Kleiderordnungen

Durch das ganze Mittelalter geht der Kampf, den die Obrigkeiten mittels ihrer Kleiderordnungen gegen den Luxus und die Verschwendungssucht ihrer Untertanen geführt haben, ein Kampf, der in erster Linie der Aufrechterhaltung äußerlich sichtbarer Standesunterschiede galt.

Er ist nie erloschen, denn er war immer vergeblich, aber er hat sich bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts ununterbrochen fortgesetzt. Wie man in einigen Staaten die Einfuhr verschiedener Stoffe und Spitzen untersagte, um die heimische Industrie zu schützen, so verbot man auch den Angehörigen gewisser Stände das Tragen mancher Modeartikel, weil die Herren sich absolut nicht in den Gedanken finden wollten, dass die äußerliche Sichtbarkeit der Standesunterschiede verschwinden könnte. Die Fontangen wurden z. B. 1698 in Leipzig, 1705 in Zwickau verboten, ebenso der Gebrauch der Mouche. Dass in Sachsen den Dienstmädchen das Tragen der Reifröcke untersagt war, ist schon erwähnt worden. Man wollte den niederen Ständen auch vorschreiben, welche Sorten von Pelzwerk sie tragen durften.


L. Bartsch hat über die Prozesse, welche oft daraus entstanden sind, die amüsantesten Tatsachen beigebracht. Darüber, „was jedem in seinem Stand in Bekleidungen zugelassen oder verboten ist“, Verbote der Hoffart, wonach sich Bürger nach Unterschied der Stände zu verhalten haben, sind z. B. in Nürnberg 1693, in Stettin 1708, in Stralsund 1729, in Gotha 1737, in Fulda 1766 erschienen, das letzte natürlich in Mecklenburg 1786. Ganz besonders hatten es die regierenden Herren auf die goldenen und silbernen Tressen, Besätze und Stickereien abgesehen, welche sie Bürgersleuten nicht gönnen wollten.

In Kur-Bayern, das in Reglementierungssucht und polizeilicher Bevormundung der Untertanen auf das erfolgreichste mit Preußen wetteiferte, das seinen Bauern vorschreiben wollte, zu welchen Stunden das Vieh im Stalle, an welchen auf der Weide zu sein habe, die Höhe des Tagelohnes ohne Rücksicht auf Angebot und Nachfrage zu regeln unternahm, wo man selbst die Größe der Baumaterialien vorschrieb, untersagte man 1749 dem Volk die Verwendung von Gold-und Silberstoffen und Besätzen und schritt, um diesem Verbot Nachdruck zu geben, am Neujahrsmorgen 1750 zum Angriff gegen die Kirchgängerinnen vor. Ohne Schonung wurden ihnen die goldenen Riegelhauben und Bruststücke entrissen und konfisziert. Manche, die besonders schlau hatten sein wollen, und ihre Riegelhauben erst in der Kirche aufgesetzt hatten, mussten sie beim Verlassen derselben doch noch hergeben. Den Ratsfrauen, gegen die man nicht ganz so brutal vorzugehen wagte, wurde zur Strafe Militär ins Haus einquartiert.

Am rigorosesten in dieser Beziehung war man in den kleinen Gemeinwesen staatlicher und städtischer Republiken. Die Schweizerinnen waren daheim durch Kleiderordnungen so beschränkt, dass sie, wie Keyßler findet, deshalb mit solcher Vorliebe ausländische Badeorte besuchen, ja viele derselben sich vor der Heirat schriftlich die Versicherung geben ließen, dass sie jedes Jahr ihre Badereise ins Ausland sollten machen dürfen. In Genua war den verheirateten Damen nur im ersten Jahr des Ehestandes erlaubt, bunte Farben zu tragen, nachher mussten sie egal schwarz gehen. In den deutschen Reichsstädten, wo das Tragen von Federhut und Degen allein den Patriziern vorbehalten war, in denen Ratsherren, Geschlechtern, gemeinem Volk, Handwerkern, Mägden usw. für jeden sich im Leben bietenden Vorfall wie Taufe, Hochzeit, Beerdigung usw. genau vorgeschrieben war, was sie tragen mussten, kommt die lokale Tracht, in der sich noch Reste alter Moden des 16. und 17. Jahrhunderts konserviert hatten, allen Ge- und Verboten zum Trotz doch in Abnahme. Keyßler fand schon 1730 in Heilbronn, dass die eigentümliche Trauerkleidung der dortigen Frau so ziemlich verschwunden sei und in Ulm bemerkte Nikolai 1781, dass hauptsächlich nur noch die Dienstmädchen, wenn sie zu Hochzeiten, Kindstaufen und Leichen einluden, jedesmal anders gekleidet sein müssten. Am längsten hat sich merkwürdigerweise Straßburg, das doch seit 1681 zu Frankreich gehörte, eine altreichsständische Einfachheit bewahrt. Der berühmte Rechtslehrer Pütter beobachtete das noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts, während zu Goethes Zeiten die städtische Gesellschaft sich schon französisch kleidete, und die deutsche Tracht sich auf die Landbewohner beschränkte. Als er die Schwestern Brion aus Sesenheim nach Straßburg bringt, sind sie dort die einzigen in deutscher Kleidung. Wieder einige Jahre später findet Lauckhard nur noch die dienende Klasse in der alten Tracht.

In bezug auf die Kleidung sind Befehle ebenso machtlos wie Verbote. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen kleidete einmal bei einer Truppenrevue, der die französische Gesandtschaft beiwohnte, die verachteten Profossen in die eleganteste Pariser Modetracht. Gerade in jenen Jahren erlitt die englische Regierung, welche nach dem Unglückstage von Culloden den Schotten das Tragen des Kilt verboten hatte, einen Fehlschlag. Sie hat es auch nicht durchsetzen können, dass ihr Befehl, an Stelle des Schurzes Beinkleider zu tragen, befolgt worden wäre. Im Gegenteil, die französische Mode hat, wie manche alte Bilder von Bonnie Prince Charlie und anderen Kavalieren zeigen, eine Verbindung mit dem Kilt eingegangen, eine Art Zweiteilung des Mannes geschaffen, von oben bis zum Gürtel ist er Franzose, von da bis zu den Füßen Schotte. Unter den Regierungen der Könige Karl III. und Karl IV. dringt die französische Mode auch nach Spanien vor und behauptet sich neben der schwarz gehaltenen Volkstracht. Man nennt sie auch beim Zivil „Militärkleidung“ und selbst die ältesten Leute tragen, wenn sie ihr heimisches Schwarz einmal ablegen, im französischen Kostüm Rosa oder Himmelblau.

Überzeugt von dem Misserfolg polizeilicher Verbote, versucht es 1781 der Großherzog Leopold von Toskana, seinem Adel durch freundliches Zureden den Luxus in der Kleidung abzugewöhnen und hat auch vorübergehende Erfolge insofern, als eben in Florenz eine Zeitlang die einfachen Schnitte und Farben Mode werden. Ein Anonymus veröffentlichte (im Wien Josephs II.) 1786 einen Vorschlag, der genaue Unterschiede festsetzte für die Kleidung aller Stände und Berufe, wo für alle Abstufungen der Beamten, Lakaien u. a. gewissenhafte Vorsorge getroffen war. Andere versuchen die Standesunterschiede, welche eine gleiche Kleidung allerorten äußerlich völlig zu verwischen im Begriff ist, dadurch zur Geltung zu bringen, dass, wie z. B. ein Freiherr von Schröder damals vorgeschlagen hat, jedermann durch ein gewisses Kleinod, das er sichtbar zu tragen habe, seine Zugehörigkeit zu dieser oder jener Klasse dokumentieren müsse.

Der Marquis Caraccioli wollte, dass Achselbänder von gewisser Form und Farbe diesem Zwecke dienen sollten, Vorschläge, die selbstverständlich ebenso ins Wasser fielen wie das Unternehmen, eine Nationaltracht einzuführen, die den beständigen Wechsel der Mode verhindern sollte. In Deutschland sind derartige Ideen, wie sie z. B. Justus Moser oder der bekannte Pamphletist Weckherlin in seinen Chronologen vertrat, wie sie später Bertuch in seinem Journal des Luxus und der Moden zur Diskussion stellte, über das Papier, auf dem sie erörtert wurden, nicht lebendig geworden. Nur in Schweden hat man sich ernsthaft damit befasst. 1773 hat die schwedische patriotische Gesellschaft eine Preisfrage zur allgemeinen Beantwortung gestellt, ob es nicht für Schweden vorteilhaft sein würde, eine Nationaltracht anzunehmen und schon im Jahre darauf 65 verschiedene motivierte Antworten erhalten, die größtenteils bejahend ausfielen. 1778 erließ Gustav III. wirklich eine Verordnung, die beiden Geschlechtern eine Nationaltracht vorschlug, ein Kostüm, welches der König, seine Brüder und der ganze Hof auch wirklich eine Zeitlang getragen haben. Es war nach den erhaltenen Abbildungen zu urteilen, nichts anderes als die Zeitmode verquickt mit einigen Elementen der Tracht des 15. Jahrhunderts. Der König hatte nicht viel Glück mit seiner Erfindung. „Im Putze Gustavs III. und seiner Günstlinge“, schreibt der Herzog von Levis, „bemerkte man mit Erstaunen etwas Weibisches und Weichliches, das einen gewissen Verdacht hinsichtlich seiner Sitten zu bestätigen schien.“ Als er in Petersburg so erschien, nannte ihn Katharina II. nur König Harlekin. Es war ein Versuch genau nach dem Muster desjenigen, den die Brüder Ludwigs XVI. in Versailles unternommen hatten, als sie 1777 für sich und ihr Gefolge gelegentlich des Besuches Kaiser Josephs II. von ihrem Hofschneider Sarrazin ein Kostüm entwerfen ließen, das sich mit Wams und Puffen an jenes der Zeit Heinrichs IV. anlehnte, und nur am Hofe vorübergehend zur Geltung gekommen ist.