Das Spiel

Alles, was das 18. Jahrhundert an Zerstreuungen kannte, wird aber in Schatten gestellt durch das Spiel. Eine wahre Spielwut scheint die Zeit ergriffen zu haben.

Hoch und nieder, arm und reich, Höfe, Adel, Bürger und kleine Leute, alle huldigen dem Glücksspiel, keine Gesellschaft ohne Kartenspiel, kein Zirkel ohne Falschspieler. Niemand tanzt mehr, beklagt sich Liselotte, alles spielt und 70 Jahre später findet Goethe, dass sein Vater ihm einen großen Schaden zugefügt habe, indem er ihn vom Spiel abgehalten und fügt hinzu, das Spiel sei jungen Leuten doch sehr zu empfehlen, denn eine Gesellschaft ohne Kartenspiel ließe sich ja gar nicht denken, Grundsätze, denen auch Lesing, der eine Jeuratte war wie nur eine, nur zu eifrig huldigte. Vermögen, Ehre, guter Ruf, Anstand und Sitte werden in die Schanze geschlagen, um dem Spiel zu fröhnen. Die Gräfin Sintzendorff verspielt 20.000 Gulden in einem Winter, die Fürstin Auersperg verliert ihre ganze Mitgift, 12.000 Dukaten, an einem Abend.


Der Abt vom Heiligen Kreuz in Donauwörth spielte so leidenschaftlich, dass das Kloster eine Besitzung nach der anderen verkaufen muss. Die Frau des Malers J. B. Tiepolo verspielte, während ihr Mann verreist war, alle Skizzen ihres Mannes, sogar ihr Landhaus mit allen seinen Fresken. Der Herzog und die Herzogin von Glocester, die sich 1783 in Ansbach aufgehalten haben, verlassen es nach 3/4 Jahren mit Hinterlassung von 150.000 Gulden Spielschulden. Ein Graf Schwerin verspielt sein ganzes Vermögen und abenteuert dann mit dem blutbefleckten Sterbehemd und Ordensband seines vor Prag gefallenen Onkels, die er für Geld sehen lässt oder versetzt, solange in der Welt umher, bis ihn der König aufgreifen und in Spandau internieren lässt, wo er mit dem Abschaum der Festungsgefangenen weiterspielt.

In Regensburg wird eine Dame am Spieltisch von der Geburt überrascht und wenn Keyßler von zwei Damen erzählt, welche 24 Stunden hintereinander fortspielten, so übertrifft sie Casanova, der in Sulzbach eine Partie mit dem Chevalier d'Entragues ununterbrochen 42 Stunden hindurch fortsetzte. Nikolai schätzte das Kartengeld, welches die Bedienten erhielten, für Berlin allein auf etwa 30.000 Taler im Jahr und dieser allgemeinen Spielwut huldigt selbst die Geistlichkeit. Die Oratorianer in Genua ließen ihre Gäste auf der Vigna des Klosters spielen, aber nicht um Geld, sondern um Paternoster und Ave Maria, die der Verlierende, ehe er sich in die Stadt zurückbegab, vor einem Kruzifix abbeten musste. In Venedig errichtete der Rat den Ridotto, ein Gebäude, welches ausschließlich dem Glücksspiel gewidmet war, wo an 60 bis 80 Tischen gespielt wurde, wo aber das Bankhalten nur den Patriziern erlaubt war, die dazu Amtstracht und die große Wolkenperücke anlegen mussten.

1709 sprengte König Friedrich von Dänemark im Ridotto die Bank. Der Schelm Casanova, auf dessen unterhaltende Memoiren man immer wieder zurückkommen muss, wenn man sich mit der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts beschäftigt, bekennt ja oft genug, wie gewinnbringend das Bankhalten war. Er selbst und ein ganzes Heer von Abenteurern seiner Gattung bestritten ihren ganzen Lebensunterhalt durch das Spiel und sind beständig auf Reisen, um die Gesellschaft zu schröpfen; denn gespielt wird immer und überall und von jedermann. Bei dieser allseitigen Neigung zum Spiel begreift man erst das Staunen, mit dem der Marquis von Chastellux 1782 von seinem Besuch beim General Nelson in Amerika berichtet, wo in einem Aufenthalt von mehreren Tagen nie gespielt worden sei. Um von dieser Disposition der Menschheit zu profitieren, führten damals fast alle Regierungen die Geldlotterien ein oder das Zahlenlotto, welches Italiener mit Bewilligung der hohen Obrigkeiten nach Österreich, Preußen, Württemberg, Bayern, Hessen-Kassel usw. brachten. Den Gewinn am Wiener Lotto veranschlagte Schlözer für das Jahrzehnt von 1759 bis 1769 auf 21 Millionen Gulden.