Die Perücke

Die Mode der Haarfrisur wechselte häufig, wenn sich auch bald gewisse Formen der Perücke — denn bei den Herrenfrisuren handelt es sich fast immer nur um eine solche — als Standesabzeichen einbürgerten. Die Encyclopédie peruquiere beschrieb 1764 schon 115 verschiedene Sorten von Perücken.

Die englischen Perückenmacher richteten 1762 eine Eingabe an den König, er möge befehlen, dass alle Männer Perücken tragen sollten, sonst könnte ihr Gewerbe nicht bestehen. Die große Perruque carrée, auch spanische genannt, blieb dem Kaiser und den höchsten Standespersonen vorbehalten. Am österreichischen Hofe Karls VI. war sie ein ausschließliches Vorrecht des Kaisers und den Hofleuten nur während des Aufenthalts in Laxenburg oder der Favorite erlaubt.


Dann aber trugen z. B. Advokaten andere Perücken als Geistliche, Kaufleute andere als der Adel, zumal aber hat das Militär eine besondere Frisur gepflegt, den Zopf. Man schreibt seine Erfindung Friedrich Wilhelm I. von Preußen zu. wahrscheinlicher ist seine Herkunft aus China, das ja gerade damals Europa mit den Erzeugnissen seiner künstlerischen Kultur erstaunte und entzückte. Jedenfalls entsprach seine Form dem pedantischen und sparsamen Sinn des Königs, der in seiner Jugend die große Perücke nur mit Widerwillen getragen hatte, war sie ihm doch schon deswegen verhasst, weil sie aus Frankreich kam. Wenn er den Zopf nun auch nicht zu erfinden brauchte, jedenfalls hat er ihn in seine Armee eingeführt, die fast ein Jahrhundert lang den steifen bebänderten Zopf im Nacken trug.

Da die Heere der übrigen europäischen Staaten sich nach dem preußischen Muster richteten, so verbreitete sich der preußische Zopf über die Welt; in der französischen Armee wurde er nebst dem Puder zuerst wieder abgeschafft, aber auch erst 1803 durch den Marschall Junot. Für solche, die nicht zum Militär gehörten, galt der Zopf eigentlich nicht als schicklich. In Deutschland hat ihn wohl der Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, der als Oberst der preußischen Armee angehörte, zuerst abgelegt. Wie die Mode aber auch wechseln mochte, wie verschieden die Formen der Perücke der Privatleute, des Zopfes bei den Soldaten war, pudern mussten sie sich alle miteinander. Man hat damals Aufstellungen zu machen versucht über die enormen Mengen von Reis- und Weizenmehl, welche alljährlich an den Köpfen der Menschheit zerstäubten und schließlich durch die hohen Ziffern erschreckt gegen Ende des Jahrhunderts die Gepuderten als Volksfeinde gebrandmarkt, welche das Nahrungsmittel des Volkes geringschätzten. Bis dahin aber war es unerlässlich für jeden, der zur besseren Klasse gerechnet sein wollte, sich auch das Haar mit Puder einzustäuben.

Die gleichmäßige Verteilung desselben war eine Frage von größter Wichtigkeit. Vornehme Leute hatten eigene Kabinetts zu diesem Zwecke. Der Puder wurde gegen die Decke gestäubt und fiel von da wie ein zarter Schnee auf die Köpfe herab, indessen der also Behandelte sein Gesicht während der Manipulation in eine Tüte steckte, damit ihm das feine Pulver nicht in Augen, Mund und Nase käme. Sich pudern zu können, war nicht jedermanns Sache, sich pudern zu dürfen nicht jedermann erlaubt. Auf der hohen Karlsschule durften nur Adelige und Offizierssöhne sich pudern, die anderen nicht. Auch den Stipendiaten der Tübinger Hochschule war es untersagt. Sich pudern zu dürfen, war eben das Vorrecht einer höheren Klasse. So zahlte auf der Donaufahrt von Regensburg nach Wien die „gemeine“ Person für ihren Schiffsplatz nur zwei Gulden, die „gepuderte“ dagegen einen Dukaten.

Wir, die wir seit Jahren gewohnt sind, dass ein Herr, der nicht wie ein Musikschüler aussehen will, seinen Kopf scheren lassen muss wie ein Zuchthäusler, begreifen die Wichtigkeit gar nicht mehr, die damals die Frisur auch für Männer hatte. Ein kahler Kopf war eine Schande im i8. Jahrhundert, daher die Sorgfalt, mit der man das Haar pflegte, um es so lang wie möglich zu erzielen. Fürst Belgiojoso in Mailand ließ sich jeden Monat einen Friseur aus Paris kommen, um stets nach der neuesten Mode frisiert zu sein. Die Perücke war übrigens der Frisur aus eigenem Haar vollkommen gleichwertig. Man trug sie ganz offen und schämte sich derselben nicht, ja als einst der englische General Lord Albemarle sich das Gesicht verbrannt hatte, und, um es zu verbergen, seine Perücke schief aufsetzte, machten es ihm alle Offiziere seiner Truppen sofort nach. Wohlhabende hatten mehrere Perücken, wenn auch vielleicht nicht alle in demselben Maßstab wie der Graf Brühl, welcher 1.500 besaß, „viel für einen Mann ohne Kopf“, soll Friedrich der Große von ihm gesagt haben.

Es galt in manchen Kreisen für reinlicher, Perücken zu tragen, als das eigene Haar, was man bezweifeln möchte, wenn man an die Beschreibung denkt, welche die Markgräfin von Bayreuth entwirft, als sie von ihrem Empfang in Hof, den Herren von Reitzenstein und ihren Perücken voller Läuse spricht. Wenn der Kopf eingefettet und mit Puder dick bestreut sein musste, war das allerdings oft von zweifelhafter Sauberkeit. Aus diesem Grunde hatte Casanova als Knabe eine blonde Perücke zu tragen. Als der französische Marschall Conflans in rundgeschnittenem Haar ging und diese Mode beim Militär einzuführen versuchte, wurde ihm entgegnet, dass das unsauber sei, denn wenn die Soldaten sich nicht mehr Zöpfe flechten und Locken wickeln müssten, dann würden sie sich überhaupt nicht mehr kämmen. In Wien dagegen durften die Kellner sich nicht frisieren und pudern, sondern mussten das Haar rund verschnitten tragen. Jedenfalls waren die Perücken sehr heiß am Kopf, und so gut wie man die gestickten Kleider im Hause ablegte, hängte man auch die Perücke an den Nagel und trug eine Mütze oder ein Tuch. So beschreibt Goethe den Hofrath Hüsgen, der immer eine weiße Glockenhaube trug.

So ging auch Voltaire in Ferney am liebsten ohne Perücke, und viele Künstler haben sich selbst in der Nachtmütze porträtiert, wie Chardin, La Tour, Georg Friedrich Schmidt, Bernhard Vogel, Preisler, Haid u. a. Während des ganzen Jahrhunderts war auch der Bart streng verpönt, nur Schauspieler, welche Mörder oder Straßenräuber spielten, trugen einen Schnurrbart. Der bekannte Schwärmer Edelmann erregte durch seinen langen Bart mehr Aufsehen als durch seine heterodoxen Anschauungen, ja der Bildhauer Permoser, welcher ebenfalls einen Bart trug, fühlte sich gedrungen, zur Entschuldigung dieses ganz ungewöhnlichen Vorgehens ein amüsantes kleines Buch zu schreiben. Der Maler Gabr. Andr. Donath, der um 1735 in Dresden lebte, trug einen langen Bart in Papilloten von Papier, der Genfer Liotard war in Paris durch seinen langen Bart mindestens ebenso berühmt wie durch seine Pastelle und Miniaturen.