Das Theater

Bevor wir einen flüchtigen Blick auf das Theater jener Zeit werfen, müssen wir uns klar machen, dass die abstrusen Ideen, die mit dem Theater den Begriff von Bildungsanstalt verbinden, Ideen, die man im 20. Jahrhundert endlich wieder über Bord geworfen hat, dem 18. Jahrhundert fremd waren und erst im Laufe desselben mit dem Erstarken des Bürgertums erwachen.

Das Theater war damals — Gurlitt hat das so sehr hübsch ausgeführt — eine Schaubühne, bei der nicht die Handlung die Hauptsache war, sondern die pompöse Dekoration und Comparserie. Das Auge sollte in erster Linie unterhalten werden, das Ohr kam erst an zweiter Stelle. So war die große Oper ein Schauplatz der Prachtentfaltung fürstlicher Höfe. Vier Generationen der berühmten Künstlerfamilie der Bibbiena haben dieser Kunst der Illusion ihre Talente geliehen, die verschwenderischsten Fürsten der Zeit, August der Starke, Karl Eugen von Württemberg, den ganzen Luxus ihrer Hofhaltungen in ihren Dienst gestellt. In Wien kostete die Inszenierung jeder neuen Oper 60.000 Gulden, in Dresden kamen einzelne Ballette auf 36.000 Taler, in Stuttgart erhielt der Tänzer Vestris für sich allein für sechs Monate 12.000 Gulden, Zahlen, die man, um den heutigen Geldwert zu erhalten, mit 3 multiplizieren muss.


Das war die alte italienische Oper mit ihrem sinnlosen Text, bei der es auf Sinn und Verstand gar nicht ankam, aber auf dankbare Arien für die großen Sterne. Jahrzehntelang dichtete damals Metastasio in Wien die Libretti, welche jeder Hofkomponist Salieri, Graun, Hasse u. a. dann nach eigenem Gefallen komponierte. Die Ausführenden waren meist italienische Castraten, die sich an manchen Bühnen bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts behauptet haben. Diese Unglücklichen bezogen solche Gehalte, dass in Italien damals mancher Vater seinen Sohn verstümmeln ließ, damit er einmal die Stütze seiner Familie werden könne. Einer der berühmtesten von ihnen war wohl Farinelli, außerordentlich durch seine Stimme, die 23 ganze Töne beherrschte, ohne zu fistulieren, und seine Schicksale. Als er von 1734 bis 1736 in London sang, war die Gesellschaft im Delirium. Das Glaubensbekenntnis: es gibt nur einen Gott, vermehrte man um den Zusatz: und nur einen Farinelli. Dann ging er für ein Jahrgehalt von 50.000 Francs nach Spanien, um 26 Jahre lang im Dienste zweier geisteskranker Könige zu stehen. Zehn Jahre lang sang er Abend für Abend die gleichen vier Arien, ohne je vor Fremden oder im Theater auftreten zu dürfen.

Der Zutritt in die Opernhäuser, deren Pforten auch in protestantischen Ländern meist nur im Fasching geöffnet waren, war umsonst. Der Hof, der sie unterhielt, nahm die besten Plätze für sich. Die Herrschaften saßen vorn im Parkett, die übrigen nach Rang und Würden. Der beste Platz war im Proszenium auf der Bühne selbst und diese Gewohnheit, von der Liselotte schreibt: „die leutte stellen sich so haufenweis auf das Theater, dass die Schauspieler keinen Platz haben“, existierte noch in Goethes Jugendzeit in Frankfurt. Da die höfische Gunst sich ausschließlich der prachtvollen Oper zuwandte, blieb das Schauspiel dem Hanswurst oder schlimmeren Unterhaltungen wie den Tierhetzen. In Wien wohnte 1781 Nikolai einer Vorstellung im Hetztheater bei, in der ein fettes Schwein von zwei Wölfen lebendig gefressen wurde. Katholische Gegenden kannten noch eine Art moralischer Theater, wie Jesuitenkomödien, welche biblische und profane Vorwürfe, wie etwa die Geschichte von Abraham und Isaak mit Perseus und Andromeda auf das wunderlichste durcheinander mischten, oder gar wie die regulierten Chorherren in Wengen 1783 das Lustspiel von Engel „Der Edelknabe“ mit Hinzufügung von Isaak und Ismael in ein Singspiel verrührten. Einen Platz für sich beanspruchten die Autos sacramentales, wie sie der sächsische Gesandte v. Gleichen in Spanien sah.

Man sah da etwa einen Jahrmarkt, auf dem Christus und die heilige Jungfrau Buden halten, während der Teufel und die sieben Todsünden Konkurrenzgeschäfte aufgemacht haben. Die armen Seelen kommen in Haufen und wenden ihre Kundschaft natürlich den letzteren zu. Unser Herr und seine göttliche Mutter teilen sich ihren Verdruss über den schlechten Geschäftsgang in einem pas de deux mit, worauf sie sich kurz entschließen, und die Konkurrenz mit Peitschen vertreiben. Bei der Darstellung der Verkündigung sah man Maria beim Kohlentopf sitzen und den als Stutzer gekleideten Engel Gabriel zur Schokolade einladen. Er muss leider danken, da er schon bei Gottvater eingeladen sei. Nach vielen gegenseitigen Komplimenten tritt der Heilige Geist ein und tanzt mit Maria einen Fandango. In dem Auto von der Entstehung des Christusordehs erfährt man, dass der Heiland sich darum bewirbt, Ordensritter von San Jago zu werden. Dieser Orden ist sehr stolz und nimmt nur Leute von ältestem Adel in seine Reihen auf. Es ist also unmöglich, dass er unseren Herrn akzeptiert, dessen Vater ein Zimmermann war und dessen Mutter sich mit Nähen ernährte. Immerhin erkennt das Kapitel an, dass ja gewisse Rücksichten in diesem Falle genommen werden könnten, und so schreitet man dazu, für den Heiland einen besonderen Orden, den Christus-Orden zu stiften.

Zur gleichen Zeit, als Gluck und Mozart die deutsche Musik von der Alleinherrschaft des italienischen Stiles zu befreien suchen, als Bach und Händel dem veralberten religiösen Schauspiel das Oratorium entgegensetzen, Geister, viel zu groß, als dass ihre Zeitgenossen sie mehr als halb hätten verstehen können, ersteht auch das deutsche Schauspiel wieder. In den Truppen der Koch, Ackermann, Döbbelin, Schuch erwächst eine deutsche bürgerliche Nationalbühne, welcher Lessing mit seiner Minna von Barnhelm 1765, mit seiner Emilia Galotti 1773, den Lebensodem einhaucht. 1768 gründet die Herzogin Amalie in Weimar ein Theater, um Geschmack und Sitten des Volkes zu verbessern und zu verschönern, welches jedermann dreimal wöchentlich umsonst besuchen durfte. 1776 wird das Burgtheater in Wien begründet, die klassische Stätte deutscher Schauspielkunst, 1779 das National-Theater in Mannheim, lange Jahre das Vorbild Deutschlands.