Zustände

Das Aussehen der Städte im 18. Jahrhundert vermag man sich gut vorzustellen, sind uns doch in gemalten und gestochenen Prospekten jener Zeit Bilder genug erhalten.

Betrachtet man nun z. B. die Ansichten Canalettos von Dresden und Pirna, die Kupferstichfolgen, welche Nürnberg, Augsburg, München, Göttingen, Berlin u. a. darstellen, so fällt es auf, dass die bedeutendsten Architekturen sowohl der öffentlichen wie der Privatgebäude fast alle auf das 17. Jahrhundert hinweisen, dass nur vereinzelte Bauwerke im 18. Jahrhundert entstanden zu sein scheinen. Damit stimmt auch das Erinnerungsbild, das sich Goethe an Frankfurt bewahrt hatte, wo nichts architektonisch Erhebendes zu sehen gewesen sei, alles auf eine längst vergangene Zeit hingedeutet habe; damit stimmt auch der Eindruck, den Nikolai 1781 auf seiner Reise durch Deutschland von den großen süddeutschen Reichsstädten empfängt. Die Nachwirkungen des verheerenden Dreißigjährigen Krieges dauern bis tief in das 18. Jahrhundert hinein.


Erst 1787 z. B. errichtet man in Wittenberg die Elbbrücke neu, welche die Schweden 1637 verbrannt hatten. Wenn man die Ansichten, die Salomon Kleiner etwa 1710 von Wien und seinen Vorstädten verfertigt hat, mit jenen vergleicht, welche Janscha, Schütz, Ziegler ca. 80 Jahre später ausführten, so ist man erstaunt über die geringen Veränderungen, die in der Zwischenzeit eingetreten sind. Wenn die Kulturfortschritte der Kaiserstadt so geringe waren, so nimmt es nicht wunder, dass kleinere Städte noch viel weiter zurückblieben, so dass man z. B., wenn man neue Pläne der Städte benötigte, immer wieder auf die Merians zurückgreifen konnte, die doch schon hundert Jahre alt waren. K. Fr. von Klöden schreibt noch im Beginn des 19. Jahrhunderts über Preuß. Friedland: Dieses Gepräge des 17. Jahrhunderts trug nicht bloß die Schule, sondern die ganze Stadt in ihren Einrichtungen, ihren Lebensbedürfnissen, ihrem Kulturzustand, ihrer Sprache, ihrer überaus einfachen Häuslichkeit und nicht minder ihren Anschauungen.

Wenn fürstliche Luxusbauten wie das Schloss Salzdahlum, das Opernhaus in Ludwigsburg, nur in Fachwerk ausgeführt wurden, so ist es selbstverständlich, dass die Privathäuser der Bürger noch weit bescheidener waren. Erst seit 1768 hört man z. B. auf, die Dächer in Weimar mit Stroh zu decken. Wenn, wie es in Halle 1730 geschah, alle Häuser der Stadt auf Befehl gelb angestrichen wurden, oder man in Jena zu diesem Zweck die grüne Farbe vorzog, so mag der Anblick freilich nichts Erhebendes gehabt haben, wie denn Nikolai einmal klagt, dass man etwas Schönes im modernen reinen Stil nur in Hamburg oder Plön finde, wo wenigstens die Galgen aus korinthischen Säulen bestünden. In Florenz fand Keyßler in den Bürgerhäusern statt der Fensterscheiben Papier, und wenn selbst im Schlosse zu Bayreuth die meisten Fenster zerbrochen waren, so war es ja noch ein Vorzug, dass die Häuser in Nürnberg, Altdorf, Regensburg, Ulm wenigstens Butzenscheiben aufwiesen! Die Reinlichkeit der Straßen ließ für unsere Begriffe alles zu wünschen übrig. Liselotte schrieb einmal: Nichts ist stinkender und sauischer als Paris, aber die Berichte über andere Städte wie Berlin, Hamburg, Rom, Madrid usw. lauten ebenso ungünstig.

Als König Karl III. und sein Minister Esquilache unternahmen, die Straßen von Madrid säubern zu wollen, verfasste die Korporation der Ärzte eine Denkschrift, in der sie ausführte, die Luft von Madrid sei so gesund, dass es höchst gefährlich sein würde, sie durch Reinlichkeit ändern zu wollen! Mit der Beleuchtung stand es nicht besser. Berlin besaß Straßenbeleuchtung seit 1682, Wien seit 1687, langsam folgen die übrigen deutschen Städte. 1702 Leipzig, 1705 Dresden, 1765 Braunschweig usw. Aber diese Beleuchtung ist cum grano salis zu verstehen. In Berlin wie in München brannten die Laternen im Sommer nie und auch im Winter nur, wenn nicht Mondschein im Kalender stand. Stuttgart wurde nur beleuchtet, wenn der Herzog anwesend war, Städte von der Bedeutung wie Nürnberg, Augsburg, Ulm besaßen 1781 überhaupt noch keine regelmäßige Straßenbeleuchtung! Auch die Beleuchtung der Innenräume war bescheiden. Der englische Gesandte in Berlin, Lord Malmesbury erzählt 1767, dass die Schlosszimmer auch bei Hoffesten nur durch eine Kerze beleuchtet wurden, die Königin und der Hof mussten im Finstern warten, bis der König anstecken ließ. Selbst im Salon der Gräfin Dubarry in Versailles trug der Lüster nur 6 Kerzen. Ebenso langsam beginnt man die Straßen ordentlich zu pflastern. In Potsdam nötigte der Schmutz alle, die sich in Gesellschaft begaben und nicht eigene Equipage besaßen, auf Stelzen zu gehen. In Wien fiel es Nikolai sehr auf, dass bei Staub die Straßen täglich zweimal gesprengt wurden. Öffentliche Promenaden erhielten Berlin erst durch Friedrich den Großen im Tiergarten, Wien durch Joseph II. im Prater und im Augarten.

So unansehnlich wie die Häuser von außen, so unbequem waren sie im Innern. Man denke nur an die Beschreibung, die Goethe von seinem Vaterhaus macht und an die Szene, die er mit dem alten Rat hat, als er ihm die praktische Einrichtung der Leipziger Wohnhäuser rühmt. Nürnberg fand Nikolai 150 Jahre zurück in allem, was die Einrichtung der Zimmer und die Ausnutzung des Raumes beträfe, nur Wien fand Gnade vor seinen Augen. Die Einrichtung der Läden war höchst primitiv. Das Brett, welches nachts das Fenster verschloss, wurde am Tage als Tisch herausgeklappt, so dass der Käufer auf der Straße blieb. So wird es uns beschrieben und so zeigen es die Bilder. Als der Franzose Gonord, ein Silhouettenkünstler, in Wien 1782 einen Laden eröffnete, erregte es Erstaunen und Missbilligung, dass er abends sogar sein Fenster beleuchtete. Fachwerkhäuser, Schindel- und Strohdächer machen Brände zur größten Gefahr. Nur sehr allmählich wird, vielfach zwangsweise, die Feuerversicherung eingeführt, welche großem Widerstand begegnet, denn, sagen in Württemberg die Prälaten: Womit soll denn Gott strafen, wenn alles versichert ist?