Falls Dich dieses Thema an einen hochachtbaren Prediger und liebenswürdigen Theologen Marheineke erinnert,

Falls Dich dieses Thema an einen hochachtbaren Prediger und liebenswürdigen Theologen Marheineke erinnert, so kann ich über ihn leider nicht mehr sagen, als daß ich ihm auf der Straße begegnete und daß sein Aussehen milde, würdig und einnehmend ist. Ich meinesteils würde schwerlich imstande sein, in Kirchen warm zu predigen, welche gleich den neuesten Berlins in ihrer Einrichtung fast Opernsälen gleichen, obwohl sich diese Weltlichkeit nur auf die Stellung der Bänke und ihre in vielen Etagen übereinander hinlaufenden Galerien beschränkt; denn im übrigen hat ja die Vorliebe des protestantischen Gottesdienstes für Leere und weißen Kalk alle Wandzierden und Zeremonien abgeschafft. Der Erteilung des heiligen Abendmahls wohnte ich z. B. einmal bei, und diese bestand aus einem Frühstücks-Spaziergang um einen runden (?) gedeckten Tisch, auf welchem ein dünnes Licht brannte; zwischen Tisch und Wand stand ein schwarzgekleideter Wirt, der jedem Ankömmling einen Trunk und ein Stück Kuchen gab, worauf ihm der Gast mit einer Verbeugung dankte und hinter seinem Rücken vorbei weiterging. – Den tiefsten religiösen Eindruck, den ich in Berlin je erlebte, verschaffte mir eine herrliche Choralmusik, die ich in einer der Zuckerkirchen des Gendarmenmarktes aufführen hörte. Eine hinreißende Sängerin, Madame Milder-Hauptmann, eine Sängerin, derengleichen wenigstens in dieser Art Gesang Norddeutschland schwerlich aufzuweisen hat, erfüllte die Wölbung mit allmächtigen Himmelsklängen und das Herz mit veredelnder Berauschung. – Bei dieser Gelegenheit saß ich neben dem berühmten Arzte Hufeland, einem alten gravitätischen Ehrenmann, der immer noch lebt, in praktischer Verachtung seiner eigenen Theorie vom Tabakrauchen. – Rühs ist ein netter Kerl, und mein milder Stern ließ mich ihn in besonders guter Laune antreffen; man beschuldigt ihn nämlich, sehr oft zänkisch gestimmt zu sein, und er ist auch wirklich gern zum Polemisieren aufgelegt. Auch er hat, seitdem er längere Zeit die Juden und den König von Dänemark verfolgt, den Bogen des Streites gegen unseren Freund Hammarsköld gespannt und in einer Zeitschrift, deren Titel ich vergessen habe, einen schmähenden Kommentar zu einer Rede über die Volksschulen, welche Hammarsköld auf dem letzten Reichstag gehalten haben soll, veröffentlicht. Beim ersten Anblick sollte man Rühs eher für einen eleganten Stockholmer Kanzlisten denn für einen gelehrten Geschichtsforscher und Professor halten, doch ist sein Umgang wirklich angenehm und belehrend. Es ist doch ein rechter Verlust für die Wissenschaft und unsere nordische Geschichte, daß ein Mann von so großer annalistischer Belesenheit und so großem Fleiße allen Sinnes für das entbehrt, was eigentlich Mark und Seele der Geschichte ist, nämlich das Mythische ihrer Vorzeit und das Dramatisch-Individuelle in ihrer Entwicklung. Ich verhehlte ihm nicht, wie unzufrieden Du, ich und alle uns gleichgesinnten Schweden mit dem Anfange seines Werkes über Schweden wären und wir nicht umhin könnten, uns den kräftigen Widerlegungen eines Rask, Müller und der Gebrüder Grimm hinsichtlich seiner Ansichten über die Eddas und die isländische Literatur anzuschließen. Zu meiner Verwunderung antwortete er mir, daß sich seine Ansichten über diese Stoffe sehr geändert hätten, wie man bald sehen würde, doch er sagte mir nicht, worin die Wandlung bestände. Noch größer war meine Verwunderung, als er mir Proben einer Uebersetzung Bellmanscher Stücke zeigte, die sehr gelungen waren. Das eine war das Lied von Ahasverus und Esther, das andere das bekannte Wiegenlied »Kleiner Karl, schlaf süß in Frieden«, dessen zärtliche Töne ja auch mich beim Eintritte ins Leben begrüßten. Wahrlich, ich hätte Rühs nicht eine so ausgezeichnete poetische Geschicklichkeit zugetraut. Er erzählte mir, daß er Tieck die Uebersetzung mitgeteilt habe, der sofort für den Dichter ein lebhaftes Interesse empfand und ihn ermahnte, sein Vorhaben zu vollenden. Je nach Erfordern will er dann die Uebersetzung mit aufklärenden Noten begleiten, zu deren Mitteilung er ohne Zweifel durch seinen langen Aufenthalt in Stockholm mehr als irgendein anderer deutscher Uebersetzer befähigt ist. Hält er Wort, dann bereichert er die Literatur seines Vaterlandes mit einer der wunderbarsten Schöpfungen, in denen sich jemals die Ideenbezauberung der Poesie offenbart hat. – Einen in Berlin den Sommer über verweilenden Rest von Wissenschaftsmännern sah ich gestern abend in einer Gesellschaft, welche sich die philomatische nennt; es las in derselben der wegen seiner politisch-literarischen Operationen mit Recht berüchtigte Schmalz eine Abhandlung über den Luxus vor, in welcher er bewies, daß ein solcher gar nicht existiere; wegen dieses Ausspruches geriet er mit dem privatisierenden Geschmackslehrer Ben David, einem alten zynischen und kupfernasigen Juden, in heftigen Streit, bis daß der gedeckte Tisch Freundschaft und Einverständnis wiederherstellte. Jetzt, zwischen Tür und Angel, wie das Sprichwort sagt, war Schmalz übrigens am rechten Platze; er erzählt vortreffliche Anekdoten, vertilgt eifrig Wein und ist sonst ein kleiner, fetter Geheimrat, der gegen den Tugendbund schrieb. Eine andere Gesellschaft, welche die deutsche heißt und aus der letztgenannten entsprungen ist, hält man – nämlich in den Augen der Machthabenden – für einen Schößling bedenklicher Natur, weil der als Demokrat und Demagog angesehene Jahn in derselben das Wort führt und alle Fremdwörter aus der deutschen Sprache verbannt, auch die sämtlichen Mitglieder in altdeutscher Tracht gehen. Eines dieser Mitglieder, den bekannten Geographen und Puristen Zeune, lernte ich in der Abendgesellschaft der Generalin von Helvig kennen; er ist ein ehrenwerter, ungekünstelter Mann und Vorsteher einer Erziehungsanstalt für Taubstumme. Er hat eine Taschenausgabe des Liedes der Nibelungen herausgegeben, deren Vorrede von redlichem Fleiß, obschon nicht im selben Maße von Einblick und Genie zeugt. – Die altdeutsche Tracht fängt an, durch die Abneigung der Regierung eine Bedeutung zu bekommen, welche wiederum ihren Gebrauch und ihre Verbreitung befördert; vor nicht gar langer Zeit war sie von der Menge, ja sogar mitunter von den Studenten abgelegt worden. In Oesterreich und Bayern hat sich die Obrigkeit mit förmlichen Verboten dagegen erklärt; die preußische Regierung besinnt sich noch. Es ist mir unbegreiflich, warum man es dem Volke nicht gönnen will, sich seine Kleider nach eigenem Gutdünken nähen zu lassen, um so mehr, als diese Tracht nicht bloß pittoresk schöner ist als unsere gewöhnliche, sondern auch gesünder und bequemer. Hier in Dresden sieht man sie jedoch gar nicht; aber dazu ist nicht erst ein königliches Verbot nötig gewesen, denn es liegt in der höchst feindlichen eigenen Sinnesstimmung der Sachsen gegen Preußen eine hinlängliche Schutzmauer, da die Sachsen wenig Ursache zu haben glauben, über Deutschlands Befreiung zu jubeln. Auch existiert hier nicht der Berliner Gegensatz eines militärischen Schnürleibsystems auf der einen und eines uneinschnürbaren Universitätsgeistes auf der anderen Seite. Man hat sich das Leben bequemer gemacht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte