Letzte Augenblicke

„Nun, wollen wir gehen,“ sagte Ssperanski zu mir in freundlichem Tone.

Ich antwortete: „Da ich nichts Besseres zu tun hatte, so habe ich, Exzellenz, alle Zimmer durchwandert und außer Tischen und verschlossenen Schränken nichts bemerkt.“


„Immerhin,“ sagte Ssperanski, „wollen wir zusammen einen Rundgang machen.“

Er setzte uns auseinander, welche Akten in jedem einzelnen Schrank aufbewahrt werden, und nachdem wir drei oder vier Zimmer besucht, kehrten wir wieder in den ersten Saal zurück.

Ssperanski und Balaschow gingen im Saale auf und nieder, ersterer mit einer Kaltblütigkeit, Ruhe und Fassung, die mich mit Achtung zu ihm erfüllten. Balaschow ging neben ihm, wie ein Schuljunge, der ängstlich darum besorgt ist, ob der Lehrer nicht weiß, was er alles für dumme Streiche gemacht hat!

Die ersten Worte Ssperanskis waren: „Gott gebe, daß meine Abreise dem Kaiser und dem Vaterlande zum Nutzen gereichen mögen! Bitte Seine Majestät wissen zu lassen, daß ich mit den innigsten Wünschen für das Glück Russlands abreise.“

Balaschow: „Wer wird bei uns Staatssekretär sein?“

Ssperanski: „Ich wünschte, die Wahl träfe einen würdigen und tüchtigen Mann.“

Balaschow: ,,,Ich glaube, Olenjin ist dazu bestimmt.“

Ssperanski (die Achseln zuckend): „Mich würde es mehr interessieren, zu wissen, wer in diesem vaterländischen Kriege den Oberbefehl haben wird.“

Balaschow: „Das weiß man bis jetzt noch nicht.“

Ssperanski: „Man muß Gott darum bitten, alles möge zum Heile Russlands endigen.“

Die Unterhaltung wollte nicht so recht in Fluss kommen; es traten in einem fort Pausen ein. Balaschow, glaube ich, wollte etwas herausbekommen, Ssperanski aber war auf seiner Hut.

Balaschow: „Wünschen Sie nicht von Ihrer Tochter Abschied zu nehmen?“

Ssperanski: „Nein, das würde auf mich einen zu ergreifenden Eindruck machen. Ich habe den Kaiser gebeten, sie mir morgen nachschicken zu lassen.“

Balaschow: ,,Haben Sie nicht sonst noch etwas nötig?“

Ssperanski: „Ich danke Ihnen, ich habe alles Ceumern übertragen, er leitet alle meine geschäftlichen Angelegenheiten. Ist es aber nicht schon Zeit für mich, abzureisen und Sie, meine Herren, zur Ruhe gehen zu lassen?“

Balaschow: „Jakob Iwanowitsch! Versiegeln Sie das Schreibzimmer; da haben Sie den Petschaft dazu.“

Ich rief den Revieraufseher Schipulinski herbei; er brachte Licht und eine Schnur, um das Schloß zu verbinden, und ich drückte das Siegel darauf.

Ssperanski und Balaschow gingen stumm im Zimmer auf und nieder. Plötzlich blieb Ssperanski stehen und sagte: „Alexander Dmitrijewitsch, das zweite Portefeuille haben wir im Arbeitszimmer vergessen.“

Balaschow: „Nehmen Sie die Siegel ab, Jakob Iwanowitsch!“

Ich rührte mich nicht von der Stelle.

Balaschow: „Nun, ich habe Sie doch gebeten, das Siegel abzunehmen.“

Ich: „Zweimal zu versiegeln und das Siegel wieder abzunehmen bin ich nicht befugt.“

Balaschow gab Schipulinski einen Wink, dieser warf mir einen Blick zu und nahm darauf das Siegel ab. Balaschow und Ssperanski betraten das Schreibzimmer und schlossen ein wenig die Tür. Kurze Zeit darauf kamen beide wieder zurück, mit einem Portefeuille, das noch mehr vollgestopft war, als das erste. Balaschow wandte sich mit einem spöttischen Lächeln zu mir, indem er sagte: „Bitte zu versiegeln.“

„Zum zweitenmal wage ich das nicht zu tun,“ antwortete ich.

Balaschow erteilte wiederum Schipulinski den Befehl und hielt selbst das Licht; so wurde das Schreibzimmer aufs neue versiegelt.

Balaschow (gereizt): „Sie vergessen sich.“

Ich: „Sie haben recht, Exzellenz, einer von uns vergißt sich, indem er seinen Verpflichtungen nicht gewissenhaft nachkommt; ich bedaure, daß Michael Michailowitsch dem Kaiser und Russland zu dem Verdachte Anlaß geboten, daß diese Mappen Dinge enthalten, die verheimlicht werden müssen.“

Ssperanski, der vermutlich keine Lust hatte, Zeuge eines Streites zu sein, wandte sich an Balaschow und sagte: „Leben Sie wohl, Alexander Dmitrijewitsch, ich danke Ihnen;“ sie umarmten sich. „Leben Sie wohl, Jakob Iwanowitsch,“ fügte Ssperanski hinzu.

Ich verneigte mich.