Man beschuldigt viele der höheren und niederen Genies Deutschlands, über alle Maßen von Eigenliebe und Selbstbewunderung

Man beschuldigt viele der höheren und niederen Genies Deutschlands, über alle Maßen von Eigenliebe und Selbstbewunderung aufgeblasen zu sein. Leider fehlt es auch uns nicht an ähnlichen Beispielen. Es bleibt mir ganz unbegreiflich, wie man, wenn man auch nur einen einzigen ahnenden Schimmer von Wahrheit, Schönheit und Poesie im Busen hat, es fertig bekommt, in diese unselig-glückselige Verrücktheit zu fallen. Mich dünkt, daß ein einziger Blick zu der Höhe eines Plato, Shakespeare und Goethe genügend sein müßte, das eigene Ich in seiner ganzen bemitleidenswerten Kleinheit zu zeigen. Jeder wirklich große Mann, jeder Meister in Wissenschaft oder Kunst ist im Kern seines Wesens bescheiden und anspruchslos gewesen. Welch verächtliches Ding ist nicht jede Person, jedes Talent im Vergleich mit Gottes Herrlichkeit, mit dem Reichtum der Natur und den Forderungen der Ewigkeit! Was hat wohl das größte Genie vor seinen Mitmenschen weiter voraus als ein wenig feurigere Spannkraft im Auffassen des Lebens und im Fliegen nach einem Ziel, das kein Sterblicher je erreichen kann? –

Die einzigen schönen Landorte in der Nachbarschaft von Berlin sind Charlottenburg und Stralau; der letztgenannte Ort ist ein vortreffliches Dorf an der Spree, inmitten hübscher Wiesen und Haine, mit einer einsamen Kirche und einigen Grabmälern gerade gegenüber auf der anderen Seite des Flusses; das erstgenannte ist ein zierliches Schloß mit einem geräumigen englischen Lustpark und dem berühmten Mausoleum der Königin Luise. Wenige Königinnen sind von ihren Untertanen so geliebt, vermißt und vergöttert worden; schön, milde, seelenvoll, leutselig, treu, mütterlich, mutig und standhaft war sie, gleich den edelsten weiblichen Gestalten der früheren Ritterzeit, die ganze Seligkeit für ihren Gemahl und das persönliche Bild der höchsten weiblichen Bezauberung und Anmut für jeden Preußen. So wird sie von allen beschrieben, welche sie sahen und kannten, und ich finde durchaus, daß diese vox populi, welche noch sechs Jahre nach ihrem Tode dieselbe ist, hier in Wahrhaftigkeit auch eine vox Dei ist. Die niederträchtigen Gerüchte, welche Napoleon und seine Satelliten recht unritterlich aussprengen ließen, um sich für ihren Haß und ihre Verachtung zu rächen, bemühen sich Vergebens, den glänzenden Schnee ihrer Ehre zu beflecken. In Gesellschaft der Generalin Helvig und des Barons d'Albedyhll, der sich nur kurze Zeit in Berlin aufhielt, besuchte ich an einem schönen Julinachmittag das einfache griechische Grabgebäude, welches ihre irdischen Ueberreste und die Formen ihrer lebenden Vollkommenheit birgt. Im Schatten nordischer Zypressen, zwischen Blumenmatten und getreulich gepflegten Vergißmeinnicht, erhebt sich der kleine Todestempel, in welchen sich der trauernde König noch in jedem Jahre an ihrem Todestage allein einschließt, um seinen Verlust zu betrauern. Eine Art Allerheiligstes öffnet sich den Blicken des Besuchers und zeigt das Meisterwerk, mit dem der junge Bildhauer Rauch – von geringem Herkommen, in ihrem Dienste aufgewachsen und von ihr zuerst in seiner unwiderstehlichen Neigung zur Kunst entdeckt und ermuntert – die letzte Danksagung an seine Wohltäterin und vielleicht erstes Ideal seiner Kunstliebe in Marmor verewigt hat. Um die schlummernde Befreite stehen in den Winkeln des Zimmers hohe und mit sinnreichen Symbolen geschmückte marmorne Kandelaber von Friedrich Tieck, einem würdigen Bruder des Dichters, der sich jetzt mit Rauch in Carrara aufhält. Diese beiden Männer sind Genies und Künstler: Schadow ist nur ein geschickter Handwerker. Mit einem holden Gefühl verließ ich die einsame Gruft, welche in ihren engen Mauern doch alles das birgt, was von jeder Schönheit und Jugend auf Erden nach wenigen Jahren nur übrigbleibt: ihr ewig junges und anziehendes Bild.


Und somit hätte ich über Berlin nichts weiter zu sagen, als daß sich der Sommer nicht zum Leben daselbst eignet. Auffällig war mir auch die merkwürdige Passion der Berliner für Dünnbier. Mir wurde hier nicht einmal leichter, nachdem ich ein schönes Badehaus an der Spree entdeckt hatte, welches die Ueberschrift In balneis salus führte, und nachdem ich in der mit alten Malereien und Grabmälern gefüllten Nikolaikirche das Grab meines Jugendfreundes Pufendorf fand. Du weißt doch hoffentlich, was ich damit meine, wenn ich Pufendorf meinen Jugendfreund nenne: er war der erste historische Verfasser, der mir als vierjährigem Knaben in die Hände fiel.

Ein kleines Malheur hatte ich auch hier; als ich nämlich eines Abends mit Umarbeitung meiner Schrift über Ehrensvärd beschäftigt war, fingen meine Fenstergardinen Feuer, und ich verbrannte mir beim Löschen ein wenig die Finger. Am Tage nach diesem Abenteuer hörte ich, daß Oehlenschläger in Berlin angekommen wäre, worauf ich ihn sofort am nächsten Morgen im Hotel zur Sonne Unter den Linden aufsuchte. Er hatte kurz zuvor Wien verlassen und wollte nach Kopenhagen, woselbst er sich nunmehr schon befindet. Er hat somit die freiwillige Verbannung glücklich beendet, in welche er sich begab, um auf einige Zeit Ruhe zu haben vor Baggesens und dessen –ianer bellendem Lärm. Mir steht noch der größte Teil bevor. – Ich wurde sehr gut empfangen, und nachdem wir mancherlei über die Stellung der dänischen und schwedischen Literatur geplaudert hatten, las er mir einige Stückchen aus seinem jüngsten Gedichte »Fredriksberg« vor; es ist dies eine Kette kleiner Idyllen über seinen Geburtsort und seine ersten Kindheitseindrücke. Es ist wahrlich ein Vergnügen, ihn lesen zu hören und ihn dabei zu betrachten: das Ohr freut sich über die Biegsamkeit seiner angenehmen Stimme und das Auge über die lebhafte Beweglichkeit seiner schönen Gesichtszüge. Er hat wirklich, wie das Gerücht bekundet, ein schmuckes Aussehen, und das Haupt kann mit Recht schön genannt werden. Jemand sagte, daß er Aladin, den Helden seiner Wunderlampe, als sein eigenes Porträt gelten läßt, und in diesem Falle muß man zugeben, daß wenigstens die Geschwisterschaft nicht fehlt. Der dänische Dichter ist nämlich selber ein noch recht jugendlicher und üppiger Sanguinikus mit dunklem Haar und dunklen Augen, jovial, gutmütig, leicht entzündlich, bequem und sinnlich; nur ist er auf eigene Rechnung ein wenig zuviel Narzissus, aber in so naiver und vertraulicher Weise, daß man es ihm unmöglich übelnehmen kann. Ich führte ihn zum General Helvig, dessen Bekanntschaft er während des Aufenthalts von jenem in Kopenhagen gemacht hatte, worauf wir alle drei nach dem Tiergarten gingen und dort inmitten grüner Bäume und unter einem wolkenlosen Himmel speisten, tapfer tranken und den ganzen Tag über zusammenblieben unter viel Lust und Freude. Wie freundlich und heiter er auch war, so konnte es doch nicht fehlen, wie Du wohl leicht vermuten wirst, daß wir, bei der Ungleichheit unserer Naturen, bisweilen über gewisse Punkte hitzig zusammengerieten, so entstand z. B. über die rechte Anschauung der Mysterien des Mittelalters und des Christentums ein heftiger Zank, der damit endete, daß er mich für einen Schwärmer und ich ihn für einen Unphilosophen hielt. Im übrigen störte dies jedoch nicht die Harmonie unseres Umganges. Unter seinen letzten Dichterwerken gefällt mir Helge am besten, und ich habe große Neigung, selber einmal einen passenden altschwedischen Stoff in einem ähnlichen kleinen Epos von Romanzen zu behandeln, deren Einfachheit, so wie dort, unaffektiert an die Unschuld des Volksliedes grenzen müßte. – Ich sah den liebenswürdigen und genialen Dichter nicht öfter, denn bei einem erneuten Besuch traf ich ihn nicht daheim und hatte mich schon reisefertig nach den Dresdener Weinbergen gemacht. Nachdem ich danach mit gewählter und von einigen guten Groschen unterstützter Wohlredenheit die Verzeihung eines Paßschreibers dafür erwirkt hatte, daß ich mich volle sieben Wochen in Berlin ohne carte de séjour aufgehalten hatte, rollte ich schon mit nächstem Sonnenaufgang in einem ziemlich bequemen gedeckten Fuhrmannswagen aus der Dresdener Straße durch das Cottbusser Tor hinaus, froh, mich bald unter den munteren Sachsen und ihren unzähligen Kunstschätzen erquicken zu können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte