Die Silhouette

Gelehrte wie Leisching, Grünstein, Pazaurek u. a. haben die Geschichte der Silhouette gründlich untersucht und ihre Ahnen im Altertum bei der Tochter des Dibutades gefunden, die den Schatten ihres Geliebten im Umriss auf der Felswand festgelegt, oder in den „ombres chinoises“ des fernen Ostasiens vermutet, sie haben auch nachgewiesen, dass Scherenbilder bereits seit dem Jahre 1631 in Deutschland gefunden wurden, dass sie bereits von Swift erwähnt werden, aber was macht das aus?

Das erklärt noch lange nicht, woher der Schattenriss so plötzlich in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Paris auftaucht, warum ihm der unbeliebte Finanzminister Etienne de Silhouette seinen Namen leihen musste. Stammt nun die Erfindung oder Wiedereinführung auch aus Frankreich, ihre eigentliche Heimat hat die Silhouette doch erst in Deutschland gefunden. Während man sie in Frankreich bald wieder fallen ließ, hat man diese Kunstfertigkeit in Deutschland mit dem größten Eifer ausgeübt, mit solcher Liebe gepflegt, dass man das bloße Spiel wirklich zur Kunst erhob. Die früheste Erwähnung findet sich wohl in Briefen der Landgräfin Karoline von Hessen, die 1760 der Prinzeß Amalie Silhouetten sendet. Bald aber wird die Kunst ihrer Anfertigung zum Gesellschaftsspiel.


Biester schreibt 1775 aus Bützow, es herrsche eine Wut von Schattenrissen. Alle Damen handhabten den Storchschnabel und als Lavater an die Ausarbeitung seiner Physiognomik geht, gerät ganz Deutschland in Aufregung. Sportmäßig werden Silhouetten gesammelt und ihm gesandt. Jeder möchte in dem großen Werk des berühmten Schweizers aufgenommen sein und Frau Rat Goethe ist bitterböse, dass sie zu den Zurückgewiesenen gehört! Man malt die Schattenrisse, sticht sie in Kupfer, schneidet sie aus. Man zeichnet den schwarzen Grund sorgfältig mit Deckweiß aus und schafft auf diese Weise wirklich die reizendsten kleinen Kunstwerke.

Man hängt sie an die Wand, klebt sie in Albums, trägt sie als Schmuck, schleift sie in Gläsern, malt sie auf Tassen, schließlich genügt das Profilbrustbild nicht mehr, man fertigt Silhouetten in ganzen Figuren, sogar in Lebensgröße, die man auch zu Gruppenbildern vereinigt. 1780 erschienen gleich auf einmal drei gedruckte Leitfäden zum Silhouettenzeichnen, allerorten gab es Künstler, die sie für Geld anfertigten, überall fanden sich Sammler. Goethe sucht, wie Lavater und Merck, die Charaktere nach Schattenrissen zu beurteilen, und verliebt sich in Charlotte von Stein bei dem Anblick ihrer Silhouette, die Zimmermann ihm mitteilt. Er findet in der traurigen Kampagne von 1792 in dieser Kunst eine willkommene Zerstreuung und sammelt noch als Greis Schattenrisse für Marianne von Willemer.