Geselligkeit

Man machte mit mir Besuche bei Verwandten und Bekannten, und zeigte mir alle öffentlichen Orte, kurz, man ließ es sich angelegen sein, mich mit Moskau, seinen Sehenswürdigkeiten, Sitten und Gebräuchen bekannt zu machen. Nichts machte auf mich einen solchen Eindruck, wie mein erster Besuch im adligen Kasino. Alles erschien mir da wie im Zauber und ich selbst kam mir verzaubert vor. Der Glanz des Goldes, Silbers und der Brillanten, die wunderbare Beleuchtung, die Kavaliere in der Uniform, mit seidenen Strümpfen, grande tenue; die Damen mit Brillantdiademen, Blumen, in den prachtvollsten Roben, eine Versammlung von nahezu zweitausend Menschen — alles dies mußte auf einen Provinzialen, der das zum erstenmal zu sehen bekam, einen großen Eindruck machen. Denkt man sich noch dazu eine ausgesuchte Höflichkeit, auf allen Gesichtern ein vergnügtes Lächeln, das Wohlwollen der Alten gegen die jüngeren, die Ehrerbietung der letzteren gegen die ersteren, so gewinnt man eine annähernde Vorstellung von dem adligen Kasino Anno 1795. Es gehört eine geschicktere Feder dazu, als die meinige, um diese berückende Zauberwelt, diese vornehme Ungezwungenheit des Verkehrs, welche alle belebte, zu beschreiben. Ich will schon gar nicht reden von der hohen Zahl der großen, verdienstvollen Herren, welche, antiken Heroengestalten gleichend, diese Gesellschaft besuchten, und in der Höflichkeit und Bescheidenheit den jüngeren mit gutem Beispiel vorangingen.

Im Hinblick auf jene Zeiten, auf jene Freiheit im Denken und Handeln, konnte man jagen, daß die ganze Gesellschaft einzig und allein durch den gesellschaftlichen Geist getragen schien, welcher auf der Hochachtung gegen ältere Leute, auf Sittlichkeit und Ehre beruhte. Die meisten Offiziere erhielten von ihren Vorgesetzten Urlaub auf unbestimmte Zeit, sie mußten nur eine Bescheinigung darüber ausstellen, daß sie im Falle einer an sie ergangenen Ordre sofort zu ihren Kommandos eilen würden. Ich weiß nicht, ob es vorkam, daß einer von uns jemals, auch nur um einen Tag, sich verspätete. So groß war bei allen die Ambition, das Ehrgefühl, jener point d'honneur, der sich vor einem Verweise fürchtete, vollends aber vor einer Arreststrafe, — das Gott bewahre! Diese galt als eine Beschimpfung des Standes und ein ferneres Verbleiben bei dem Regimente oder Kommando war unmöglich. Hierauf war wohl auch die damals übliche Redensart von Einfluß: „Die Uniform kann fadenscheinig sein, von der Ehre aber muß der Offizier einige Pud*) besitzen.“ Die Ehre, die Ambition, der point d'honneur wohnten in aller Herzen, aber am stärksten waren sie beim Militär entwickelt. Damals begann kein Edelmann den Staatsdienst vom Kollegienregistrator**), es sei denn, daß er krank, verwachsen u. s. w. war, und in den Zivildienst ging er mindestens mit dem Rang eines Stabsoffiziers über, ein Grad, der damals nicht leicht zu erreichen war. Es hatte den Anschein, als ob in aller Adern kriegerisches Blut rollte, und es war eine allgemein verbreitete Ansicht: Wer nicht mit dem Militärdienst begonnen, aus dem wird nichts Ordentliches, allenfalls noch ein Unterstaatssekretär.


*) Ein Pub =? Zentner. Anmerk. d. Übers.
*) Die vierzehnte unterste Rangklasse im Zivildienst. Anm. d. Übers.