1755-1769

Man hat nun von einer gewissen Seite her die ganze Tätigkeit und Anregung Mendelssohns als eine religiös-reformatorische geleugnet und sie als eine rein kulturhistorische bezeichnet, man hat ihm wohl in Erhebung der Juden zu wissenschaftlicher und geselliger Mündigkeit den ersten Kampfpreis zuerteilen, was aber das religiöse Bewusstsein betrifft, Mendelssohn als den Hort des Althergebrachten darstellen wollen. Man behauptet, er habe die Juden, aber nicht das Judentum, d. h. die religiöse Erkenntnis derselben reformiert und beruft sich auf seine eignen Äußerungen, die allerdings zu solcher Auffassung Handhaben genug bieten. Aber von vornherein vergisst man, dass hier die kulturhistorische Bedeutung mit der religiösen zusammenfällt, dass schon das beginnende gemeinschaftliche Ringen mit den anders Glaubenden nach einem gemeinschaftlichen Ziele, die Anerkennung des Nichtisraeliten, ein wichtiges religiöses Prinzip ausdrückt, zu welchem damals durch Mendelssohn angeregt zum ersten Mal und fast plötzlich die Judenheit sich erhob. Wenn er es eben unternahm, die Säulen, auf welchen die Bildung, die Sittlichkeit und das gemeinsam Religiöse der neuen Zeit ruhten, mit Männern fremder Bekenntnisse vereinigt aufzubauen, steht er da nicht selbst schon auf einem andern Grunde, als auf welchem seine Stammesgenossen bis dahin gestanden hatten? Der Trieb umfassenderer Gemeinschaft lag allerdings in der ganzen Anlage der Zeit, aber das eben ist die eigentliche Tat Mendelssohns, dass er den Einfluss jener ganzen Epoche der Aufklärung aus dem Kreise der Philosophen und Schöngeister in das uralte Gebäude der Synagoge hinübertrug, wohin bis auf seine Zeit keine Regung der Außenwelt gedrungen war. Freilich hat dieser Einfluss aufregender und weitgreifender gewirkt, als es wohl der Vermittler selbst beabsichtigte. Denn sicher glaubte Mendelssohn, indem er die mosaisch-jüdischen Religionsgebräuche unangetastet lasse, dass man auch weiterhin immer nur einzelner Missbräuche sich entledigen, sonst aber in dem Ererbten verharrend nur nebenher dem Zeitgeiste huldigen werde. Aber wie er wohl schon in Bezug auf seine eigne Person geirrt und als Bekenner der jüdischen Religion keineswegs die Figur spielte, die denjenigen so natürlich ist, welche die Cerimonien im Geiste des Talmuds und der Rabbinen üben, so können wir heut nach den Erfahrungen eines dreiviertel Jahrhunderts auch seinen Irrtum in Bezug auf die von ihm ausgegangene Wirksamkeit berichtigen. Mendelssohn hatte sich den Eindrücken seiner Zeit so hingegeben, dass sie eine vollkommene Umwandlung der durch national-jüdische Erziehung erhaltenen Begriffe zur Folge hatten. Der treue Anhänger des Judentums erblickte fortan dessen „ewige Wahrheiten“ in der „natürlichen Religion,“ von der es nur dadurch eine besondere Gattung bilde, dass für die darin Gebornen eigne Gesetze beigegeben worden waren. Indem er an der geistigen Tätigkeit derjenigen Anteil nahm, welche der Zeitrichtung ihren Ausdruck gaben oder gar dieselbe bestimmend auftraten, konnte er nicht umhin, auch das Judentum fast mit ihren Augen anzusehen und dasjenige, was es Wunderliches und Besonderes hatte, als für das Wohl und den Lebensgang der Menschheit im Allgemeinen unwesentlich zu erklären. In der natürlichen Religion, deren Wahrheiten er gleich den metaphysischen für unumstößlich erweisbar hielt, müssten alle Menschen übereinkommen, meint er, in den sogenannten positiven Dogmen wäre dies teils unmöglich, teils unnötig.*) Und so hat er auch besonders in Bezug auf das jüdische Cerimonialgesetz weit mehr getan als einzelne Missbräuche, welche sich ins Judentum eingeschlichen, wieder daraus zu entfernen, hat weit mehr erschüttert als diejenigen, welche sei es aus Trägheit oder aus Grundsatz alle Religionsgebräuche verabsäumten, er hat offen nicht sie selbst, aber den Grund angegriffen, auf welchem sie seit vielen, vielen Jahrhunderten ruhig und selbstgewiss standen und auf welchem sie den Bau des alten Judentums ausmachten. Den Grund nämlich, auf welchem dieser Bau sich allein unverändert halten konnte, bildete der unerschütterte Glaube, dass die cerimonielle Tätigkeit, welche das Leben des Israeliten nach allen Richtungen begleitete, das ewige Heil bilde, zu dem er ausschließlich bestimmt und berufen sei. Die Stammesheiligkeit des jüdischen Volkes und seine eigentümlichen Cerimonien waren Correlate, die von einander getrennt undenkbar schienen. Und diesen grundbildenden Glauben hat Mendelssohn zerstört, am entschiedensten zerstört, eben indem er das Gebäude retten wollte. Er bot zwar statt des Einen Grundes Gründe, aber wie schwach erwiesen sich diese und wie unvermögend waren sie, den Einen zu ersetzen!**) Das Gebäude der alten Cerimonien ist seitdem gesunken oder stehet doch unsicher und zum Falle geneigt, und wenn ohne dasselbe das Leben des Judentums unmöglich wäre, so könnten wir unbedenklich behaupten, das letztere gehe einem gewissen Untergange entgegen. An diesem Untergange hätte dann der jüdische Philosoph der Aufklärung die hauptsächlichste Schuld, dadurch dass er in den dunkeln Grund zuerst das Licht der Unterscheidung gebracht; aber weil wir ein Judentum anerkennen, das s o erst recht gedeiht und seine wahre weltgeschichtliche Aufgabe antritt, begrüßen wir gern Mendelssohns religiöse Tätigkeit als die anregendste und verdienstlichste der Neuzeit unter den Juden, trösten wir uns, dass er zuerst an das rabbinische Judentum mit großem wenn auch von ihm selbst ungeahntem Erfolge die zerstörende Hand angelegt damit, dass er zugleich zu dem reformatorischen den Weg gebahnt. —

*) Vergl. z. B. „An die Freunde Lessings“ S. 14


**) Hierüber wird natürlich im dritten Kapitel ausführlicher die Rede sein.


Zunächst freilich war die Wirksamkeit der Mendelssohn'schen Aufklärung in religiöser Beziehung nur eine negative und sie wird sich unter die Kategorie bringen lassen, welche damals die freisinnigen und aufklärenden Schriften der Theologen auf die jungen Geister überhaupt übten und die uns Goethe (Aus meinem Leben I., 248) so treffend geschildert hat: Ein heller Scharfsinn und eine besondre Mäßigkeit, indem man durchaus die Mittelstraße und Billigkeit gegen alle Meinungen für das Rechte hielt, verschaffte solchen Schriften Zutrauen.... Aus jenem Mäßigkeitsprinzip gab man sodann sämtlichen positiven Religionen gleiche Rechte, wodurch denn eine mit der andern gleichgültig und unsicher wurde. Übrigens ließ man denn doch aber Alles bestehen, und weil die Bibel so voller Gehalt ist, dass sie mehr als jedes andre Buch Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu Betrachtungen über die menschlichen Dinge darbietet, so konnte sie nach wie vor bei allen Kanzelreden und sonstigen religiösen Verhandlungen zum Grunde gelegt werden. — Auch Mendelssohns Schriften mussten vorerst auf die religiöser Überzeugungen in solch abkühlender Art wirken. Teilt man sein Schriftstellerleben in zwei Abschnitte, so trat in den Erzeugnissen des ersten Abschnitts, die zum großen Teil allgemein religions-philosophischen Inhalts waren, das spezifisch-jüdische Bekenntnis durchweg zurück. Ja es scheint in ihnen darauf angelegt, die Eingenommenheit für die eigentümlichen Formen jedweder geschichtlichen Religion herabzustimmen und alles Interesse für die natürliche in Anspruch zu nehmen. Dadurch gab Mendelssohn vielen seiner Glaubensgenossen ein Ärgernis, die an seinem persönlichen Verhalten nichts auszusetzen und gar Manches zu bewundern hatten. Sie verargten ihm nicht, dass er überall in Handlung und Gesinnung Wohlwollen gegen Andersglaubende bewies und empfahl, sie rechneten es dem in christliche Gesellschaft Verflochtenen doppelt hoch an, dass er im Leben das jüdische Gesetz nicht vernachlässigte, aber wenn er in seinen Schriften die natürliche Religion als das Beseligende pries, das Judentum hingegen bei Seite ließ, wenn er zwar das angegriffene in persönlichen Gesprächen verteidigte, aber es doch nicht in freier Verherrlichung erhob, mussten sie hierin eine Zurücksetzung desselben erblicken, für das sie soviel gelitten hatten. Waren in der Tat die Vernunftwahrheiten und die Verstandesbegriffe das Höchste, was der Mensch für seine religiöse Befriedigung gewinnen konnte, wofür hatte man Jahrtausende gekämpft, warum hatte man Gut und Blut eingesetzt für Beobachtung von cerimoniösen Pflichten, an welchen der Verstand nicht gerade ein besonderes Interesse nehmen zu können schien?! Nicht für die Religion der Vernunft war man in die Verbannung gegangen, hatte man Elend erduldet und die Scheiterhaufen des Fanatismus bestiegen, sondern für eine wunderbar geoffenbarte Lehre, die einst zur Anerkennung aller Menschen gelangen sollte. Gerade das Besondere, welches Mendelssohn verwischen zu wollen schien, war ihnen das Beseligende geworden, auf das sie mit Stolz blickten und das sie als ihr geliebtes, gottverliehenes Eigentum betrachteten. Dies Besondere, Kennzeichnende war es, was sie überallhin begleitete und was sie nirgends „unter den Völkern“ sich verlieren ließ. Was der alte Seher verkündet hatte: siehe da ein Volk, abgesondert wohnt es und unter die Völker lässt es sich nicht rechnen (4. Buch Mos. 23, 9), das sollte nicht aufhören, wenn auch nur in religiöser Hinsicht, Israels Bestimmung zu sein. „Nicht schaut man Verwerfliches in Jacob und nicht Eitles in Israel,“ diese Bezeichnung reiner Gotteserkenntnis durfte nicht aufhören, den eigentümlichen Schmuck des Judentums zu bilden, solange nicht die Gesamtheit der Völker seine Lehre angenommen. Und nun trat plötzlich in der eigenen Mitte ein Mann auf, der nicht die Helden des Judentums, sondern die Helden der Vernunft als die beglückenden Führer der Menschheit begeistert rühmte. „Euch, Locke und Wolf! Dir unsterblicher Leibnitz stifte ich ein ewiges Denkmal in meinem Herzen. Ohne eure Hilfe wäre ich auf ewig verloren eure Schriften haben die heiligen Wahrheiten in meine Seele gegraben, auf die sich meine Glückseligkeit gründet; sie haben mich erbaut.“ (Über die Empfindungen, sechster Brief.) Nun erwäge man, wie es den ganzen Stolz der Juden ausmachte, ihre höchsten Erkenntnisse und beglückendsten Überzeugungen, wenn dieselben auch durch die neuern philosophischen Systeme geordnet und modisiert wurden, doch immer dem Ursprunge nach in den Religionsschriften des Judentums wiederzufinden und wie die größten jüdischen Gelehrten - ein Philo, ein Maimonides - von jeher als Ergebnisse der Philosophie auf die Schrift zurückzuführen unternommen hatten, und man wird den Grad des Abstandes und der Verletztheit begreifen, welche empfunden wurden, da Mendelssohn ohne Weiteres erklärte, erst mit Hilfe eines Locke und Leibnitz „zu den heiligen Wahrheiten, die seine Glückseligkeit begründeten,“ gelangt zu sein. In der Tat hat Mendelssohn erst in seinen spätern Schriften die innigen Beziehungen zwischen den Lehren des Judentums und den Forschungen einer gesunden Philosophie hervorgekehrt, nachdem er beide tiefer durchdrungen. Wie weiß er z. B. in den Morgenstunden den jüdischen Deismus, der das rechte Verhältnis Gottes zur Welt nicht äußerlich auffasst, es nicht bloß in seiner Erhabenheit über der Welt begreift, sondern zugleich in der tiefsten und mitteilendsten Herablassung zu ihr, mit dem von Leibnitz aufgestellten System zu vereinigen, wo dasselbe in philosophischer Form ausgesprochen wird. Wie weiß er aus Wolfs natürlicher Theologie und gleichzeitig aus dem Grunde des Judentums Spinoza zu berichtigen, der (s. II., 342 f.) „das Unendliche der Kraft nach mit dem Unendlichen der Ausbreitung, der Menge nach, die intensive Größe mit der extensiven“ verwechselt habe, indem er „aus unendlich vielen endlichen Gedanken das an Gedanken Unendliche gleichsam zusammensetzet.“ Wie weiß er das „Selbständige“ in Gott von dem „Fürsichbestehenden“ im Menschen zu unterscheiden und die jüdische Lehre von der Freiheit des Menschen neben der göttlichen Allmacht und Allwirksamkeit in das rechte Licht zu setzen. Diese tiefere Erfassung des theistischen Gottesbegriffs durch Mendelssohn, durch welche er sich von den landläufigen und schaalen Deisten unterschied, ist schon von Schwarz (Lessing als Theologe, 1854, S. 53) gehörig gewürdigt worden. „Diejenigen,“ sagt er, „welche Mendelssohn einen derartigen (äußerlichen) Deismus imputieren und mit Verachtung auf ihn herabsehen, bezeugen damit nur ihre grobe Unwissenheit. Ihnen wäre anzuraten, zur Vertiefung ihres eigenen Gottes-Begriffs, einmal das 25. Kapitel der Morgenstunden zu lesen. Sie würden bei dieser Gelegenheit finden, dass Mendelssohn mehr von Spinoza und Leibnitz gelernt, als sie bis dahin geahnt. Sie würden sehn, dass er den schlechten äußerlichen Deismus einer sehr glücklichen Kritik unterwirft, dass er darauf dringt, von Gott nicht bloß die Erhabenheit über der Welt, sondern auch die Herablassung zu ihr zu behaupten und in der wahren Vereinigung dieser beiden Eigenschaften erst Wahrheit seines Verhältnisses zur Welt ausgesprochen findet.“ Wie hier hat es Mendelssohn auch in der Schrift „Sache Gottes oder die gerettete Vorsehung“ (1784) verstanden die Leibnitz'sche Theorie der besten Welt mit altjüdischen Anschauungen in die rechte Vereinigung zu bringen. Wir brauchen bloß den §. 49 daraus herzusetzen, um dies recht deutlich zu machen, §. 49:*) Die Lehre, dass alle Teile der Schöpfung vollkommen, das Ganze aber das Allervollkommenste sei, finden wir in der Schrift mit ausdrücklichen Worten angedeutet: Und Gott sah Alles, was er gemacht und siehe es war sehr gut. (Im Hebräischen steht „sehr“ oft für den Superlativ.) Nun wird von den übrigen Tagewerken, welche bloß einzelne Teile der Schöpfung angehen, nur gesagt und er sah, dass es gut. Das Göttliche betrachtete sie als gut. Am sechsten Tage aber nach vollendeter Schöpfung des Weltalls heißet es: Gott sah Alles, was er gemacht hatte und siehe, es war das Beste. Jene Teile waren an und für sich betrachtet nicht immer das Beste, aber doch allezeit gut. Das Weltall hingegen fand die göttliche Betrachtung als das Vollkommenste, das möglich war. — Noch deutlicher stellt sich der Zusammenhang dieses Paragraphen mit der aus dem innern Gedankenleben des Judentums hergeholten Auffassungsweise heraus, wenn jene bekannte agadische Erklärung der Rabbinen zu dieser Stelle in Betracht gezogen wird. Dieselben, auf ihre mündliche Überlieferung sich berufend, sagen nämlich: sehr gut das bedeutet den Tod. Durch ihn nämlich habe Gott die beste Vollendung der irdischen Schöpfung bewerkstelligt; er habe wie ein Baumeister viele Pläne gehabt, aber mit Hilfe der Zerstörung, des Todes, sei endlich diese als die beste Welt hervorgegangen.**)

*) Wir übergehen die dann vorkommende auf die hebräische Redeweise bezügliche Bemerkung.

**) Vergl. Bereschith rabba, Abschnitt 9.


Nicht also bloß Leibnitz und Spinoza hatte Mendelssohn bei seinen späteren Werken eingehender erforscht, sondern auch das altjüdische Schrifttum. Wenn er hingegen in seinen Schriften erster Periode vom Judentum keinerlei Notiz nimmt, so vermisste man dies, wie eben ausgeführt wurde, zwar im Allgemeinen schmerzlich, die tiefer Blickenden erkannten jedoch bald, dass auch ohne eine solche direkte Beziehung die Arbeiten Mendelssohns dem Judentum gar sehr zugute kämen. Wenn er auch die Existenz Gottes (in der Schrift von der Evidenz in metaphysischen Wissenschaften, 1763), seine weise Leitung der Welt (in den Briefen über die Empfindungen, 1755), die Unsterblichkeit der Seele (im Phädon, dem eigentlich Epoche machenden Werke dieser Periode, 1767) ohne ausgesprochene Verbindung mit seinem angestammten Glauben entwickelte, so mussten sie sich doch sagen, dass gerade diese unabhängige Behandlung in ihrem Ergebnis eine um so unverfänglichere Verherrlichung der jüdischen Glaubenswahrheiten ausspreche, als die Übereinstimmung mit diesen erst nachträglich zum Vorschein gelangte. Sie ahnten, dass in dieser verständig-diskursiven Begründung ein tiefer Zusammenhang mit den wahren und wohlverstandenen Interessen des Judentums liege, welches von jeher die Wahrheiten der natürlichen Religion zu seiner Grundlage gehabt und dass auch für die Bekenner desselben die Tatsache, dass ein Jude sich allgemeiner Zustimmung in der Entwickelung religiöser Fragen erfreue, nur von den heilsamsten Erfolgen begleitet werden könne. Die Einsichtigen lobten es aber nicht minder, dass der friedliche Gewinn von Mendelssohns philosophischer Beschäftigung Juden und Christen in gleicher Weise zugute komme, dass diese systematischen Erweisungen natürlich religiöser Wahrheiten die untersten Grundlagen beider Religionen sowohl objektiv befestigten, als auch subjektiv in der Brust des Zweiflers Keime beruhigender und beglückender Erkenntnis streuten. Wirklich erhielt Mendelssohn ungewöhnliche Beweise der Zustimmung von allen Seiten. Man dankte ihm für diese ersprießliche Tätigkeit, welche in so wohltuender Weise auf dem Wege der verständigen Auseinandersetzung denen eine Antwort bereitete, welche aufgehört hatten, eine solche in den Darbietungen der bestehenden Religionen zu finden. In den genannten und ähnlichen Schriften fanden sie die Sätze aus Leibnitz, Shaftsbury, der Wolf'schen Schule, nicht bloß gemeinfasslich, sondern auch berichtigt und durch Hinzufügung eigener, durch Schlichtheit und Klarheit ausgezeichneter Gründe so beweiskräftig dargestellt, dass sie den Verfasser nach und nach zum Beantworter von allerlei auf die natürliche Theologie bezüglichen Fragen auserkoren. So löst Mendelssohn beispielsweise in dem „Orakel die Bestimmung des Menschen betreffend“ die Zweifel Abbts über dieselbe, welche letzterer bei Gelegenheit des diesen Gegenstand behandelnden Buches von Spalding hatte laut werden lassen, und führt darin den Leibnitzischen Gedanken von der vorherbestimmten Harmonie ganz in dem Sinne dieser trostgebenden Theodicee aus. Wer überhaupt in dem Fache der natürlichen Religion etwas zu leisten unternimmt, wendet sich an ihn, um seine Meinung und seinen Rath zu hören. Regierende Häupter, wie der Herzog von Braunschweig, der Graf von Schaumburg-Lippe, gewinnen Zutrauen zu seiner hohen Einsicht und wünschen dem Verfasser des Phädon näher zu treten. Wo es darauf ankommt, die trennenden Glaubensschranken durch aufklärende Schriften zu stürzen, wird Mendelssohn gern als Teilnehmer gesehen. Kurz, er gewinnt die Bedeutung eines anziehenden Mittelpunktes für Alle, die im Sinne jener philanthropischen Zeit nach der Beglückung, Vervollkommnung und Veredlung aller Menschen strebten.

Haben wir oben gesehen, wie Mendelssohn in seiner sozialen Stellung sich die Aufgabe setzte, zwischen den Bekennern des Judentums und denen des Christentums vermittelnd einzutreten und ein Band der Liebe und der Anerkennung um sie zu schlingen, so sollte das rechtverstandene Ziel seiner bisherigen schriftstellerischen Tätigkeit kein anderes sein, als auch in theoretischer Beziehung zwischen den beiden Religionen zu vermitteln, so zwar, dass ihre Bekenner an den gemeinschaftlichen höchsten Glaubenssätzen als an wissenschaftlich festgesetzten, unverrückbaren Grundlagen sich erfreuten und zugleich sich aufgefordert sähen, über dem Unterscheidenden ihrer Religionen nicht das weit wichtigere Übereinstimmende zu vergessen.

Man muss jedoch nicht glauben, dass Mendelssohn der erste überhaupt war, welcher seine Feder solchem Zwecke weihte. Es waren ihm in diesen Bemühungen vor Allen die aufklärenden Männer Frankreichs *) und unter ihnen ein Mann vorausgegangen, der gleich Voltaire am Hofe Friedrichs des Großen lebend mit diesem persönlichen Umgang pflegte und hierdurch Mendelssohn sogar das preußische Bürgerrecht zu verschaffen wusste, nämlich der Marqnis d'Argens. Man braucht nur diejenigen seiner „jüdischen Briefe“ zu lesen, in welchen Aaron Monceca mit dem befreundeten Rabbi zu Konstantinopel über die drei monotheistischen Religionen korrespondiert, um einzusehen, dass das Bestreben der Ausgleichung zwischen den Verschiedenheiten derselben im Bildungstriebe jener Zeit lag. Während Voltaire jedoch durch seinen aggressiven Ton in Beseitigung herrschender Vorurteile mehr Verwandtschaft mit Lessing zeigt, erinnert die gemäßigte Art jener Briefe, in denen gleichmäßig das Vernünftige im Judentum, Christentum und Muhamedanismus zur Anerkennung gelangt, wie das Unvernünftige darin bekämpft wird, an die ernste Manier Mendelssohns, welche dieser in Religionssachen glaubte einhalten zu müssen. Ebenso hatte ja schon (1754) H. S. Reimarus „des Mahomets Alkoran“ herausgestrichen, weil in ihm gleichwie in den Lehren des A. und N. T. das Vornehmste der natürlichen Religion gar schön ausgedrückt sich vorfinde. Aber unter den Juden ist Mendelssohn der erste, welcher bei ungeschwächter Treue gegen die eigene Religion im Stande war, zugleich mit dem Auge der Liebe auf die neben ihr bestehende jüngere zu blicken. Er war der erste, der nicht mit verstörtem Kajinsantlitz in der Herrschaft derselben und ihrem äußern Erfolge missgünstig eine Gottwohlgefälligkeit sah, die vielmehr der eignen Religion gebühre, sondern jene neidlos anerkennend dennoch in dieser die höchste menschliche Beglückung pries.

*) Der älteste unter ihnen ist Jean Bodin, welcher im 16ten Jahrhundert mitten unter den Stürmen der Religionskriege in Frankreich sein „Heptaplomeres“ zum Schutze der Gewissensfreiheit und der gegenseitigen Duldung schrieb.
Spinoza, Baruch de (1632-1677) niederländischer Philosoph

Spinoza, Baruch de (1632-1677) niederländischer Philosoph

alle Kapitel sehen