Politik

Eine spätere Epoche hat das 18. Jahrhundert mit Vorliebe das der Aufklärung genannt, und wenn die Zeitgenossen desselben in seinen letzten Jahrzehnten von ihrer eigenen Zeit sprachen, so bezeichneten sie sich mit Stolz als Angehörige des „philosophischen“ Zeitalters.

Wie bedenklich es auch sein mag, einen Zeitabschnitt von solcher Länge mit einem Worte charakterisieren zu wollen, wie bedenklich es zumal bei diesem vielgestaltigsten und an Gegensätzen reichsten Jahrhundert der Weltgeschichte ist, in dem sich, wie Johannes Scherr so hübsch ausgeführt hat, in einer wahrhaft kaleidoskopischen Buntheit der Kontraste das kühnste Denken und die raffinierteste Genusssucht, philisterhafte Verknöcherung und revolutionärstes Wollen, kolossale Laster und reinster Idealismus, zynischer Skeptizismus und kindlichster Glaube, verhärtetster Egoismus und sentimentalste Schwärmerei zusammenfanden, so scheint es uns doch heute beim Rückblick auf jene Zeit, daß man mit Recht die „Aufklärung“ als die wesentlichste und wichtigste aller Erscheinungen, die das Jahrhundert geboten, bezeichnen darf. Die „Aufklärung“ im Sinne der Befreiung von der Theologie zur Philosophie, der Emanzipation vom sklavischen Dogma zum freien Denken.


Die neuen Wege, welche die Großtat Luthers der Menschheit gewiesen, sind zwei Jahrhunderte hindurch nicht von ihr begangen worden. Die geistigen Fesseln, welche die Theologen des Luthertums in dieser Zeit der protestantischen Welt anlegten, waren nicht minder drückend, nicht weniger eng, als es das Lehrgebäude gewesen, in dem die katholische Kirche vor Luther den Geist gefangen gehalten hatte. Erst das 18. Jahrhundert ist reformatorisch weitergeschritten, indem es sich der Führung der Theologie entzog, indem es von theologischen Voraussetzungen völlig absah und sich der Erkenntnis vom Wesen der Dinge auf Wegen zu nähern versuchte, die ihre Richtschnur vom Denken, nicht vom Glauben empfingen. Die neue Weltbetrachtung, welche der Menschheit eine neue Weltanschauung bescherte, hat dann, als sie aus der Studierstube des Philosophen auf den Marktplatz trat, die hergebrachte Ordnung der Gesellschaft in ihren Grundlagen erschüttert, und jenen enormen Umschwung herbeigeführt, der die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts so wesentlich und so merkwürdig von der ersten unterscheidet.

Wer heute an die Geschichte jener Zeit herantritt und mit den Vorurteilen, welche der Geschichtsunterricht der Schule uns zu vermitteln pflegt, das 18. Jahrhundert als eine Einheit zu begreifen sucht, wird bald gewahr werden, daß sich etwa zwischen 1740 und 1760 ein Bruch vollzieht, der das Jahrhundert in zwei Hälften spaltet, in zwei Teile zerlegt, die von Grund aus verschieden, zwei Körper bilden. Der erste gehört in seiner Geschichte und Kultur noch völlig dem Mittelalter an. Er ist überlebt und tot, der zweite aber beginnt die neue Zeit. Der Geist, der ihn erfüllte, ist noch lebendig, sein Erbe nährt uns noch heute. Die erste Hälfte des Jahrhunderts sieht im Fürsten den absoluten Herrscher, der in Sonnenhöhe von seinen „Subjekten“ entfernt, für Wohl und Wehe derselben unempfänglich, für ihre Wünsche unerreichbar ist. Der Adel seines Hofes ist seine Welt, der Genuss der einzige Zweck seines Daseins. König Friedrich I. von Preußen verbrauchte für seinen Hof 820.000 Taler, soviel wie die ganze übrige Verwaltung kostete. Die vorzüglichsten Repräsentanten dieser Art Herrscher sind in Frankreich Ludwig XV., in Deutschland August der Starke und Max Emanuel von Bayern. Die Pracht ihres Hofhaltes, der verschwenderische Luxus ihrer Bauten sind in den Augen der Zeitgenossen glänzende Ruhmestitel, Verdienste, der Unsterblichkeit wert und 50 Jahre später sind die Könige, wie Friedrich der Große, Joseph II., Katharina von Rußland, stolz, sich als die ersten Diener ihrer Staaten fühlen zu dürfen. Friedrich II. nennt sich den roi-philosophe, Stanislaus von Polen den philosophe bienfaisant, Kaiser Joseph einen Schätzer des Menschengeschlechts. Ehemals war der Untertan nur geduldet, weil er die Mittel zur Befriedigung der Launen seines erhabenen Herrn zu schaffen hatte, er wurde nicht gefragt, besaß kein Urteil und erstarb in ehrfurchtvollster Bewunderung. Jetzt bildet sein Wohl den Angelpunkt der Gedanken des Herrschers, den Markstein seiner Taten. Der Adel war alles gewesen, der Bürger nichts. Jetzt hatte der letztere sein Haupt erhoben und setzte der Weltklugheit der Hofleute die Tugend des Biedermanns, dem berechnenden Verstand das fühlende Herz entgegen.

004. Besser, Pauker und Trompeter aus dem Königsberger Krönungswerk 1701

004. Besser, Pauker und Trompeter aus dem Königsberger Krönungswerk 1701

005. Besser, die Herren Hofgerichtsräte aus dem Königsberger Krönungswerk

005. Besser, die Herren Hofgerichtsräte aus dem Königsberger Krönungswerk

006. Hyacinthe Rigaud, Ludwig XIV.

006. Hyacinthe Rigaud, Ludwig XIV.

alle Kapitel sehen