Für und wider

Man wirft ihr das unnütz vergossene Blut unschuldiger Opfer vor. Es ist schwer, sich in diesen Fällen ein Urteil zu bilden, doch muß zugestanden werden, daß sie vor dem Verbrechen nicht zurückschreckte, wo es ihr notwendig erschien. Schwierige Verhältnisse, die, wenn auch nur in der Vorstellung, üble Folgen für die Zukunft befürchten lassen, zwingen die Mächtigen dieser Erde der Milde, ja sogar der Menschenliebe sich zu entäußern, mit festem Willen und eiserner Energie zu handeln. Schlagen wir wiederum das Buch der Geschichte auf. Wieviel große Männer haben die Seiten desselben mit unschuldig vergossenem Menschenblut besudelt. Man denke nur an den Herzog von Enghien, jenes unschuldige Opfer der Grausamkeit Napoleons. Mit Recht macht man Katharina aus der Teilung Polens einen Vorwurf. Sie hat viel Elend, auf lange Zeit hinaus, über dieses Land gebracht und ihren eigenen Staat eines Bollwerks gegen andre Mächte beraubt. Man kann ihr das um so weniger verzeihen, als sie jederzeit auf das widerrechtlich und unpolitisch geteilte Polen einen mächtigen Einfluß ausüben konnte. Übrigens sind die menschlichen Handlungen zu verwickelt, und nicht immer ist es möglich, für dieselben einen mathematisch sicheren Maßstab zu finden. Wenige Stunden nach ihrem Tode war Katharina vergessen. „Sie war schon alt geworden,“ hörte man viele sagen, „sie besaß nicht mehr die frühere Energie, das von ihr errichtete Gebäude geriet schon bei ihren Lebzeiten in Verfall.“ Aber diese Leute wollten es nicht einsehen, daß, wenn dies auch zum Teil mit Recht behauptet werden konnte, sie doch immerhin ihre Lebenskraft darangesetzt hatte. Jetzt dachte man nur an dasjenige, was ihren Ruhm in Schatten stellen konnte. Russland hat diese Undankbarkeit schwer zu büßen gehabt; denn trotz aller Mängel muß „man doch zugestehen, daß das Zeitalter Katharinas vielleicht das glücklichste für alle Stände gewesen ist. Um sich der Ruhe, Achtung, einer angemessenen Freiheit zu erfreuen, brauchte man nur kein Verbrecher zu sein. —