Das englische Möbel

Ganz eigene Wege wandelte die englische Dekoration und Möbelkunst des 18. Jahrhunderts. Das englische Rokoko, wie die Chippendale es verkörpern, besteht eigentlich aus einer sonderbaren Mischung. Sein Grundbestand ist französisches Rokoko, aber dies ist so stark mit chinesischen und selbst gotischen Elementen verquickt, dass etwas durchaus Neues daraus geworden ist. Das gleiche Unglück wie den Boulle ist auch dem jüngeren Chippendale zugestoßen. Am 5. April 1755 brannte sein Laden in St. Martins Lane aus, eine Katastrophe, die auch in diesem Fall die Änderung eines Stiles beleuchtet.

In England haben die wissenschaftlichen Reisen und praktischen Versuche der Brüder Adam die Antike früher als auf dem Kontinent in Mode gebracht. Die Nachfolger der Chippendale, George Hepplewhite und Thomas Sheraton führen ihr Mobiliar schon mit starkem Anklang an klassische Vorbilder aus. Der erstere mit der leicht englisierten Anmut des Louis Seize-Stils, der letztere mehr in den strengeren Formen des sogenannten Empire. Was den englischen Möbeln aber ein ganz besonderes Gepräge gab, war ihr Charakter, das Zweckmäßige, Schöne und Bequeme zu vereinigen, ein Vorzug, der später das Möbel der Biedermeierzeit so stark beeinflußt hat. In Inventaren des Berliner Schlosses finden sich schon im Jahre 1713 englische Möbel aufgeführt, und mit der zunehmenden Beeinflussung des Kontinents durch englische Philosophie, Literatur und Sitte wächst auch der Import englischer Möbel und Geräte. Man gewann langsam auch bei uns Verständnis für englischen Komfort.


Die Modejournale enthalten in jeder Nummer Anzeigen englischer Waschmaschinen, Apparate zur Zimmergymnastik, Motionsstühle gegen Hypochondrie u. dgl., und auf der Leipziger Messe 1797 schätzt man die Einfuhr englischer Luxusartikel auf £ 800.000, die der Frankfurter Messe des gleichen Jahres auf 1 Million Pfund Sterling.

Das 18. Jahrhundert hat den Vorrat von Möbeln, den es überkommen hatte, ganz bedeutend vermehrt. Einmal hat es die Formen der Sitzmöbel, wie Kanapees, Lehnstühle und Sessel in geradezu unendlicher Mannigfaltigkeit ausgestaltet. Die spätere Zeit hat darin kaum etwas Neues geschaffen. Dann aber hat es endgültig mit der Truhe gebrochen und die Kommode an ihre Stelle gesetzt. Schließlich hat es aus dem Kabinettschränkchen den Schreibtisch gemacht. Der Sekretär, das Rollbureau, der Kaunitz und andere heute gebräuchliche Formen des Schreibtisches stammen so gut aus dieser Zeit wie viele, viele andere, die heute vergessen sind, wie etwa das Miniaturmöbel, das man in Frankreich „bonheur du jour“ nannte, und das in keinem Schlafzimmer einer Dame von Welt fehlen durfte, gehörte doch beim Einschlafen ihr letzter, wie beim Erwachen ihr erster Gedanke ihrer Korrespondenz.
107. Janinet, Königin Marie Antoinette, 1777

107. Janinet, Königin Marie Antoinette, 1777

108. Daniel Chodowiecki, Prinzessin Sophie Wilhelmine von Preußen, 1767 vermählt mit dem Erbstatthalter von Oranien

108. Daniel Chodowiecki, Prinzessin Sophie Wilhelmine von Preußen, 1767 vermählt mit dem Erbstatthalter von Oranien

109. St. Aubin, Promenade

109. St. Aubin, Promenade

110. Canaletto, Nymphenburg

110. Canaletto, Nymphenburg

111. Kaiserin Katharina von Russland (Berliner Porzellan)

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