Rousseau

Wie Weitgehend aber auch der Einfluss der Wolff und Kant auf die Bildung ihrer Zeitgenossen gewesen sein mag, tiefer im Innersten bewegt, hinreißender ergriffen hat sie doch noch ein anderer und das war Jean Jacques Rousseau.

Die ganze zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts steht unter seinem Zeichen. Wie die Astrologen einst dem Sternbild, welches in der Geburtsstunde eines Menschen im Zenith steht, eine bestimmende Gewalt über das ganze Leben des Neugeborenen zu schrieben, so beherrscht Rousseau die Menschheit, deren Gedanken und Gefühle er in seinen Bann zwingt. Er leiht der Sehnsucht eines ganzen Zeitalters die leidenschaftlichsten Worte, den flammendsten Ausdruck.


Der Philosoph wird zum Propheten und verkündet einen neuen Glauben, dessen einziges Evangelium die Natur ist. Er selbst führt ein Leben in Jammer und Elend, aber die Feder des armseligen Notenschreibers stößt Könige von ihren Thronen und weist der Weltgeschichte neue Bahnen. Er bezaubert die strengen Denker wie Kant, in dessen Rechtslehre sein Einfluss so unverkennbar ist, und die Dichter, wie Goethe. Herder ruft ihn zu seinem Führer an, Joseph II. geht an Voltaires Haus vorüber, aber Rousseau zu besuchen, lässt er sich nicht nehmen.

Der „Emile“ und die „Neue Héloise“ machten Rousseau zum Abgott aller feurigen schwärmerischen Seelen. Mendelssohn berichtet uns, wie man sich damals seine Bücher aus den Händen gerissen hat. Das Berauschende seiner freisinnigen Ideen und das Verführerische seines Stiles machten seine Werke zu einer gefährlichen Lektüre. Wenn man weiß, dass sie den berühmten Maler Maurice Quentin de la Tour um den Verstand brachten, so wundert man sich nicht, dass Gellert seine Freundin, die Demoiselle Lucius direkt vor ihnen warnt, ja der Beichtvater der Fürstin Lori Liechtenstein würde ihr noch eher gestattet haben, Voltaire zu lesen als Rousseau.

Dass die katholische Kirche seine Schriften unter die verbotenen Bücher zählte, hinderte die Domherren der rheinischen Stifte nicht, seine Büste in ihren Zimmern an die Stelle der Mutter Gottes zu setzen. Unannehmlichkeiten zog das nur Laien zu, wie etwa Meinhardt, der mit seinem Zögling, dem Grafen Moltke, Wien besuchte und im Besitz des „Emile“ betroffen, froh sein musste, mit Konfiskation des Buches davonzukommen.

008. Hyacinthe Rigaud, Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans „Liselotte”

008. Hyacinthe Rigaud, Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans „Liselotte”

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