Der Aberglaube

So begleitet eine starke Unterströmung des Aberglaubens die Fluten der Aufklärung, die sich im 18. Jahrhundert durch die Köpfe ergossen. Wenn in diesen wirbelnden Fluten viele Vorurteile, viel auf mangelnder Kenntnis beruhender Aberwitz zugrunde ging, ebenso viel blieb bestehen.

Die Aufklärer kämpften wohl erfolgreich gegen die Religion, aber indem sie den Glauben erschütterten, befestigten sie nur den Aberglauben. Wenn man die Aufklärung von dieser Seite aus betrachtet, so glaubt man ein Satyrspiel vor sich zu sehen, in dem die Geste des Fortschritts höhnend persifliert, der Ausdruck geistiger Würde zur grinsenden Fratze verzerrt wird. Man glaubte nicht mehr an Gott, aber die gleichen Menschen, welche stolz darauf waren, sich von der offenbarten Religion emanzipiert zu haben, zweifelten durchaus nicht an der Existenz des Teufels. Im Jahre 1727 veranstalteten der berüchtigte Herzog von Richelieu, der Kardinal von Sinzendorf und ein Graf Merode in Wien eine Teufelsbeschwörung. Als der Böse aber nicht erschien, erschlugen die drei Herren im Zorn ihrer Enttäuschung den Magus. Bei einer ähnlichen Veranlassung erging es mehreren Damen der Pariser vornehmsten Gesellschaft noch übler.


Die Hexe, welche ihnen versprochen hatte, den Teufel zu beschwören, forderte, dass sie sich ganz ausziehen sollten, da die Etikette verlange, vor dem Höllenfürsten nackt zu erscheinen. Sie schloss die vorschriftsmäßig Entkleideten dann in ein Zimmer ein und entfernte sich mit Kleidern und Schmuck derselben. Die blamierten Teufelsfreundinnen wurden erst am anderen Tage zwar nicht vom Teufel selbst, aber von seinen Helfershelfern, der Polizei, höchst beschämt befreit. Ungeheures Aufsehen machte durch ihren unglücklichen Ausgang die Teufelsbeschwörung, welche der Studiosus Weber in der Christnacht 1716 in einem Weinberg bei Jena vornahm. Der Unvorsichtige erstickte im Kohlendampf und erntete statt der Schätze, die er hatte heben wollen, den zweifelhaften Nachruhm, der Teufel habe ihm den Hals umgedreht.

Der Glaube an Zauberei und Hexen saß trotz Spee, Becker und Thomasius fest in den Köpfen. Wilhelmine von Grävenitz, die Landverderberin Württembergs, wurde angeklagt, den Herzog Eberhard Ludwig bezaubert zu haben, gerade wie Fräulein von Neitzschitz den Kurfürsten von Sachsen. Auch Liselotte ist fest davon überzeugt, dass ihr Schwiegersohn von Madame de Craon durch Eingeben einer bezauberten Muskatnuss zur Gegenliebe gezwungen worden sei. In Turin wurde ein Mann gehängt, weil er die Absicht gehabt habe, den König durch Sympathie zu töten. In Szegedin verbrannte man 1729 den Stadtrichter nebst seiner Frau und 34 Leidensgefährten wegen Zauberei.

In Deutschland erlitt zu Würzburg in der Person der siebenzigjährigen Nonne Maria Renata Singer die letzte Hexe den Feuertod am 21. Juni 1749. Niemals fand die Kabbala so viel Gläubige als in der Zeit, da man zwar mit dem Jenseits aufgeräumt hatte, aber doch der Zukunft ihre Rätsel zu entreißen wünschte. Die Gräfin Cosel, Maitresse Augusts des Starken, hat die letzten Jahrzehnte ihres Lebens ganz in der Beschäftigung mit dieser hebräischen Geheimlehre zugebracht, der zu Liebe Duchanteau zum Judentum übertrat. Casanova verdankte die Mittel zu seinem Aufwand zum guten Teil seinen kabbalistischen Orakelkünsten, in denen der Regensburger Kapuzinerpater Tertius mit ihm rivalisierte.

Aller Aufklärung, aller Fortschritte der Naturforschungzum Trotz hielt auch das ganze 18. Jahrhundert noch an einer Lieblingsidee des Mittelalters fest, nämlich an jener der Verwandlung minderwertiger Metalle in Gold. Die Alchimisten zählten Kaiser und Könige, Adel und Geistlichkeit, Gelehrte und Ungelehrte, Männer wie Frauen zu ihren Adepten. Wenn man Wraxall Glauben schenken will, so wären allein in Wien 3000 Personen mit Alchimie beschäftigt gewesen. Kaiser Franz, die Könige Friedrich I. von Preußen, August der Starke, Kurfürst Max Joseph von Bayern, der Landgraf von Hessen-Homburg, Graf Ingelheim, Fürstbischof von Würzburg, die Mutter Katharinas der Zweiten haben unablässig laboriert und ihr gutes Gold, statt es zu vermehren, ebenso durch den Rauchfang verflüchtigt, wie der Pastor Lauckhard, der Maler Heinecken, die Marquise d'Urfé, Fräulein v. Klettenberg u. a. Sogar ein schlichter Leinenweber wie der Großvater von Karl Rosenkranz, der in Buchholz bei Rostock lebte, vertat sein sauer verdientes Geld in alchimistischen Versuchen. Man wundert sich nicht, wenn man Fürsten sinnlosen Chimären nachjagen sieht, schrieb doch Graf Manteuffel 1738 an Christian Wolf: „Deutschland wimmelt von Fürsten, von denen drei Viertel kaum gesunden Menschenverstand haben“, dass aber Gelehrte, wie der Anatom Sömmering, denkende Köpfe wie Georg Forster, sich ernstlich mit Goldmacherei beschäftigten, das darf uns befremden. Hätten sie doch Veranlassung genug gehabt, eine Sache mit Misstrauen zu betrachten, der sich so viele Abenteurer ihrer Zeit eifrig widmeten.

Der Elsässer Jude Simon Wolff, der als Graf Saint Germain Europa düpierte und mehrere hundert Jahre alt sein wollte, zeigte Ludwig XV., wie man aus mehreren kleinen Diamanten einen großen macht, und verwandelte zu Casanovas Zerstreuung ein 12-Sous-Stück in pures Gold. Freilich hatte er sich in der Person des berühmten Abenteurers ein ungläubiges Publikum ausgesucht. Besser als irgendjemand wusste Casanova, wie man die Schwächen der Menschen zu seinem Vorteil ausnützt. Wie er Frau von Urfé durch alchimistische, magische und kabbalistische Späße um die geringen Reste ihres Verstandes und die großen ihres Vermögens brachte, muss man sich von dem amüsanten Hochstapler selbst erzählen lassen.

066. Pietro Longhi, Dame bei der Toilette

066. Pietro Longhi, Dame bei der Toilette

067. Claude Vernet, Auf den Wällen von Bordeaux

067. Claude Vernet, Auf den Wällen von Bordeaux

068. Illumination der Grande rue in Havre, 1749

068. Illumination der Grande rue in Havre, 1749

069. Louis Tocqué, Der Opernsänger Jéliote

069. Louis Tocqué, Der Opernsänger Jéliote

070. Jean Honoré Fragonard, La Coquette

070. Jean Honoré Fragonard, La Coquette

071. Ch. N. Cochin, Mme. de Pompadour und der Vicomte de Rohan als Acis und Galathea auf dem Theater von Versailles, 1749

071. Ch. N. Cochin, Mme. de Pompadour und der Vicomte de Rohan als Acis und Galathea auf dem Theater von Versailles, 1749

072. Jean Etienne Liottard, „Die schöne Leserin“, 1752

072. Jean Etienne Liottard, „Die schöne Leserin“, 1752

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