Du fragst, ob die Sprache Schwedens in Deutschland bekannter ist als die Kamtschatkas?

Du fragst, ob die Sprache Schwedens in Deutschland bekannter ist als die Kamtschatkas? Nicht viel mehr. Du fragst weiter, welchen Begriff man sich von der schwedischen Literatur macht? Ungefähr denselben wie wir von der russischen. Wohl trifft man hie und da einen deutschen Gelehrten, der Schwedisch versteht und schwedische Schriften liest, aber das letztere geschieht dann einzig und allein aus wissenschaftlichen Gründen, z. B. philologischen oder historischen. Hier in Dresden leben zwei nordische Sprachkenner, nämlich Friedrich Kuhn, der verdienstvolle Uebersetzer Camoens, und der Geh. Legationsrat von Beigel, der Oberaufsichtsbeamte der Königlichen Bibliothek. Der letztere zeigte mir heute, daß die Bibliothek eine ziemliche Menge schwedischer Bücher enthält, besonders solche von historischem Inhalt, und wünschte, die neueren Erzeugnisse unserer Literatur zu erhalten; der erstere äußerte sich lobend über die unserer Sprache inneliegende poetische Kraft und deren Wohlklang. Soviel steht fest, daß die Zahl dieser Kenner im gesamten Deutschland nicht zu groß ist, um sie nicht bei Namen aufzählen zu können, wobei noch die ex professo skandinavischen Forscher wie Rühs in Berlin, die Gebrüder Grimm in Kassel, von der Hagen und Büsching in Breslau die größte Summe ausmachen würden. – Arndts Reiseschilderungen über Schweden sind, Gott weiß weswegen, nur wenig in Umlauf gekommen; vielleicht hat man sie zu vielwortig und zu sehr bei Kleinigkeiten verweilend gefunden. Deshalb ist sogar Bellman, der in dem erwähnten Werke so genau und vortrefflich gezeichnet ist, den Deutschen nicht minder unbekannt geblieben wie unser vortrefflicher Landschaftsmaler Fahlcrantz, von dem hier niemand etwas weiß, obwohl er unter den deutschen Künstlern schwerlich seinesgleichen hat. Dahingegen verstehen es die Dänen vortrefflich, sich und ihre Leistungen in Deutschland überall bekanntzumachen, indem sie in allen möglichen deutschen Zeitungen und Schriften ihr eigenes Lob fleißig ausposaunen. Bei solcher Gelegenheit erwähnen sie im Vorbeigehen auch mitunter Schwedens, und dadurch sind wir den Deutschen ein wenig bekannter geworden. Es hat aber für uns etwas Demütigendes, die Aufmerksamkeit zu sehen, welche sie den Dänen, hauptsächlich wegen Oehlenschläger, erweisen. Daß Fahlcrantz hier draußen nicht bekannt ist, ärgert mich; vielleicht hat man hier nicht einmal einen solchen Landschaftsmaler wie ihn. Friedrich, mit dem ich gern zusammenkomme, da er als Mensch wie als Maler gleich gemütvoll ist, hat einige Gemälde des nordischen Claude Lorrain gesehen, ich glaube bei Arndt (Friedrich ist Pommer wie dieser und hält sich für einen halben Schweden), und rühmte deren Geist und Tendenz, aber sagte doch, daß er mit ihrer Ausführung nicht völlig zufrieden wäre. Es ist möglich, daß diese Stücke zu den älteren oder weniger bedeutenden von Fahlcrantz gehörten oder daß Friedrich, der ein Metaphysikus mit dem Pinsel ist, in ihnen zuwenig symbolische Bedeutung fand. Er hat neulich ein Altarbild gemalt, welches göttlich schön ist: eine majestätische Waldlandschaft, auf der inmitten der höchsten Bergesspitzen', hoch über gewaltigen Fichten und dunklen niederen Partien, ein kolossales Schwert mit der Spitze in den Felsenboden gestoßen ist und so als leuchtendes Kreuz im goldigen Sonnenschimmer den Beschauer begrüßt. Mehr darüber und weniger konfus, wenn wir zusammen sind. Auch Hartmann hat ein wundervolles Gemälde geschaffen, welches den im Buche der Offenbarung besprochenen Tod auf seinem schwarzen Pferde, an der Spitze sei? ner gräßlichen Scharen, mit Allusion auf Napoleon darstellt. Reich in der Komposition, wie das Gemälde ist, erfordert es eine weitläufige Beschreibung, welche hier noch am Platze ist. Hjort bemerkte, vielleicht nicht mit Unrecht, daß die gegenwärtigen deutschen Maler mehr Poeten als eigentliche Maler sind; doch ist wohl dieser Weg der einzige, auf dem die Kunst sich aus ihrer Phönix-Asche regenerieren kann, und dem (in Kleinigkeiten wohl zu weit getriebenen) Enthusiasmus, welcher jetzt die Aufmerksamkeit der deutschen Malerschule ausschließlich auf ihre alten Meister Dürer, Holbein u. a. lenkt, liegt sicherlich eine tief erkannte Notwendigkeit zugrunde. Die Messe in der katholischen Kirche höre ich jeden Sonntag. Eine herrliche Musik! Wenn man von dem Widerlichen abstrahiert, welches in der Reminiszenz des Geschlechtsverhältnisses liegt, dann gibt es wirklich in rerum natura kein passenderes Organ für geistliche Musik als den Gesang der Kastraten. Der hiesige königliche Hof, der selber katholisch ist, unterhält eine magnifike Kapelle unter Webers Leitung und echte Kastratvirtuosen. Wenn man Sassarolli singen hört, dann ist dies wirklich, als ob man buchstäblich die Stimme eines Engels hörte. Könnte nur solche Stimme hervorgebracht werden, ohne daß man die menschliche Natur mißhandelte! In den Gesang eines Weibes mischt sich doch immer, bewußt oder unbewußt, ein wenig Geschlechtskoketterie und sinnlicher Reiz; wahrscheinlich gilt diese Beurteilung auch hinsichtlich des anderen Geschlechts in bezug auf den männlichen Gesang; dahingegen hat die Stimme des Kastraten, die in wunderbarer Weise das höchste Entzücken der männlichen und weiblichen Schönheit der Stimme in eins verschmilzt, einen reinen, fast engelartigen, überirdischen, neutralen und ätherischen Charakter. – Um dies vollkommen genießen zu können, muß man selbstverständlich sich ganz unbefangen dem Strome von Wohlklang überlassen, der auf die Versammlung wie aus dem geöffneten Himmelsgewölbe herniederbraust, und sich nicht daran erinnern, daß es Kastraten sind, die so singen. – Den angenehmsten Genuß, welchen eine Reise durch Germanien verschafft, hat man, indem man Augenzeuge der heiteren, lebhaften, allumfassenden, immer beweglichen Phantasie dieses Volkes ist, welches unablässig danach strebt, sich aller Schöpfungen des unerschöpflichen Universums zu bemächtigen, und in erstaunlichem Grade geeignet ist, das einfach Wesentliche, das eigentümlich Charakteristische eines jeden Dinges zu erfassen, sowohl für sich als im Zusammenhange mit dem Ganzen und sich selber betrachtet. Ja, es ist unter unserem kalten Himmel kaum möglich, sich den Enthusiasmus vorzustellen, womit hier alles aufgenommen wird, was eine neue Aussicht, eine neue Eroberung im Reiche des Geistes, der Kunst und der Wissenschaft verspricht. Diese spähende Liebe ist nunmehr bei den hauptsächlichsten jüngeren deutschen Verfassern und ihren zahlreichen Lesern auf das ferne Thule gerichtet und auf das Erz, welches aus dessen geheimnisvollen Gruben gefördert wird. – Doch ich vergesse, daß Du ja Bemerkungen über die deutsche Literatur selbst und über ihren volkstümlichen Zusammenhang und Einfluß haben willst. – Das Sublimste in der Literatur der Deutschen ist vielleicht die Idee der Literatur, wie sie sich dieselbe als Muster und Ziel aufgestellt haben, und dieser Gedanke eines unendlichen organisch-geistigen Ganzen, in welchem, gleichsam als in einer alle Kräfte zusammenfassenden und widerspiegelnde Einheit, eine große Nation für alle Zeiten das Bild ihres höchsten Lebens bewahrt und erkennt, ist so schön, daß man deswegen wohl verzeihen darf, wenn die ganze Nation im ersten Freudenrausche dieser klaren Auffassung ihres Bewußtseins sich versucht fühlt, sozusagen in Masse sich zur Verfasserschaft zu erheben. Die Vielschreiberei, von jeher ein Fehler der Deutschen, wird jetzt freilich schlimmer denn je betrieben. Im übrigen erfährst Du wohl nichts Neues, wenn ich Dir die Versicherung gebe, daß ihre eigenen Literaturzeitungen die unzuverlässigsten Wegweiser von allen sonstigen sind, die zu einer klaren Ansicht dessen führen wollen, was in ihrer Literatur die herrschende Seele und der wirkliche Wert oder der gerade Gegensatz von beiden ist. Okens berühmte Zeitschrift »Isis«, welche jetzt mit wahrem Heißhunger gelesen wird, könnte mehr Nutzen schaffen, als sie tut: aber die weise Naturgöttin äußert sich allzuoft in einem Ton, der mehr studentenhaft als göttlich ist; der Herausgeber ist ein geistreicher Jakobiner in dem spekulativen Teil der Naturphilosophie; da ist es kein Wunder, daß er in seiner Politik über alle Maßen demokratisiert. Die älteren der noch erscheinenden kritischen Zeitschriften haben allen Nimbus der Unfehlbarkeit verloren, und unter den jüngeren, welche zahllos und stündlich ein Dasein beginnen, das sie gewöhnlich mit der tunlichsten Eile wieder beschließen, hat sich meines Wissens noch keine zu dem Ansehen emporgeschwungen, welches z. B. die Jenaische Literatur-Zeitung vor ungefähr siebzehn Jahren oder die Heidelbergischen Jahrbücher noch vor halb so langer Zeit umgab. Im allgemeinen behandelt man diese Art gelehrte und schönwissenschaftliche Zusammenrottungsgeburten, die so oft halbgelehrt und unschönwissenschaftlich sind, ganz richtig und schlechthin wie literarische Avise, in denen man Neuigkeiten sucht, ohne im übrigen mehr Vertrauen in sie zu setzen als in alle anderen (z. B. politischen) Angaben von Neuigkeitskrämern, besonders soweit es sich um das eigene Urteil über ihre Neuigkeiten handelt. Die ausgezeichnetsten Schriftsteller haben sich von allem Befassen mit diesen Instituten zurückgezogen, und es geschieht äußerst selten, daß sie mit einer Rezension hervortreten. Deshalb wirken rezensierende Zeitungen, wie überhaupt alle dazugehörigen Flugschriften in Tag-, Wochen- oder Monatformat, wenig oder gar nicht auf das Gedankensystem des Lesers ein, wenn man nämlich die Menschen ausnimmt, die hier wie in allen Ländern alles ohne Unterschied verehren, was sie schwarz auf weiß vor sich sehen. In Schweden ist das Verhältnis noch ein entgegengesetztes, und so lange könnte man deshalb behaupten, daß ein Bedürfnis nach kritischen Zeitschriften noch wirklich vorhanden ist. Graf von Loeben (Isidorus Orientalis) hat neulich zwei Bücher herausgegeben, von welchen das eine »Lotosblätter«, das andere »Rosengarten« heißt; sie verdienen, gelesen zu werden; seine älteren Arbeiten kommen mir aber allzu nebulistisch vor. Er selbst ist eine planta sensitiva, sehr (ja allzusehr!) ätherisch, sehr schmächtig, zart und kränklich und verduftet wohl mal eines Tages, denn sein Leibchen ist wirklich zu winzig, um auf andere Weise sterben zu können. In der Nähe eines seiner Schlösser in der Lausitz (ich glaube sogar auf seinen Territorien; ich werde ihn danach fragen) liegt Jakob Böhmes Geburtsort Alt-Seidenberg und der Berg Landskrone, wo er seine erste Vision hatte. Ich habe Lust, im nächsten Herbste mit ihm (Loeben), der ein eifriger Freund dieses christlichen Plato ist, einen Ausflug nach jenen Strichen zu machen, wo der Prophet als Hirtenknabe umherwandelte. Wäre aus meiner schlesischen Reise etwas geworden, dann wäre ich durch Görlitz gekommen, woselbst man noch sein Grab zeigt und auch noch sein Haus steht, das jetzt von einem (vermutlich nicht theosophischen) Bäcker bewohnt wird, der gemalte Scheiben aufbewahrt, die in Böhmes Fenster saßen. Von Steffens, mit dem ich am Anfang des September hier einige herrliche Tage verlebte, habe ich Empfehlungsschreiben an Schelling, seinen Busenfreund, erhalten. Schelling hat sich neulich zum zweiten Male mit einem jungen Mädchen, der Tochter des Poeten Gotter, verheiratet, und Steffens, der soeben mit Schütz (Verfasser von Lacrimas) hier aus Süddeutschland ankam, kann seine charmante Frau und das Schöne seines häuslichen Lebens nicht genug rühmen. – Steffens ist ein göttlicher Mann; eine unauslöschliche Begeisterung glüht in seiner Brust und leuchtet aus seinen Blicken; unter Locken, die zu erbleichen beginnen (infolge von Mühen und Kümmernissen!), besitzt er die ganze Rührigkeit und das Lebhafte eines Jünglings. Er hat ein sehr edles Aussehen und mehr den Charakter eines Offiziers als den eines Professors; er trägt das Eiserne Kreuz auf der Brust und erinnert sich gern der verflossenen Kriegszeit. Wenn er über etwas spricht, das sein Innerstes berührt, z. B. seine hingestorbenen Kinder, Deutschlands intellektuelle und poetische Bestimmung, Skandinaviens, besonders Norwegens Wohlfahrt, seine Freunde Schelling und Gneisenau usw., dann füllen sich seine strahlenden Augen mit Tränen, und mit einer Begeisterung, die unwiderstehlich alle seine Zuhörer ergreift, entströmen seinen Lippen die schönsten Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele, über die höchsten Interessen der Nationen und Staaten, über Philosophie und Religion in den erhabensten und dennoch stets ungekünstelten und natürlichen Ausdrücken. Mich kannte er schon glücklicherweise durch die Beschreibung meiner Schutzheiligen, der Amalia v. Helvig, von der vorteilhaftesten Seite und begrüßte mich mit einer Herzlichkeit und nahm Abschied von mir mit einer Zärtlichkeit, die ich niemals vergessen kann. Uebrigens begann unsere Bekanntschaft schnurrig genug bei dem Professor Hartmann, einem berühmten Historienmaler und guten Freunde von mir, mit einem heftigen Zanke über die Vereinigung Schwedens und Norwegens. Zur größten Verwunderung meines Wirtes, der ein sanfter und nachgiebiger Mann ist, begrüßte ich Steffens, als er kaum mit seinem Begleiter v. Schütz eingetreten war und mir ganz freundschaftlich gesagt hatte, daß er mich schon durch Frau v. Helvig kenne, mit diesen Worten: »Ich lese gerade jetzt Ihr schönes Buch über die gegenwärtige Zeit, und mit herzlicher Freude; nur muß ich Ihnen gestehen, daß mir Ihre Ansicht von Schwedens und Norwegens Verhältnis ganz verkehrt und einseitig erscheint!« – worauf natürlich der Streit losging, und das mit ziemlichem Eifer, da Steffens sehr heißblütig ist und ich sehr starrköpfig bin. Schließlich wurde der Streit mit einem gegenseitigen und allgemeinen Gelächter geschlossen, und Steffens sprach sich seitdem zu allen, denen wir diese Geschichte erzählten, mit großem Lobe über die schwedische Ehrlichkeit aus. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschen und Städte