Rechtsverhältnisse

Diesem Umstande verdankte er seine Vertrauensstellung; aber außerdem hatte er noch eine Stütze an seiner listigen Frau, einer intimen Freundin der damals allbekannten Praskowja Stepanowna, der Geliebten des Domänenministers. Diese verachtenswerte Freundschaft ließ mich auch den Rat und seine Frau verachten, welche sich eines mit so häßlichen Mitteln erworbenen Ansehens erfreuten, auch bei den Kollegen und Bureaubeamten, die wegen jener schimpflichen Beziehungen vor dem Chef geradezu krochen. In der Tat schalt ich oft meine Untergebenen und ließ mehr als einmal das einem Bauern gewaltsam Abgenommene ihm zurückerstatten. Acht Tage nach meinem Amtsantritt erschien eine Bäuerin des Dorfes Kolomenskoje in der Behörde, warf sich vor dem Rat auf die Kniee und bat ihn um seinen Schutz. „Mein Mann,“ sagte sie, „der Vater von fünf minderjährigen Kindern, soll nach dem Beschluss der Dorfgemeinde als Rekrut abgegeben werden, um einen reichen Bauern, an dem die Reihe ist, davon zu befreien.“ Der Rat wandte sich an den Sekretär, welcher erklärte, daß dabei gar nichts zu machen sei, da dies auf Beschluss der Dorfgemeinde geschehen sei. „Wieso nichts zu machen?“ rief ich aus; „man lasse den Dorfschulzen rufen und erfahre von ihm, ob die Klage der Bäuerin berechtigt ist; dieser armen Frau gebe man aber den Trost, daß ihre Bitte nicht unberücksichtigt geblieben.“ Der Sekretär sagte zum Rat: „Das wird nur unsre Arbeit vermehren.“ — „Wozu sind wir denn aber sonst da,“ sagte ich, „wenn nicht dazu, um denjenigen zu helfen, welche Unrecht leiden?“ Was ich auch sprechen mochte, wie eifrig ich auch aus Mitleid für jene arme Frau eintrat — alles war vergebens. Der Rat erklärte der Bäuerin, daß in diesem Falle nichts weiter zu machen sei, da alles auf gesetzlicher Grundlage, nach dem Beschluss der Dorfgemeinde, angeordnet sei, und daß die Verwaltungsbehörde sich weiter auf die Angelegenheit nicht einlassen könne. Die Bäuerin ging unter Tränen; ich aber eilte nach Schluß der Behörde ins Dorf Kolomenskoje direkt zu dem Schulzen; nachdem ich ihn genau über alles ausgefragt, ob der Bauer sich nicht irgend etwas hatte zu schulden kommen lassen, und nachdem diese Frage von ihm verneint worden war, stellte ich ihm die ganze Ungerechtigkeit ihrer Handlungsweise vor Augen und ermahnte ihn, eine Versammlung der Dorfgemeinde einzuberufen und die Bauern zu einer Abänderung ihres gewissenlosen Beschlusses zu überreden. Am andern Tage kam der Dorfschulze zu mir gefahren und eröffnete mir, daß der erste Beschluss aufgehoben sei; der reiche Bauer, an dem die Reihe gewesen, habe jemand gestellt, der freiwillig für Geld an seiner Statt die Rekrutenpflicht übernommen, und der Mann der Bittstellerin sei davon befreit worden. Ich freute mich sehr darüber, daß der Vater seiner minderjährigen Familie erhalten blieb, und der Schulze bemerkte in seiner Herzenseinfalt: „Was hast du, Väterchen, für ein weiches Herz!“ Gleich darauf erstattete ich dem Minister, seinem eigenen Befehle gemäß, darüber Bericht ab, was ich einzig und allein aus Menschenliebe getan hatte.

Mit der nächsten Post erhielt ich vom Herrn Minister eine Antwort, die folgendermaßen lautete: „Obgleich ich den Regungen Ihres Herzens volle Gerechtigkeit widerfahren lasse, muß ich lehnen bemerken, daß die guten Erfolge einer jeden Behörde von dem einmütigen Zusammenwirken aller Glieder abhängig sind.“


Wie also? Einerseits darf ich in meinen Handlungen der Regung meines Herzens nicht folgen und andrerseits findet dieselbe doch Anerkennung. Wie der Herr Minister will, aber ich kann mir daraus keinen Vers machen und werde der Ansicht seiner Exzellenz zuwider so handeln, wie es mir mein Gewissen und meine Ehre gebietet; weiter aber geschehe, was Gott will! Bald darauf trat ein Fall ein, bei dem ich die von mir ausgesprochenen Grundsatze praktisch zur Anwendung bringen konnte.