Ssperanski

Ich begann zu lesen; der Inhalt des Berichtes war folgender: „Balaschow hat sich auf allerhöchsten Befehl zu Ssperanski begeben, um mit ihm bekannt zu werden.“

Ich hielt inne.


Der Kaiser fragte: „Warum lesen Sie nicht weiter?“

Ich wiederholte „bekannt zu werden“. Der Kaiser lächelte und befahl fortzufahren: „Balaschow schreibt: Als er gestern abend um sieben Uhr Ssperanski besuchte, sei er ganz entsetzt gewesen. In dem Vorzimmer habe ein trübes Talglicht gebrannt, in dem nächsten großen Zimmer gleichfalls; von dort sei er ins Arbeitszimmer geführt worden, wo zwei Endchen von Wachslichtern brannten; das Feuer im Kamin sei im erlöschen gewesen. Bei dem Betreten des Zimmers habe er gefühlt, wie der Fußboden unter seinen Füßen erzitterte, gleichsam als ob er federte, in den Schränken aber hätten, anstatt der Bücher, Glasbüchsen gestanden, die irgend welche Substanzen enthielten. Ssperanski habe in einem Lehnstuhl vor einem großen Tisch gesessen, auf welchem einige altertümliche Bücher lagen, in einem von denen er las; als er Balaschow erblickte, habe er es sofort geschlossen, Ssperanski habe ihn freundlich empfangen und gefragt: ,Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, mich zu besuchen?‘ Daraus habe er ihn gebeten, auf dem gegenüberstehenden Lehnstuhl Platz zu nehmen, so daß der Tisch zwischen ihnen geblieben. Balaschow nahm als Vorwand den Wunsch, sich darüber zu beraten, ob nicht dem Polizeiministerium mehr Spielraum gegeben werden könnte. Die Grenzen seien gar zu eng gezogen; es befinde sich sogar in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu den andern Ministerien, so daß es schwer sei, für das allgemeine Wohl frei zu handeln. Man habe viel von der damaligen Polizei Fouchés gesprochen, und als Balaschow seine Bitte um Erweiterung des Wirkungskreises des Ministeriums wiederholte, habe Ssperanski zum Schluß gesagt: ,Mit der Zeit vielleicht wird man das tun können, Sie kennen den argwöhnischen Charakter des Kaisers,‘ fügte er hinzu, ,tout ce qu'il fait, il le fait à demi.‘ Daraus habe er im weiteren Verlauf des Gespräches über den Kaiser bemerkt: ,Il est trop faible pour régir et trop fort pour être regi.'“

Balaschow schließt seinen Bericht mit der Bitte, nicht mehr zu Ssperanski fahren zu müssen.

Während ich las, war es mir so, als ob der Kaiser mich genau betrachtete, indem er sich an das Stehpult, neben welchem er stand, angelehnt hatte. Der Kaiser fragte: „Wie finden Sie das?“

Ich schwieg.

„Sprechen Sie ganz offen!“

„Majestät, in der Wohnung Ssperanskis bin ich noch nicht gewesen, und ob er sich, wie der Herr Minister zu vermuten scheint, mit der schwarzen Kunst abgibt, weiß ich nicht. Nur das erscheint mir sonderbar, wie Ssperanski, der doch ein kluger Mensch sein soll, es gewagt hat, bei der ersten Bekanntschaft, und mit wem? — dem Polizeiminister, so offen sich auszusprechen. Übrigens ist dieselbe Äußerung früher über Ludwig XV. gemacht worden; das ist eine Wiederholung.“ Ich begnügte mich mit diesen Anspielungen, da ich weder Balaschow noch Ssperanski offen schaden wollte, um so mehr, als ich in dem ganzen eine kleinliche Hofintrige sah, die von selbst zu Schanden werden mußte. Indes war ich innerlich entrüstet über Balaschow, der sich daraus kein Gewissen gemacht hatte, einen so albernen und doch zugleich boshaften Bericht gegen deinen Wohltäter einzureichen; denn Ssperanski war dabei behilflich gewesen, ihn zum Polizeiminister zu erheben, hatte ihm sogar das Recht erteilt, das Statut des Polizeiministeriums zu entwerfen, welches ich niederschrieb und das Ssperanski, ohne irgend etwas daran zu ändern, dem Kaiser zur Bestätigung vorstellte.