Moskauer Gastfreundschaft

Man führte mich durch einen großen Saal, zwei Gastzimmer und zuletzt in das Diwanzimmer, wo ich die ganze Familie um den Teetisch sitzen sah. Es war ungefähr zehn Uhr. Ein älterer, würdig aussehender Herr stand vom Sehnstuhl aus und fragte mich, wen ich zu sprechen wünsche. „Seine Exzellenz Alexander Matwejewitsch Nestorow.“ — „Das bin ich,“ antwortete er. "Ich übergab ihm den Brief meines Vorgesetzten." „Bitte Platz zu nehmen,“ sagte er und begab sich in sein Arbeitszimmer. Eine ehrwürdige alte Dame, die Gemahlin des Herrn Nestorow, deren Antlitz noch Spuren einstiger Schönheit bewahrt hatte, begrüßte mich freundlich und bat mich, neben ihr Platz zu nehmen. Alle wandten sich an mich mit Fragen über meinen Vorgesetzten, über das Leben in Reval. Alles atmete hier Frieden, Glück, altpatriarchalisches Leben, wie man es heutzutage vergebens suchen würde. Man schenkte mir Tee ein, die Unterhaltung wurde immer lebhafter und nach einer kleinen Weile fühlte ich mich ganz so, als wäre ich ein langjähriger Bekannter des Hauses. Inzwischen war auch der Hausherr wieder erschienen und wandte sich an mich mit den Worten: „,Ihr Vorgesetzter spricht sich so vorteilhaft über Sie aus, daß sein Urteil einem so jungen Manne wie Sie alle Ehre macht. Wo sind Sie aber abgestiegen?“ ,Ich wußte anfangs nicht, was ich antworten sollte; schließlich faßte ich mir ein Herz und sagte offen heraus, daß ich es noch nicht wüsste. „Bleiben Sie doch bei uns; Kinder,“ fügte er hinzu, „ihr habt viele Zimmer zu eurer Verfügung, tretet dem Herrn eins davon ab.“ Ohne meine Antwort abzuwarten, führten meine neuen Bekannten mich in ihre Appartements und stellten mir die Wahl eines Zimmers frei. ,Ich war so gerührt von diesem liebenswürdigen Empfang, daß ich, als man mir sagte: „Wählen Sie ein beliebiges Zimmer,“ kaum zu antworten vermochte: „Wo und wie es Ihnen beliebt.“ Sie handelten für mich, ließen meine Habseligkeiten bringen, und als nur ein Koffer, in dessen Begleitung sich nicht einmal ein Reisekissen befand, zum Vorschein kam, fragte der älteste Sohn lächelnd: „Sie sind wohl wahrscheinlich als Kurier gereist?“ — „,Ja wohl,“ antwortete ich und wies meinen Reisepass vor. — „Machen Sie sich deshalb weiter keine Sorgen,“ antwortete er, „wir werden für Sie das Nötige beschaffen,“ dabei erteilte er seinem Kammerdiener leise einen Befehl.

Kaum hatten wir Zeit gefunden, einiges zu ordnen, einzurichten, als wir zum Herrn Papa gerufen wurden. „Sie haben gewiß einen Brief an meine Schwester, die Mutter Ihres Vorgesetzten, beeilen Sie sich, denselben abzugeben.“ Darauf wandte er sich an den ältesten Sohn und sagte: „Affanassji! Fahre mit dem Herrn zur Tante Anna Matwejewna.“ Ihr Haus befand sich auch in der deutschen Vorstadt, nicht weit von dem Hause des Herrn Nestorow.