Was meinst Du zu dem Studentenaufzug auf der Wartburg?

Was meinst Du zu dem Studentenaufzug auf der Wartburg? Alles, mit Ausnahme der fürstlich-aristokratischen Partei, ist mit ihm vortrefflich zufrieden. Der Großherzog von Weimar besitzt viel Popularität, weil er seinem Lande eine Repräsentativ-Verfassung geschenkt hat, eine uneingeschränkte Pressfreiheit beschützt usw. Wegen der Zusammenkunft der Studenten auf der Wartburg erhielt er von vielen Höfen Remonstrationen, die er jedoch sehr gleichgültig beantwortete; ja, man sagt, daß er selber heimlich den Studenten das Holz geschenkt habe, welches diese zu dem Scheiterhaufen brauchten, auf dem sie das preussische Schnürleib, den hessischen Zopf, die russische Knute, den nassauischen Korporalstock, die Schriften eines Schmalz, Kotzebue usw. verbrannten. Ich habe hier einen Bekannten, der selbst bei dem Schauspiel zugegen war; es soll wirklich groß und erregend gewesen sein, da neben der höchsten Entzückung die größte Ordnung und Einigkeit herrschte. Ungefähr 800 – 900 Studenten sowie mehrere hervorragende Männer wie Oken u. a. waren zugegen. – Von den übrigen Potentaten wird der Großherzog von Weimar ungefähr wie eine verdächtige Person angesehen, und der Teil des deutschen Adels, der die Partei des Schlafsystems nimmt, schilt ihn laut für einen Jakobiner, da sein Alter nicht länger zuläßt, ihn einen jungen und fanatischen Studentenburschen zu nennen. – Bei der genannten Zusammenkunft sind die Deputierten der deutschen Universitäten auch unter sich übereingekommen, alle Landsmannschaften abzuschaffen, eine Einrichtung, die in Schweden vielleicht nützlich ist, hier aber unendlichen Schaden tut und jährlich mehrere Hundert Duelle herbeiführt. Man hat den Schwur getan, in einander nur Deutsche zu sehen und durch diesen fixierenden Gesichtspunkt die Zeit vorzubereiten, da Deutschland realiter zum Auftreten als Nation, und zwar als eine, kommen wird (wenn auch nicht eins in der Form, so doch unerschütterlich eins im Geiste). – Der deutsche Bundestag scheint nicht mehr Vertrauen zu erwecken als der Wiener Kongreß; tüchtige Leute mögen wohl zu einem Teile mit in den Bundestagsaffären sein, aber sie scheinen noch nicht das Uebergewicht bekommen zu haben. – Noch habe ich so gut wie nichts vom eigentlichen deutschen Universitätsleben aus eigener Erfahrung kennengelernt, denn meine Verhältnisse haben mich bisher auf den ästhetischen Teil der sogenannten vornehmeren Gesellschaftskreise beschränkt. Es versteht sich, daß Professoren, Studenten usw. hierin mitbegriffen sind, wie ja im allgemeinen unter diesem Teile des deutschen Adels alles Sehen auf sogenannten Rang verschwunden scheint. Man hat Fouqué und seine Freunde beschuldigt, die Rangeitelkeit wieder erweckt zu haben, aber sie betrachten doch nur ihren Adel als eine poetische Idee, als eine ritterliche Tradition aus chevaleresker Zeit und führen sich im übrigen in bürgerlichen Verhältnissen ebenso bürgerlich auf wie z. B. Du, dem es wohl in unseren gegenseitigen Relationen niemals eingefallen ist, daß Du Edelmann bist und ich nicht.

Vor einigen Monaten hat zwischen Okens und Fries' Anhängern in den studierenden Burschenschaften eine ordentliche Säbelschlacht bei Jena auf einer großen Ebene stattgefunden. Ein Däne, welcher an der Schlacht teilnahm und zu Okens Partei gehörte, hat Hjort davon erzählt. Jetzt müssen sich die Parteien doch einigermaßen versöhnt haben, da Fries auch auf der Wartburg war und sogar eine Rede gehalten hat. Im nächsten Sommer gedenke ich einige Zeit in Jena zu verweilen, um das Burschenleben richtig kennenzulernen.


Die deutschen Regierungen sowie überhaupt die europäischen Kabinette tun alles, um die Dinge pian piano wieder dahin zu bringen, wo sie 1785 waren, doch haben sie die Stimme des Volkes wider sich, und das Gute wird zuletzt doch siegen. Erschrecklich viel Abderiten sowohl in Literatur wie Politik gibt es hier, freilich auch an anderen Orten. Vielleicht hat Schweden, was die Zukunft betrifft (wenn uns nur Rußland nicht verschluckt!!!), von allen europäischen Staaten die wenigste Ursache, sich zu beklagen. Noch ist bei uns die Wurzel frisch, wenn auch der Stamm etwas wurmstichig ist.– –

Am 23. November 1817 abends, nachdem ich verschiedene minder schmerzhafte Abschiede genommen – zu denen ich natürlich nicht den von der interessanten Frau v. Unruh und ihrer liebenswürdigen Tochter rechne, welcher mir sehr schwer wurde, und ich glaube, auch ihnen –, hatte ich zum Schluß ein kleines Abschiedsfest bei Baron von der Malsburg aufgespart, der verschiedene meiner Dresdener Freunde und Freundinnen eingeladen hatte. Unter anderen war Graf von Loeben (Isidorus) da mit seiner Frau, einer körperlich und geistig prosaischen, aber verständigen und gutmütigen Dame, Helmina von Chézy usw. An der letztgenannten bemerkten wir, daß sie sich noch nie in einem so propren und eleganten, ja prunkenden Kostüm hatte sehen lassen (obwohl sie sich im allgemeinen auf Loebens und Malsburgs Rat mehr und mehr um die Beschaffenheit ihrer äußeren Erscheinung bemüht); vermutlich wünschte sie in ihrem Innern, daß Hjort und ich bloß dies Bild von ihr im Gedächtnis behalten sollten. Nachdem die Gesellschaft recht herzlich und poetisch den Abend zugebracht hatte und der Augenblick des Abschieds herannahte, las Malsburg einige an mich gerichtete Verse vor, die mich durch ihre einfache Herzlichkeit recht sehr rührten, und Loeben spielte auf dem Pianoforte die bekannte deutsche Weise: »Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus! Adel – Ade! Ade! Ach, Scheiden und Meiden tut weh!« – Du kennst sie doch? Und so schieden wir – in einer Weise, über die ich nichts weiter sagen kann, als daß »das Scheiden und Meiden« tat sehr weh! Alle diese Menschen haben mich mit einer Freundschaft behandelt, mit einer Liebe, die ich weder in dieser noch in jener Welt vergessen werde. Gegen Loebens Poesie läßt sich freilich teilweise viel sagen; aber als Mensch betrachtet ist er unleugbar eine der unschuldigsten, frommsten und reinsten Seelen, die in unserer verderbten Zeit auf Erden atmet. Wegen dieser Eigenschaften kann man gern ein wenig Krankhaftigkeit und bisweilen unmännliche Weichheit verzeihen. Und auf Malsburg halte ich, als ob er mein Bruder wäre. – Unter denen, welche Malsburg einlud, die aber verhindert waren zu kommen, vermißte ich mit einigem Verdruß Fräulein von Winkel, nicht so sehr um ihretwillen, als wegen eines jungen Mädchens, das ihr Eleve ist. Ich hatte zwar am Vormittage einen Abschiedsbesuch gemacht, der genügen konnte für das, was ich dem Fräulein zu sagen hatte, der aber nicht ganz hinreichend war hinsichtlich ihrer Schülerin. Ich mußte von dieser äußerst kalt und lakonisch Abschied nehmen, da ich in einem tête-à-tête mit Fräulein Winkel, d. h. wenn kein dritter Gesprächspartner vorhanden ist, um mir beizuspringen, mich immer sehr verstimmt fühle – und da kamen noch obenein ein paar verhaßte Franzosen, deren Anblick mich gleich aus der Tür jagte. Diese Therese von Winkel agiert nämlich als Dresdens Corinna und ist es wirklich in dem Grade, als man Corinna sein kann ohne Jugend, Schönheit und Genie. Denn alles, was man Talent und Virtuosität nennt, besitzt sie in allerhöchster Vollkommenheit; und wenn sie auch nicht, wie ihre alte Mutter einst erzählte, 27 große Eigenschaften und Kunstfertigkeiten besitzt, so ist es dennoch wahr, daß sie mit ungewöhnlicher Meisterschaft malt, die Harfe spielt, fast alle europäischen Sprachen kennt und spricht und alle ihre Studien und Künste mit einem Fleiße, einem Eifer treibt, der höchst bewundernswert ist. Außerdem ist sie sehr gutmütig und hat mir in ihrem Hause viele unendlich angenehme Stunden verschafft. Trotz alledem ist man aber in ihrer Gesellschaft niemals recht à son aise, weil ihr Wesen dressiert ist wie ein ordentlich aufgezogenes Uhrwerk, welches wohl auf Punkt und Strich die Einteilung der Zeit angibt, aber auch mechanisch und ruhelos von einer Stunde zur anderen weitereilt. So hat sie auch ihren Tag auf Minute und Sekunde eingeteilt, und wenn man zu ihr kommt, ohne eingeladen zu sein, weiß man immer, daß man sie stört; gleichwohl nimmt sie es sehr übel, wenn man ausbleibt. In ihrem Hause ist ein Gewimmel von Deutschen aus allen Himmelsrichtungen, Engländern, Italienern, Franzosen, Ungarn, Russen, Polen usw., daß man vor Geschwirre und Gewirre oft kaum weiß, ob man auf den Füßen oder auf dem Kopfe steht. Mir erwies sie die Ehre der Aufnahme in den Kreis ihrer eigentlichen amis de la maison, und ein Gleiches tat sie mit Hjort; demnach fanden wir uns nur ein, wenn dieser engere und vertraulichere Gesellschaftskreis versammelt war. Gleichwohl kam es mir immer so vor, als ob sie die Kunst weniger con amore denn con furore betrieb, und ich rettete mich, so oft es sich tun ließ und ich selber keine Rolle bei den Vorlesungen, Deklamationen usw. des Abends hatte, in irgendeinen Winkel zu der vierzehnjährigen Luise, die mit gespanntester und naiver Aufmerksamkeit meinem Erzählen schwedischer Sagen und anderer Wunder des Nordens zuhörte. Dieses körperlich und geistig höchst liebenswürdige Mädchen ist für sein Alter ungemein entwickelt und vereinigt mit dem Verstände eines fünfundzwanzigjährigen Weibes die ganze Frische und Unschuld eines kindlichen Gemütes; darum hoffe ich auch, weil in ihrem Innern ein unerschöpflicher Born von Natürlichkeit liegt, daß es ihrer Lehrmeisterin nicht glücken wird, sie unnatürlich zu machen; doch fürchte ich, daß sie mindestens ihre physische Gesundheit verderben wird, denn sie zwingt das arme Kind, das freilich jetzt noch kräftig und blühend ist, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht unablässig und ohne Ruhepause Lektionen zu nehmen und sich von Maîtres in allen möglichen Sprachen und Wissenschaften bearbeiten zu lassen, so daß ich schlechterdings nicht begreifen kann, wie das arme Dingchen dies aushalten und sich dabei noch froh und lebendig zeigen kann. Hierin zwingt Fräulein Winkel sie, ihren eigenen Fleiß zu imitieren, der wirklich kolossal ist; kein Student, der zum tentamina candidandi liest, kann sich schlimmer anstrengen als sie aus eigener freier Wahl. Jeden Morgen steht sie um 5 Uhr auf, arbeitet nach regelrecht abgeteilten Stunden all ihre 27 Talente durch bis nachts 2 Uhr, zu welcher Zeit sie gewöhnlich endlich zu Bett geht, nachdem sie noch zuvor ihren Tag mit Abfassung einer Theaterkritik für die Dresdener Abendzeitung beschlossen hat. So hat sie es ungefähr fünfzehn oder zwanzig Jahre lang ausgehalten (sie sieht mir so aus, als ob sie etwa 36 Jahre alt wäre). Was meinst Du? Sie muß doch eine Gesundheit haben wie ein Pferd. Wenn sie eines Abends Besuche macht, bricht sie daher immer zu einer bestimmten Stunde auf und geht. Auch auf Malsburgs Einladung am letzten Abend konnte sie nicht kommen, weil sie notwendigerweise von 7–1/2 9 Uhr die Harfe spielen mußte. Ich bin sicher, daß wenn sie sich verheiratete, es nicht selten geschehen würde, daß sie in den Armen ihres Mannes inmitten der seligsten Augenblicke ehelicher Berauschung ausriefe: »Um Gottes willen, Geliebter, spute Dich, es ist schon 7 Minuten und 2/3 Sekunden über 5 Uhr, und ich muß noch die mittelste Klaue am rechten Fuße von Jupiters Adler fertig machen, was würde sonst Prinz Rusczradschbradzcssinsky zu meinem Ganymedes sagen?« – Am anderen Tage pfropfte mich meine Wirtin, Frau v. Ernst, beinahe bis zur Trunkenheit mit Glühwein, sagte mir, daß Schubert (der Philosoph) und ich die besten Menschen wären, welche sie kenne, seit Novalis tot sei – und bat mich, wie auch ihr Mann, daß ich bei meiner Wiederkehr nach Dresden auf keiner anderen Stelle wohnen möge als bei ihnen. Es sind wirklich herzensgute Leute, und wir trennten uns nicht ohne Rührung. Endlich gegen Mittag waren wir Reisenden fertig, und als ich schon im Wagen saß, erhielt ich ein Abschiedsgedicht von H. von Chézy, bei der Hjort in der Morgenstunde noch einen Besuch abgestattet hatte, um von ihr einen Rekommandationsbrief für uns beide an Jean Paul in Bayreuth und an verschiedene andere Personen in München zu bekommen. Noch sind sowohl Malsburgs als ihre freundlichen Verse unbeantwortet; aber in diesen Tagen beabsichtige ich, meine Lyra zum Gegenlaut zu rühren. –

Ich weiß nicht, ob ich Dir schon mitgeteilt habe, daß ich von allen Kellnern und Kellnerinnen in Dresden für einen Baron gehalten wurde, der Himmel mag wissen, warum; ich erklärte einmal im Hotel de Weimar, daß ich nicht Baron wäre, man fuhr aber nichtsdestoweniger fort, mich so zu nennen; ja ein sächsischer Minister von Nostitz, dem ich einmal bei Fräulein von Winkel vorgestellt wurde, nannte mich beständig Baron, obwohl sie mich nur unter dem Namen Herr von Atterbom präsentiert hatte. Hinsichtlich des letzteren ist zu bemerken, daß man mich im allgemeinen mindestens für einen Edelmann hielt, und da ich einstmals Malsburg um den Grund befragte, antwortete er, daß mein Name für das deutsche Ohr einen so stolzen Klang hätte, daß man unwillkürlich auf den Gedanken käme, ich wäre adelig. Ich entsinne mich auch, daß A. W. Schlegel mich in Stockholm immer Herr von A. nannte. Siehst Du, welcher Glanz hier diesen Namen umstrahlt, der für schwedische Ohren und für meine eigenen so höchst prosaisch klingt! Oft fiel mir dabei ein, was in Goethes Faust Gretchen von diesem sagt: »Er sieht so stolz und unzufrieden aus, er ist gewiß aus einem edlen Haus!« Ich weiß nicht, ob es eine solche Schlußfolgerung war oder der Klang meines Namens oder der Umstand, daß ich zufälligerweise dazu kam, fast nur mit dem Adel umzugehen, wodurch alle Domestiken in den Häusern, in denen ich verkehrte, in dieser Meinung befestigt wurden. Genug, ich passierte dort bon gré mal gré für eine vornehme Person.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte