Die Adrienne

Bei diesem neuen Kleid waren Taille und Rock in eins geschnitten. Es war weit, lang und umhüllte, ohne am Gürtel eingenommen zu sein, seine Trägerin nur ganz lose, ihr die Gestalt eines Kegels gebend. Es ist das Kostüm mit der weiten Rückenfalte, in dessen legeren Wurf Watteau auf seinen Bildern die Frauen am liebsten kleidet. Es trat zugleich mit der Einführung des Reifrocks auf und begegnete starker Missbilligung. Liselotte, welche findet, dass man „kammermegtisch“ darin aussehe, schreibt 1721 ihre Meinung ganz unverhüllt: „Die weitte rock, so man überall tragt, seind mein aversion, stehet insolent, als wenn man auß dem Bett kommt. Die mode von den wüsten rocken kompt von Madame von Montespan so es trug, wenn sie schwanger war. Madame d'Orleans hat sie wieder auf die Bahn bracht.“

Diejenige, welche dieses Kleid in die Mode lancierte und ihm den Namen „Adrienne“ gab, war die Schauspielerin Madame Dancourt, die den Schnitt 1703 zuerst auf der Bühne trug. Sie spielte in der Komödie Andrienne von Baron die Glycerie und trat darin der Situation ihrer Rolle entsprechend in diesem Umstandskleide auf. Die Aversion der guten Pfälzerin ist nicht leicht zu begreifen, denn diese weiten Kleider erforderten ebenso gut das Korsett, wie der große Habit, ihr Négligé bestand nur für das Auge in dem losen Wurf ihrer Falten. Wie aber das Neue Gegner schon aus dem Grund findet, weil es neu ist, so wurde diese „Adrienne“ 1730 in Wien verboten.


Die Frauen sollten nicht, wie Keyßler schreibt, um ihre Fleischbänke desto besser auslegen zu können, in französischen Säcken zur Kirche kommen. Zu den Zeiten der Montespan hatte dieses Umstandskleid den Namen „Innocente“ geführt. Dann hieß es „Adrienne“ oder „Volante“, führte auch eine Zeitlang nach der Gattin des Malers Pater die Bezeichnung „Hollandaise“. In England nannte man die weiten Kleider 1754 „Cardinals“, „Trollopies“ , „Slammerkins“, in Deutschland am liebsten Kontusche. In Gellerts Lustspiel „Die kranke Frau“ bildet die neue Adrienne der Frau Stephan den Drehpunkt des ganzen Stückes.

Die Kontusche gewährte reisenden Prinzessinnen eine Art Inkognito. So erfindet die Markgräfin von Bayreuth, als sie zur Krönung nach Frankfurt reist, für sich und ihre Hofdamen einen besonderen Schnitt derselben. Als Marie Antoinette 1778 zum ersten Male in anderen Umständen war, brachte sie ihr Umstandskleid als „Levite“ in die Mode. Sie ließ sich auch von Madame Vigée Lebrun in diesem Kostüm malen, als das Bild aber im Salon von 1783 ausgestellt wurde, erregte es beim Publikum solchen Anstoß, dass es entfernt werden und durch ein Porträt in großem Putz ersetzt werden musste.

Dieser Form fügte die Vicomtesse de Jaucourt 1781 noch eine Schleppe „à queue de singe“ hinzu. Als die Dame zum ersten Male im Garten des Palais Luxembourg in geschwänzter Affenform promenierte, trieb sie der Hohn der Spaziergänger in die Flucht. Man nannte den Schnitt auch „Polonaise“, Pierrot, Circassienne, robe à la turque, à la Créole etc. Schließlich wird hoch und geschlossen mit langen Ärmeln die Robe à l'Anglaise daraus, wie sie Reynolds, Gainsborough u.a. so oft mit ihren schönen Modellen gemalt haben. Es ist das Kostüm, aus dem einige Jahre später das antike wird, wie es einzelne besonders mutige Damen auch schon früher zu tragen versucht haben. Die schöne Elisabeth Chudleigh, als nachmals vermählte Herzogin von Kingston durch ihren famosen Bigamieprozess so bekannt geworden, erschien 1749 auf einem Subskriptionsball in Somerset House in London als Iphigenie vor dem Opfer, wurde aber ihrer dürftigen Bekleidung wegen auf Veranlassung des Hofes aus dem Saal gewiesen, während Corona Schröter, die 1778 ihr antikisierendes Gewand „in edler attischer Eleganz“ auch auf der Straße trug, in dem Weimar der Geniezeit nur Bewunderung erntete.