Uniformierungssucht

Dieser Wunsch, durch Verschiedenheiten in der Kleidung Stände und Volker von einander scheiden zu wollen, die sich gerade in dieser Zeit des Weltbürgertums einander zu nähern beginnen, müsste wundernehmen, hinge diese Neigung nicht auf das engste mit einer anderen Eigenschaft des 18. Jahrhunderts zusammen, der Uniformierungswut.

Die aufgeklärten Volksbeglücker leiden an derselben Reglementierungssucht und Gleichmacherei wie Tyrannen und Republikaner. Man baut ganze Städte nach einförmigen Plan, wie in Deutschland Mannheim und Karlsruhe, neue Stadtviertel wie Dorotheen- und Friedrichstadt in Berlin; als Pombal nach dem großen Erdbeben das zerstörte Lissabon wieder aufbaut, da geschieht es in der Form einer Kaserne. Eine Riesenprachtfassade nach dem Tajo, dahinter in abgezirkelten, uniform ausgestalteten Rechtecken die neuen Stadtteile, wo jedes Handwerk nur in einer bestimmten Straße wohnen soll. Madrid, Salamanca, Paris, London, Turin, Petersburg und viele, viele andere Orte tragen heute noch die Spuren der ästhetischen Uniform, die ihnen das 18. Jahrhundert angelegt. Wie die kurbayerische Regierung alles regeln will, was die Untertanen tun und lassen, so mischt sich auch Struensee während der kurzen Zeit seiner Macht durch einen Regen von Erlassen und Verordnungen in die persönlichsten Angelegenheiten seiner Dänen, um sie mit Gewalt glücklich zu machen, gerade so wie Joseph II. seine Österreicher.


Der Sturm und Drang der Aufklärungsperiode war die natürliche Reaktion gegen diese schnöde Missachtung der persönlichen Freiheit. Wie man die Städte am liebsten in gleicher Form gesehen hätte, so würde man am liebsten auch jedermann ein gleiches Kleid gegeben haben. Selbstverständlich steckte man die Zöglinge der Erziehungsinstitute und Waisenhäuser zuerst in Uniform. Auf dem Philanthropin in Heidenheim trugen die Kinder braunroten Berkan mit blau atlassnen Aufschlägen und Stahlknöpfen, dazu weiße runde Hüte mit blauen Federbüschen; auf dem in Dessau weiße Röcke mit hellblauem Brustlatz, in Schnepfenthal rote Jacken. Der Herzog von Württemberg wollte sein ganzes Land uniformieren und gab wenigstens dem ganzen Volk seiner Hof-, Militär- und Zivilbeamten Uniformen.

Katharina II. erließ 1783 einen Ukas, mittels dessen in Esthland, Livland und Ingermannland Männer und Frauen eine bestimmte Provinzialkleidung erhielten. Herr von Corberon, 1775 — 1780 Attache der französischen Gesandtschaft in Petersburg, schreibt diese Verordnungen dem Wunsche der Kaiserin zu, ihre Schwiegertochter am Tragen französischer Moden und Pariser Coiffüren zu hindern. Der knappe Schnitt der männlichen Kleidung und die bunte Farbe derselben forderte ordentlich dazu heraus, den Zusammenschluss Befreundeter durch die gleiche Art der Kleidung zu dokumentieren, die genialische Jugend ging à la Werther, der Schillersche Kreis in Jena trug als Zeichen seiner Zusammengehörigkeit dunkelblauen Frack mit himmelblauem Futter und silbernen Knöpfen, die Ritterschaft in Westfalen gab sich selbst eine nach den Kreisen in ihren Farben unterschiedene Uniform usw.