Französische Spione

Einige Tage darauf ließ mich der Kaiser zu sich rufen und erklärte mir folgendes: „Ich habe vom Oberpolizeimeister von Berlin die Nachricht erhalten, daß hier schon seit mehreren Monaten französische Offiziere sich als Spione heimlich aufhalten; man muß dieselben ausfindig machen.“

Ich fragte den Kaiser, ob ihre Namen bekannt oder ob nicht sonst irgend welche Merkmale angegeben seien.


,Nein,“ antwortete der Kaiser, „aber trotzdem müssen sie ausfindig gemacht werden; du weißt ja, du bist der einige, dem ich glaube; richte es so ein, daß niemand etwas von der Sache erfährt.“

Ich gab dreien meiner Beamten den Auftrag, jeden Tag verschiedene Restaurants zu besuchen, dort zu speisen, alles genau in Augenschein zu nehmen und jede Beobachtung mir mitzuteilen. Dem Polizeimeister von Wilna — Weiß — trug ich aber auf, alle aus Polen Anreisenden mit der nötigen Strenge beobachten zu lassen. Da erfuhren die von mir Abgeordneten, daß auch einer der Balaschowschen Beamten sich mit der nämlichen Angelegenheit befasse; also war die Sache nicht mir allein anvertraut worden. Ich ärgerte mich und begann selbst das damals renommierte Restaurant von Krischkewitsch zu besuchen. Hier fiel mir ein Pole von ungemein sicherem Auftreten auf, der durch sein Äußeres den schneidigen Frontsoldaten verriet; er bestellte eine Flasche Champagner nach der andern und schimpfte in den heftigsten Ausdrücken über Napoleon. Nach Hause zurückgekehrt, befahl ich dem Polizeimeister Weiß, ihn zu mir zu bitten. Ich ließ Tee reichen und bewirtete ihn; im Gespräch erfuhr ich, daß er mit zwei seiner Kameraden nach Warschau zurückkehren wolle, daß man aber wohl jetzt niemand aus der Stadt hinauslassen werde. Ich nahm diese Gelegenheit wahr, um ihm meine Dienste anzubieten, und ließ meinen Kanzleichef Protopopow rufen, um die Namen der betreffenden Herren zu notieren und für sie Pässe in Bereitschaft zu setzen. Unterdessen hatte ich dem Polizeimeister Weiß den Befehl erteilt, seine Wohnung durchsuchen, den Fußboden, wo nötig, auch die Öfen und Schornsteine aufreißen zu lassen; meinen Gast aber hielt ich durch verschiedene Gespräche hin; er nannte sich als polnischer Edelmann Drazewski (sie!) und gab vor, niemals beim Militär gedient zu haben.

Es erscheint der Polizeimeister und läßt mich herausrufen; ich ging, nachdem ich vorher der Schildwache den Befehl erteilt, den Gast nicht aus dem Hause zu lassen. Weiß hatte folgende Papiere mitgebracht, die er in der Ofenröhre und unter dem Fußboden gefunden hatte:
1. Verhaltungsbefehl des Generals Roznecki an den Lieutenant Drazenewski;
2. ein von Napoleon unterschriebenes Lieutenantspatent;
3. eine lederne Geldkatze mit fünftaufend Dukaten Inhalt;
4. Notizen von Drazenewski selbst über unsre Armee und über unsre Generäle. Die Sache war sonnenklar; das Verhör nahm nur kurze Zeit in Anspruch; er war genötigt, ein Geständnis abzulegen. Während ich nach seinen beiden Kameraden schickte, ließ mich der Kaiser zu sich entbieten.