Sanglens Urteil

Nachdem ich alles dies ausführlich erzählt, fühle ich mich durch mein Gewissen und meine Ehre verpflichtet, meiner szenischen Darstellung noch folgende Bemerkungen hinzuzufügen:

Erstens: Balaschow würde es wohl kaum gewagt haben, die eigenhändigen Schreiben Seiner Hoheit an Ssperanski zu vernichten, wenn er nicht vom Kaiser dazu die Erlaubnis gehabt härte. Die Angelegenheit hat Balaschow wahrscheinlich dazu benutzt, um auch die von ihm selbst an Ssperanski gerichteten Zettel beiseite zu schaffen, und damit dies geheim bliebe, war es nötig, meine Anwesenheit zu verhindern.


Zweitens kann ich nicht umhin, im Interesse der historischen Treue eines Gerüchtes Erwähnung zu tun, für dessen Glaubwürdigkeit ich nicht einstehe, das ich aber nicht unerwähnt lassen kann, weil man in den höchsten Kreisen sich ins Ohr flüsterte, Barklay de Tolly habe Wojejkow mit der Marschroute der ganzen Armee nach Wilna, nebst Bezeichnung der Marschordnung eines jeden Corps, zum Kaiser geschickt. Ssperanski habe gewußt, daß der Kaiser darauf wartete, und habe sich beim Kaiser zum Vortrag befunden, als Wojejkow gemeldet wurde. Als Ssperanski aus dem Kabinett herauskam und Wojejkow erblickte, habe er gesagt: „Da ist er! Bitte gefälligst!“ und sei mit dem Papier wieder in das Kabinett zurückgegangen. Als Wojejkow nach Hause gekommen, habe er eine lederne Geldkatze, voll von Dukaten vorgefunden. Er habe dieselbe Barklay übergeben, der dem Kaiser alles erzählt habe. Wenn etwas, außer den Dukaten, an dieser Geschichte wahr ist, so wäre hiermit vielleicht der Grund klargelegt, weshalb Wojejkow seine Stelle verlor und weshalb er mit Nikolai Zacharjewitsch Chitrowo in Verbindung gebracht wurde. Jetzt, wo dieses Drama seinen Abschluß gefunden, hat sich, ich weiß nicht, ob für alle, welche dabei eine Rolle spielen, oder nur für mich allein, folgendes klar herausgestellt: Der Kaiser, durch den Zwang der politischen Verhältnisse dazu genötigt, auf vaterländischem Boden gegen Napoleon Krieg zu führen, suchte nach einem Mittel, um den Patriotismus wach zu rufen und alle Stände um sich zu scharen. Zur Erreichung dieses Zieles konnte nichts Geeigneteres erdacht werden, als der Verrat gegen den Kaiser und das Vaterland. Das Publikum hatte — einerlei, ob mit Recht oder Unrecht — schon längst in ganz Russland Ssperanski für einen Verräter erklärt. Wen hätte die Wahl besser treffen können, als ihn? Man brauchte nur den Funken anzufachen, um einen Brand hervorzurufen. Der Kaiser ertraute das Geheimnis dem Grafen Armfeld an, einem gewiegten Intriganten, der an verschiedenen Höfen niemals persönlich in den Vordergrund trat, sondern immer indirekt durch andre handelte. Dieser benutzte, wie mir gesehen haben, Vernegues; beide hatten die Absicht, im Interesse der Bourbonen tätig zu sein. Armfeld empfahl zuerst dem Kaiser Balaschow als Polizeiminister und als einen Mann voller Ehrgeiz und Schlauheit, dem dieses Vertrauen schmeicheln würde und vor welchem der wahre Zweck verschwiegen werden müsste. Balaschow, der vom Kaiser den Befehl erhielt, über Ssperanski streng zu wachen, beging darin einen Fehler, daß er den vermeintlichen Verrat Ssperanskis für Wahrheit ansah und im Interesse der eigenen Sicherheit es für nötig erachtete, seine Beziehungen zu Ssperanski geheim zu halten.