Der Reifrock

Der Reifrock war durchaus nicht neu. Das 16. Jahrhundert hatte ihn als Vertugadin gekannt und im 17. Jahrhundert hatte er der spanischen Mode den grotesken Charakter verliehen, der uns an den Porträts des Velasquez so frappiert.

Er war nie so ganz verschwunden, denn wenn Liselotte 1702 ein Kleid beschreibt, das die Königin von Spanien ihrer Schwester, der Duchesse de Bourgogne schenkt, und sagt: Im Unterrock seynd eiserne Reiffen, unten weit, im Heraufgehen enger, so gibt sie damit ein gut getroffenes Bild der Krinoline. Aber in dieser Form war der Reifrock nur ein unsichtbares Hilfsmittel der Toilette gewesen, um die Last der schweren Robe tragen zu helfen, von jetzt an drängt er sich vor, denn er gibt der Trägerin einen ganz veränderten Umriss. Als Tugendwächter — Vertugadin — war er verabschiedet worden, als Hühnerkorb — panier — kam er wieder. Soweit die Nachrichten gehen, erschien er, von England kommend, zum erstenmal 1719 in Paris auf dem Theater.


Es hat fast den Anschein, als hätten ihn die italienischen Komödianten, die der Herzog von Orleans nach Paris zurückrief, mitgebracht. Allgemeines Gelächter empfing ihn: sein Sieg war entschieden. Die heftigen Anfeindungen, denen er vonseiten der Geistlichkeit ausgesetzt war, ein Mitglied der Sorbonne, J. J. Duget, machte ihn zum Studium einer Gewissensangelegenheit für Beichtväter, haben ihm nicht geschadet, denn ehe der Erzbischof von Paris Kardinal de Noailles dazu kam, das Tragen des Reifrockes zu verbieten, hatte ihn ein Lustspieldichter Legrand 1722 in einer Posse so verhöhnt, dass der Kirchenfürst seine Absicht aufgab. Über 40 Jahre hat er geherrscht und das Bild der weiblichen Erscheinung bestimmt. Die Reifröcke waren anfänglich rund und bestanden aus fünf Reihen von Reifen, die sich nach oben verjüngten und durch Wachstuch miteinander verbunden waren. Das Geräusch, das sie beim Tragen machten, zog ihnen den Namen Kreischerinnen — Criardes — zu.

Dann nahm man an Stelle dieses häßlichen Stoffes Wolle, Baumwolle oder Seide und begann die Abwechslung in der Veränderung der Form zu suchen. Man machte den Reifrock tonnenförmig oder gab ihm seit dem Beginn der vierziger Jahre die ovale Gestalt einer Ellipse, indem man ihn von vorn und hinten flach zusammendrückte. Dann hob man ihn an den Seiten durch Aufbinden von Poches über die Hüften hinaus, so hoch, dass der Ellenbogen einen bequemen Ruheplatz darauf fand, und gab ihm eine Größe, die den untersten Reifen 7 — 8 Ellen, den obersten etwa noch 4 Ellen messen ließ. Die Damen, welche solch einen Käfig trugen, konnten nur seitwärts durch die Türen gehen, der Herr, der sie führte, musste einen Schritt vor oder hinter ihnen zurückbleiben. Wenn sie sich setzten oder mehrere beisammen waren, so beanspruchten sie dreimal soviel Platz als bisher. Der weimarische Hofpage Karl Freiherr von Lyncker besann sich darauf, dass, wenn die Herzogin Anna Amalia Sonntags in ihrer Glaskutsche ausfuhr, ihr Reifrock zu beiden Fenstern weit herausragte.

Zu manchen Bällen in Paris und den Hofbällen in Berlin enthielt die Einladung den Vermerk: „Die Damen ohne Reifröcke“. Das veranlasste sofort Zank und Streit. In Versailles fand man es der Würde der Königin nicht entsprechend, dass die Prinzessinnen, die rechts und links von ihr saßen, sie mit ihren Reifröcken vollständig verdeckten, es wurde also angeordnet, dass die Stühle neben Maria Lesczynska frei bleiben sollten. Nun verlangten aber die Prinzessinnen von Geblüt, dass auch sie durch leere Sessel von den Herzoginnen geschieden würden und die Herzoginnen wollten nicht mehr unmittelbar neben den Gräfinnen Platz nehmen. Es entstand ein Aufruhr, der den Frieden des Hofes gefährdete und den zu beschwichtigen erst der Weisheit des Premierministers, des Kardinals Fleury, gelang. Er ließ leere Tabourets zwischen Prinzessinnen und Herzoginnen einschieben, Herzoginnen und Gräfinnen aber mussten nebeneinander sitzen bleiben und sich mit Reifröcken und Schicksal abfinden, so gut sie konnten. Diese Haupt- und Staatsaffäre findet ein Gegenstück in Deutschland, wo die Pfarrerin in Fürstenau mit Rücksicht auf ihren Reifrock zwei Kirchenstühle für sich allein beanspruchte und es darüber sogar zum Prozess kommen ließ.

Der Reifrock verbreitete sich mit großer Schnelligkeit in alle Kreise. In Paris gehen in den zwanziger Jahren schon die Mägde darin auf den Markt, während die deutschen Damen viel weniger nachsichtig gegen ihr Küchenpersonal waren. Sie ließen den niederen Ständen das Tragen des Reifrockes verbieten, in Sachsen hat man 1743 im Dorfe Dennschütz zwei Bauernmädchen prozessiert, weil sie in Paniers gingen, und 1751 in Dresden zwei Dienstmädchen gestraft, weil sie sich erfrecht hatten, im Reifrock die Kirche zu besuchen. Als den Leipziger Mädchen 1750 der Reifrock von der Obrigkeit genommen wurde, gestattete man ihnen zur Entschädigung eine „Commode“ zu tragen, was wir heute Cul de Paris nennen. Der Reifrock drang bis in die klösterlichen Erziehungsinstitute, trotzdem die Geistlichen eine Gewissensfrage daraus machten, ob Klosterfrauen ihren Klosterfräulein den Reifrock gedulden dürfen? Die kleinsten Mädchen trugen ihn wie die ältesten Damen.

Hat doch 1737 Frau von Bussy in Verdun, die ihr Leben bis auf 111 Jahre gebracht hatte, sterben müssen, weil sie beim Anprobieren eines neuen Reifrockes einen Fehltritt tat. Beim Hinfallen beschädigte sich die alte Dame tödlich, während der neue Reifrock glücklicherweise keinen Schaden nahm. Man benutzte bald statt der eisernen oder hölzernen Reifen, welche man anfangs verwendet hatte, solche von Fischbein und der enorme Bedarf an diesem Material — brauchte man doch zu einem gewöhnlichen Reifrock fünf, zu einen sogenannten englischen aber acht Reifen — veranlasste die Generalstaaten von Holland, schon im Jahre 1722 zur Gründung einer Aktiengesellschaft mit 600.000 Gulden Grundkapital, zu keinem anderen Zweck, als zum Walfischfang. In Paris schwankte der Preis eines Paniers zwischen 10 — 15 Livres [1 Livre nach heutigem Geldwert M. 2,40]. in Leipzig kostete auch ein Reifrock mindestens 8 Taler [was heute ungefähr 72-75 M. gleichkommen würde]. Wenn man auch damals noch keine Witzblätter im heutigen Sinne kannte, an Spott, der über den Reifrock ausgeschüttet wurde, hat es nicht gefehlt. Auf der Bühne wurde er vom Harlekin verhöhnt, in Liedern, Karikaturen und Flugschriften lächerlich gemacht, von der Kanzel wurde gegen ihn geeifert.

Das hat ihm alles nichts geschadet, denn als er zu verschwinden begann, da wich er nicht der Vernunft oder Einsicht, sondern der Veränderungslust der Mode. Die Pariser Schauspielerinnen Clairon und Hus sollen um 1760 eine Form des Reifrocks lanziert haben, die von den Hüften nur bis zum Knie reichte und in einem Volant endigte. Man nannte sie in Frankreich halbe Paniers oder Jansenistinnen, in Deutschland Springrock oder Hänschen, bald aber wurde diese kleinere Form durch eine neue Erfindung verdrängt. Monsier Pamard gab den Damen die „Considérations“, Gerüste in der Gestalt von Turnüren, die rechts und links auf beiden Hüften befestigt wurden und den großen Reifrock entbehrlich machten. Diese beiden Hauptformen bestanden nebeneinander fort. Die eine zum großen Putz, die andere zum bequemen Anzug.

Auf den reizenden Wiener Ansichten von Janscha und Schütz erkennt man in der Staffage, die diese Blätter so wundernett macht, wie der große breite und der kleine runde Reifrock gleicherweise beim Spaziergang getragen wurden. Der eine mit langer Robe und kleiner, zum Anknöpfen eingerichteter Schleppe, der andere mit einem völlig fußfreien Kleid. Als in den siebziger Jahren die Aufmerksamkeit der Mode sich fast ausschließlich der Frisur zuwendet, wird der Rock vernachlässigt. Der große Panier verschwindet allmählich ganz und hält sich nur noch als Zeremonienkleid des Hofes. In Versailles hat er noch die ersten Stürme der Revolution erlebt. Die letzte Dame, die sich einen Reifrock für ihre Vorstellung bei der Königin bestellte, war wohl Frau v. Lostanges, die am 31. August 1789 an Mademoiselle Motte 102 Livres für ihn bezahlte. Er versank dann mit allem übrigen Brimborium des Hofes und hat sich nur noch am Hofe von St. James bis zum Tode der Königin Charlotte und noch länger am sächsischen Hofe in Dresden behauptet.

So groß die Veränderung war, die der Rock der Damen im 18. Jahrhundert erlitt, so gering war diejenige der Taille. Diese behielt im großen Ganzen die Form, welche sie unter Ludwig XIV. erhalten hatte, sehr tief und sehr spitz schnürend, Hals und Unterarme freilassend. Der Ärmel, der am Ellenbogen in weiter Manschette endigte, hat diese überaus kleidsame Form beinahe ein Jahrhundert beibehalten. Man nannte, wie der Mercure galant von 1688 berichtet, die drei- oder mehrfache Reihe Spitzen, in denen er aufhörte, „Engageantes“.
139. Daniel Chodowiecki, Der Künstler malt die Gattin des Strasnik Czacki (Aus : Von Berlin nach Danzig), 1773

139. Daniel Chodowiecki, Der Künstler malt die Gattin des Strasnik Czacki (Aus : Von Berlin nach Danzig), 1773

140. Aus „Les Chansons de La Borde“, 1773

140. Aus „Les Chansons de La Borde“, 1773

141. Aus „Les Chansons de La Borde“, 1773

141. Aus „Les Chansons de La Borde“, 1773

142. J. M. Moreau le j., In der Loge, 1774

142. J. M. Moreau le j., In der Loge, 1774

143. Valtaire, Kleine Wiederholung der 1775 von Friedrich d. Gr. an Voltaire geschenkten Büste

143. Valtaire, Kleine Wiederholung der 1775 von Friedrich d. Gr. an Voltaire geschenkten Büste

144. Watteau de Lille, Im Park (Zeichnung)

144. Watteau de Lille, Im Park (Zeichnung)

145. J. M. Moreau le j, Illustration zu Roussea:i, Nouvelle Héloise, 1774

145. J. M. Moreau le j, Illustration zu Roussea:i, Nouvelle Héloise, 1774

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