Letzte Stunden

Als die Kaiserin am Morgen des 7. November 1796 erwachte, schellte sie, wie gewöhnlich, um sieben Uhr. Maria Ssawischna Peressuchin trat ins Zimmer. Die Monarchin versicherte, schon lange nicht mehr eine so ruhige Nacht gehabt zu haben, stand vollkommen gesund und in bester Stimmung auf.

„Heute werde ich sterben,“ sagte sie.


Fräulein Peressuchin suchte sie auf andre Gedanken zu bringen, aber die Kaiserin fügte, auf die Uhr zeigend, hinzu: „Sieh doch, zum erstenmal ist sie stehen geblieben.“

„Nun, was ist denn dabei, Mütterchen; schicke nach dem Uhrmacher und die Uhr wird wieder gehen.“

„Du wirst schon sehen,“ sagte die Monarchin, und indem sie ihr zwanzigtausend Banko*) einhändigte, fügte sie hinzu: „Das ist für dich.“

Wenn ich daran denke, wie die Kaiserin am Tage vorher auch über dieses Thema gescherzt hatte, so kann ich mich nicht dagegen verschließen, daß eine dunkle Ahnung von dem nahe bevorstehenden Tode ihre Seele beunruhigte. Aber wie immer beachtet man, solange man gesund und kräftig ist, diese Mahnungen nicht und legt ihnen weniger Gewicht bei, als es nötig wäre. Wie aber, wenn sie an diese Vorahnung geglaubt und an das von ihr zurückgelassene Reich dachte?

Katharina trank zwei große Tassen starken Kaffees, scherzte beständig mit Fräulein Peressuchin, machte Pläne über ihre Verheiratung und begab sich darauf in ihr Schreibzimmer, wo sie ihre gewohnten Arbeiten vornahm. Das war ungefähr um acht Uhr morgens. Im Sekretärszimmer versammelten sich die Herren zum Vortrag und harrten ihrer Befehle. Es vergeht eine Stunde und niemand wird hereingerufen. Das war etwas Ungewöhnliches. Der „alte Zachar“ wird befragt. Er meint, die Kaiserin habe eine Promenade in den Wintergarten unternommen. Die Kaiserin erscheint nicht. Er begibt sich in das Kabinett, in das Schlafzimmer, sie ist nirgends zu finden; schließlich öffnet er die Tür in das kleine Geheimkabinett — und die Gebieterin der halben Welt liegt ausgestreckt auf dem Fußboden, Totenblässe bedeckt ihr Antlitz. Er stößt einen Schrei des Entsetzens aus, Fräulein Peressuchin und ein Kammerdiener eilen herbei, heben sie auf, tragen sie hinaus und betten sie „auf einer Saffianmatratze auf dem Fußboden. Richardsohn erschien sogleich, öffnete die Ader, wobei das Blut in normaler Weise zu rinnen begann, und legte auf die Füße spanische Fliegenpflaster. Obgleich die Ärzte davon überzeugt waren, daß der Schlag den Kopf getroffen hatte und tödlich gewesen war, wurden doch alle möglichen Belebungsversuche angestellt. Man suchte durch zwei mit einem glühenden Eisen auf die Schulter versetzte Schläge ein Lebenszeichen hervorzurufen. Katharina schlug noch einmal aus einen Augenblick die Augen auf und schloß sie dann für immer. Lange noch rang der Körper mit dem Tode, als schon keine Spur von seelischem Leben zu bemerken war. Fräulein Peressuchin und die Doktoren wechselten alle Augenblicke die Tücher, mit welchen die aus ihrem Munde hervorströmende, anfangs gelbliche, dann dunkle Materie abgewischt wurde. Nur das ununterbrochene Zucken des Magens, der sich krampfhaft bald senkte, bald hob, zeigte, daß noch Leben vorhanden war. In dem Bericht über die Thronbesteigung Kaiser Paula I. werden wir noch einige Einzelheiten über den Tod Katharinas erfahren.

*) Etwa fünfzehntausend Mark.