Wechsel der Zeiten

Plötzlich und ganz unerwartet besteigt er den Thron mit solchen Grundsätzen, wie sie in dem engen Kreis seines gatschinaschen Lebens entstanden waren, wo der Dienst seine einzige Beschäftigung und Zerstreuung bildete. Er sucht dies auf die Garde zu übertragen. Durch Marschübungen, durch eine lächerliche Frisur und Uniform, durch kränkende Aussprüche, ja sogar Schimpfwörter, durch Arreststrafen ertötet er jenen vornehmen Geist, jene höflichen Umgangsformen und jenen Respekt vor dem Rang, welche sich unter Katharina eingebürgert und unter ihr Wunder gewirkt hatten. Die meisten Offiziere aus der Zeit Katharinas kommen um ihren Abschied ein; er ärgert sich, nimmt darauf keine Rücksicht, gibt ihnen den Abschied und setzt größtenteils seine gatschinaschen Leute an ihre Stelle. Den Heerführern Katharinas und ihren hervorragenden Ratgebern versagt er seine Anerkennung, umgibt sich mit seinen früheren Kammerdienern u. schenkt ihnen sein Vertrauen und besetzt mit ihnen die höchsten Posten im Staate. Ist es da zu verwundern, daß von der Gewalt dieses moralisch-politischen Sturmes das Zeitalter Katharinas in einem Augenblick weggefegt wurde, und daß niemand wußte, wie und was er tun sollte! Es gab nichts Beständiges mehr, und alle irrten wie im Nebel umher. Jeder Augenblick brachte eine neue Überraschung, welche den Anschauungen und Gepflogenheiten der früheren Zeit zu widersprechen schien. Die Rangklassen, Ordensbänder wurden ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, Arreststrafen, Dienstentlassung, bisher etwas Unerhörtes, waren jetzt ganz an der Tagesordnung. Edle Gesinnung, das was die Franzosen point d'honneur nennen und was alle so hoch schätzten, sank gänzlich in seinem Werte. In den ersten Jahren der Regierung Pauls kam noch einiges zum Vorschein, was an die Großen Katharinas erinnerte, indem diese Edelmut genug dazu besaßen, im Dienste auszuharren, der vielen Kränkungen und Verunglimpfungen nicht zu achten, etwas, was die Garde nicht verstand, obwohl sie damit bis zu einem gewissen Grade den Geist aufrecht erhalten hätte, der zu Katharinas Zeiten alle Stände beseelte. Hier glänzten noch einige Zeit die Namen Bezborodko, Troschtschinski, Fürst Kurakin, Ssuworow, Derfelden, Repnin und andre, welche nur der unerbittlichen Notwendigkeit wichen.

Zuletzt verloren alle in diesem Wirrwarr den Kopf; Männer wie Kutaissow, Oboljaninow, Araktschejew, Lindener und andre Fremdlinge erschienen auf der Bildfläche und in ihrer Umgebung verlor der Kaiser selbst den Kopf und verfiel in eine Art periodischen Wahnsinns. Aber auch während dieser Umnachtung seines Geistes gab es Augenblicke, wo sein heller Verstand, seine strenge Gerechtigkeitsliebe, Herzensgüte, ja majestätische Größe blitzartig aufleuchteten. Diese kostbaren Augenblicke der Nachwelt zu überliefern, ist mein Bestreben gewesen; nach denselben kann man sich ein Urteil darüber bilden, was dieser Kaiser hätte sein können, wenn nicht die drückenden Verhältnisse seines Vorlebens seinen Charakter überreizt hätten. Am Ende seiner Tage sah er in ordentlichen, begabten Menschen nur seine Feinde, mit Ausnahme derjenigen, welche er aus Gewohnheit bei sich behalten, die er mit Ehren und Geld reich belohnt hatte, die es aber nicht verstanden, ihn vor der drohenden Gefahr zu bewahren. Die Unzufriedenheit war eine allgemeine.