Katharina II.

Nichtsdestoweniger hatte ich es diesen Empfehlungsschreiben zu verdanken, daß ich zweimal die Große Katharina zu sehen bekam. Das erste Mal beim großen Einzug in die Kirche.

Sie schritt langsam dahin, ihr Gang war ungezwungen, ihre Haltung majestätisch, ihr Haupt schmückte eine kleine Brillantkrone. Lächelnd grüßte sie nach beiden Seiten, und ihr Lächeln drückte Huld, gepaart mit majestätischer Würde, aus. Der gesamte Hofstaat, welcher ihr vorausging und folgte, erschien wie aus Gold gegossen, die Damen übersät mit Brillanten. Während sie an mir vorüberschritt, stockte mir der Atem, ich war ganz Auge. Sie war schon vorbeigegangen und noch immer stand ich unbeweglich an demselben Platze.


Ist es ein Wunder, dachte ich, daß man die Kaiserin für eine auf Erden wandelnde Gottheit ansieht? Auch Jupiter kann in seinem olympischen Palast kaum von solcher Pracht umgeben gewesen sein, und schwerlich hat er mehr Ehrfurcht und Hochachtung eingeflößt. Bei ihrem Anblick rief der Gedanke an das von ihr glücklich und berühmt gemachte Russland ein Gefühl des Stolzes wach, man war stolz darauf, ein Russe zu sein und ihr dienen zu können.

Zum zweitenmal sah ich die Kaiserin, als sie zu einer Spazierfahrt den Schlitten bestieg. Es begleitete sie Fürst Platon Alexandrowitsch zudem. Sie war verschleiert, doch konnte man am Gang „die Große“ erkennen. Ich vernahm ihre Stimme. In gebieterischem, aber gütigem Tone sagte sie: „Nehmen Sie Platz, mein Fürst.“ Lange Zeit klang der Ton dieser Stimme mir in den Ohren, ich glaube ihn auch jetzt noch bisweilen zu hören.“

Petersburg hatte damals gar keine Ähnlichkeit mit dem patriarchalisch einfachen „Mütterchen“ Moskau. Dort war der nationalrussische Ton vorherrschend, alles erinnerte an die Vergangenheit Russlands; hier hatte alles einen gewissen ausländischen, fremden Anstrich; in der Gesellschaft sprach man französisch und nur mit den Untergebenen russisch. Sogar in den kaufmännischen Häusern von Bacharacht und andern ahmte man diesen Ton nach. Haben die Ausländer nicht deshalb Russland lange Zeit hindurch Moskowien genannt? Den Hauptgegenstand der meisten Gespräche bildete Katharina; sie war die Seele aller privaten Unterhaltungen, man wetteiferte untereinander in der Erzählung von Anekdoten aus ihrem Privatleben; auch ich will dieselben dem Leier nicht vorenthalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten, weil sie wert sind, der Nachwelt überliefert zu werden,, und schließlich, weil sie alle den höchsten Würdenträgern als Vorbild dienten, von letzteren auf ihre Untergebenen übergingen und von diesen bis in die untersten Rangklassen sich verbreiteten. Alle nahmen sich ihren Edelsinn, ihre Ansichten von den Dingen, welche sie umgaben, zum Muster, und auf diese Weise fand alles Gute, von ihr ausgehend, seinen Weg über ganz Russland.