen. Die Bezahlung, welche man bei jeder Station schon von dem Posthause an, woselbst man sich zuerst als Exportartikel einschreiben ließ, im voraus für seine Person und auch für den Koffer oder Mantelsack erlegt (im Falle diese ein gewisses Gewicht übersteigen), und die Trinkgelder, die man nach Erreichung der Station dem sogenannten Schwager schenkt, sind in deutscher Münze höchst unbedeutend, ja selbst im Verhältnis zu unserer schlechten schwedischen sehr mäßig; trotzdem läßt sich nicht in Abrede stellen, daß unsere Vorspann-Einrichtung dem Reisenden für einen noch geringeren Preis, besonders wenn er selber einen Wagen hat, alle die Vorteile gewährt, welche die hier zu Lande ungemein teure Extrapost bietet, die auch bewirkt, daß man im Gasthaus den Geldbeutel viel weiter öffnen muß, ohne deswegen gerade im entsprechenden Maße die Genüsse des vornehmeren Auftretens zu erhalten. Indessen, ich habe gegen niemanden etwas, der Geld sparen und dafür viel ausstehen will; ich entsage hinfort dieser Haushaltungsweise, und nur auf die Leichtigkeit, mit der man in einem gewöhnlichen Postwagen auf Abenteuer stößt, zu verzichten, wird mir schwer fallen. Diese Stelle meines Briefes ist vielleicht die geeignetste, um mich gleich über eine ebenso prosaische wie mißliche Schwierigkeit für neuangekommene Fremdlinge zu beklagen, besonders wenn sie sich so wenig mit Münzen und Rechnungen befaßt haben wie ich: das eigensinnige Unwesen und die Mannigfaltigkeit des Geldwesens, welche in Deutschland herrscht. Nicht bloß, daß das Münzwesen im allgemeinen in den verschiedenen Staaten auf abweichenden Grundsätzen und Voraussetzungen beruht, nicht nur, daß die inneren Wechselverhältnisse der besonderen Münzsorten die Aufmerksamkeit erschweren – z. B. die süddeutschen Gulden und Kreuzer gegenüber den Talern und Groschen Norddeutschlands –, es nimmt auch jede Münzsorte für sich selber unaufhörlich, unter Beibehaltung desselben Namens, einen veränderten Wert an, ja sie kommt sogar in ein und demselben Reiche unter ungleichen Prägungen und Inschriften vor, obwohl diese ein und dieselbe Bedeutung haben sollen. Die preußische Münzrechnung würde übrigens nicht so verworren sein, wenn sie nur von dem durch die französischen Operationen eingewurzelten Wirrwarr loskommen könnte, nämlich von der unter Napoleons Gewaltherrschaft aufgekommenen Unterscheidung zwischen guten Groschen und Groschen Münze, einer schmutzfarbigen unechten Münze, die man noch nicht außer Umlauf zu bringen vermochte. Diese Unterscheidung ist so wichtig, daß, da 24 gute Groschen einen Taler ausmachen, zu dem sonst 42 Groschen Münze gehören, der Reisende anfangs leicht dazu kommen kann, seine Bequemlichkeiten doppelt zu bezahlen, wenn nicht die Wirtsleute und Verkäufer im allgemeinen den Wert der Münze, womit man bezahlen will, ehrlich angäben; aber in jedem Fall hängt es doch von ihrem guten Willen ab, von der Unbekanntschaft eines Ausländers mit ihren Dreiern, Sechspfennigen und Gott weiß was sonst noch für Unterabteilungen dieses Plunders Vorteil zu ziehen oder nicht zu ziehen. So ist auch das gemünzte Silber des ehemals schwedischen Pommerns, welches noch jetzt die wirkliche schwedische Reichsmünze ist, die sich freilich für uns Schweden selber zum Ideal verwandelt hat, in so hohem Grade besser als die des übrigen Preußens, daß ich z. B. in Pommern für den Louisdor (oder Friedrichsdor, wie er hier genannt wird) nur 4 Taler und 20 Groschen erhielt, während er in Berlin (gegenwärtig) 5 Taler und 12 Groschen gilt. In Sachsen wiederum weniger; und so schwankt selbst das feste königliche Gold im Werte von einem Reiche zum anderen, bis in die geringsten Fürstentümer hinein, in welche sich bekanntlich das große Deutschland zersplittern mußte. Die Ursache ist teils das humoristische Regiment des Kurses, teils das »tel est notre bon plaisir« der münzenden Fürsten; ihre Ansichten über die ungleichen -dors liegen beständig in bellum omnium contra omnes. Die Kosten einer Reise in Deutschland sind deshalb in jeder Hinsicht unmöglich im voraus bestimmt zu berechnen. Es verhält sich mit den Geldwerten Deutschlands, wohin man kommt, wie mit der neulich vorgenommenen Ausmessung der pommerschen Landstraßen, welche dahin ausfiel, daß die Wegstrecke, welche früher vier (schwedische) Meilen lang war, nun fünf Meilen lang wird usw. Im übrigen freuen sich Auge und Finger darüber, daß man niemals im Handel und Wandel nötig hat, sich mit zerfetzten, schmutzigen Papierlappen wie bei uns zu quälen: man trägt eitel Gold und Silber bei sich in feinen grünen Netzen und erquickt sich magisch bei jedem Anblick des edlen Metallschimmers.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte