Zu Fouqué bin ich doch nicht gekommen; der nächste Frühling dürfte mir aber dies Vergnügen bereiten.

Zu Fouqué bin ich doch nicht gekommen; der nächste Frühling dürfte mir aber dies Vergnügen bereiten. Er bringt jeden Winter einige Wochen in Berlin zu, begleitet von seiner romandichtenden junonischen Frau; den übrigen Teil des Jahres verlebt er im Schoße einer liebenswürdigen Familie und in einem schönen Park unter unaufhörlichem poetischen Tun und ritterlichen Betrachtungen. Ich halte ungemein viel von dieser frommen, in seligen Troubadourträumen ungestört spielenden Dichternatur, obwohl ich nicht die Mängel übersehe, welche ihr vor dem unbeweglichen Richterstuhle der Kunstlehre ankleben. Es ist wohl möglich, daß gerade der strengste Gesichtspunkt überall der einzig billige und milde ist. Die Menge der Leser handelt jedoch anders: sie kann nur ausschweifen, im Tadel sowohl als Ruhm. Nichts ist für einen Dichter oder ausgezeichneten Verfasser gefährlicher, als in Mode zu kommen, vorausgesetzt, daß er schwach genug ist, dem Beifall der Mode zu lauschen und sich von der lesenden Masse als Held des Tages gebrauchen zu lassen. Ohne Zweifel hat eine solche Schwäche das Unglück Fouqués bewirkt; er ist gleichsam wie gefangen von seiner eigenen Manier, er lebt nur noch im Schreiben und ist auf dem besten Wege, ein Lafontaine der Ritterlichkeit zu werden. Wer sähe wohl nicht ein, daß ein solches Ende des Sängers von Sigurd und Undine nicht würdig wäre? Uebrigens macht man schon Miene zu vergessen, was er war, und wahrscheinlich wird es nicht sehr lange dauern, dann spricht man ihm jeden Funken von poetischem Talent ab, obwohl man ihn vor nicht gar langer Zeit zum Vater und Messias einer neuen poetischen Aera erhöht hatte. Es ist dies ein Fegefeuer, auf welches sich ein jeder vorbereiten muß, der einmal das Mißgeschick gehabt hat, eine Art Götzenbild zu sein. Findet sich dann wirklich in dem Bilde etwas unsterbliches Gold unter den vielen menschlichen Schlacken, dann morden diese Flammen nicht, sondern reinigen bloß und versöhnen. – Geradeso wie Lafontaine mit seiner Häuslichkeit und Fouqué mit seinem Ritterleben, so fängt Hoffmann nunmehr an, mit seinen Teufeleien einförmig zu werden. Dieses geniale Original ist in die Manie verfallen, sich in die Schönheit der Hölle zu verlieben, und tischt nun seinen Lesern so viele Beelzebubs-Gerichte auf, daß ihnen schließlich alle Eßlust vergeht oder wenigstens jedes Schmelzungsvermögen. Ein merkwürdiges Phänomen von persönlicher Disharmonie und ästhetischer Ueberreizung, von unablässigem Kampf zwischen der flachen Prosa des Alltagslebens und den ewigen Idealen, ein aufreibendes Chaos von Wohllaut und Mißklang, welches er selten anders auflöst, als indem er all die sparsamen Blumen wild zertritt, mit denen unser armes Dasein bestreut ist, ein ironischer Hohn, der an Menschenhaß, ja an Wahnsinn grenzt; was Wunder da, daß dieser letzte Seelenzustand überall in seinen Schriften vergöttert wird. Ich war höchst neugierig, eine so absonderliche Individualität wie Hoffmann von Angesicht zu Angesicht zu sehen; aber ihn zu finden, gehört fast zu den Unmöglichkeiten; er scheint keinen Besuch leiden zu können und läßt Fremden meistenteils sagen, er sei krank oder ausgegangen. Ich kann ihm dieses nicht verdenken, denn es ist nichts widerlicher, als die Begrüßungen von Gaffern entgegenzunehmen. Das letzte Mal, einige Tage vor meiner Abreise, besuchte ich ihn in Gesellschaft des Generals von Helvig und des jetzt hier anwesenden Oehlenschläger, die ihn beide kennen, jedoch ebenso vergeblich. Es nützt nicht viel, ihn in ein Haus zu laden, wo er selbst ungeladen willkommen ist; kommt er dann einmal ungeladen, dann spricht er kein Wort, trinkt seinen Tee und schneidet wunderliche Gesichter. Man sagt, daß er ungefähr so aussieht wie der »Mann ohne Spiegelbild« in seiner »Sylvesternacht« und daß er in seinem Wesen ebensoviel Dämonisches und Spukartiges hat wie in seiner Gestalt. Du begreifst also, daß es nicht leicht ist, diesem wunderbarsten aller Kriminalräte auf den Leib zu rücken, wenn man die Sache nicht so wie Brentano angreifen will. Der ging nämlich eines Tages, wie man sagt, zu Hoffmann, um seine Bekanntschaft zu machen, und erhielt natürlich vom Bedienten den Bescheid, daß sein Herr sehr krank wäre und nicht Lust hätte, mit irgend jemand zu sprechen. »Das ist mir eben recht!« erwiderte Brentano. »Nun ist es an der höchsten Zeit; deshalb geh' Er gleich zu seinem Herrn hinein, mein Lieber, und melde Er ihm, daß der Doktor Dapertutto draußen stehe, der allenfalls auch durch Fenster und Türen passieren kann!« Dr. Dapertutto stellt bekanntlich in der »Sylvesternacht« Hoffmanns poetischen Prinzipal, den Teufel, vor. Ziemlich bestürzt über diese unheimliche Auslassung, eilte der Bediente hinein, kommt zitternd zurück und öffnet die Tür, worauf »der verrückte Kapellmeister par excellence« seinen Gast in goldigster Laune empfing. Einmal wurde er mir von ferne gezeigt; es war an dem Abend, da, mitten im Sommer, das neue Schauspielhaus abbrannte, bloß zwei Tage später, nachdem ich noch die von ihm ebenso romantisch komponierte wie von seinem Freunde Fouqué romantisch gedichtete Oper Undine dort hatte aufführen sehen. Er hatte sich aus dem Fenster seiner am Gendarmenmarkte belegenen Wohnung gelehnt, und der Feuerschein beleuchtete das kleine, magere Antlitz, unter dessen Larve in jenem Augenblick gewiß einige Dutzend Wunder und Märchen spukten. Es war Abend, und das riesige, nun an allen Enden in Flammen stehende Gebäude, welches schon seit der Mittagsstunde ein Raub der Flammen war, glich im Halbdunkel mit seinem stehenbleibenden Gerippe und dessen vielen leuchtenden Fensteröffnungen einem königlichen Salamander-Palast. Dieser Brand, der Berlin anfangs in den größten Schrecken versetzte, aber sich bald durch die Gunst der Vorsehung und des Windes aus einer Gefahr in eine Dekoration verwandelte, hatte die gesamte schöne Welt Berlins auf dem Gendarmenmarkt versammelt. Man sah recht vergnügt aus und schien sich mit einer gewissen Befriedigung über den kostspieligen Verlust damit zu trösten, daß das Schauspielhaus selbst noch in seinem Untergange ein sehenswertes Schauspiel veranstaltete. Am meisten beklagte man übrigens den Verlust der Garderoben und Dekorationen, welche auch wirklich so kostbar, so prächtig, mit solcher Phantasie und Geschmack geschaffen waren, daß man glaubte, es könnte sich in dieser Hinsicht kaum ein anderes Theater Europas mit dem Berliner messen. Zwei Dekorationen der oben genannten Oper werde ich nie vergessen: die brausenden Waldgewässer und die von ihnen gebildete Insel, auf welcher Undine und Huldbrand zum ersten Male in der Nacht, unter den Klagerufen des alten Fischers, zusammentrafen, sowie den farbenschimmernden, durchsichtigen Palast auf dem Grunde des Mittelmeeres, woselbst sich die treue Meerprinzessin schließlich mit ihrem Geliebten und Gemahl wieder vereinigt zeigte. Ueberhaupt übte diese Oper auf mich einen bezaubernden Eindruck, und sie würde mir noch viel mehr gefallen haben, hätte ich nie zuvor die herrliche Sage gelesen, deren Geist eigentlich zu lieblich, zu weich, zu luftig und zart ist, um körperlich auf einen Bretterboden mitten in die plumpe Wirklichkeit zitiert zu werden. Trotzdem hat sie mich in der Ueberzeugung bestärkt, daß diese Art Dramatik immer die Sage zu ihrer Quelle und die Magie zu ihrem Reiche wählen muß. Dies war auch Mozarts Ansicht, und nur einem musikalischen Genie wie Gluck kann es gelingen, die sogenannte heroische, in den Bereich der Tragödie eingreifende Oper erträglich zu machen. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte