Feste in der Eremitage

Die Abendgesellschaften in der Eremitage waren für die Erholung bestimmt und dienten zur Erheiterung nach des Tages Mühe und Arbeit. Hier war es streng verpönt, den Vernünftigen zu spielen. Wer sich gegen die Satzungen dieser Gesellschaft, die von der Kaiserin selbst entworfen waren, verging, hatte sich je nach dem Grade des Vergehens folgenden Strafen zu unterziehen: Er mußte ein Glas kaltes Wasser trinken, eine Seite aus der Telemachie vorlesen; die höchste Strafe aber war, bis zur nächsten Soiree zehn Verse aus ebenderselben Telemachie auswendig zu lernen. Lew Alexandrowitsch Naryschkin soll sich häufiger als alle andern diese Strafe zugezogen haben. Man hatte ihn aber im Verdacht, daß er es absichtlich tue. Sein schwungvoller, drastischer Vortrag rief Gelächter hervor und trug dadurch zur allgemeinen Heiterkeit bei. Leute, welche ein besonderes Talent dafür besaßen, sich zu verstellen, Grimassen zu schneiden u. s. w., wurden mit Vorliebe in diese Gesellschaft als Mitglieder aufgenommen. Vangiura verstand es, so seine Stirn zusammenzuziehen, daß sein natürliches Haar wie eine Perücke seine Augenbrauen berührte, darauf bewegte er es nach rechts, nach links, und galt dafür als „Hauptmann“ in der Gesellschaft. Katharina selbst, die es verstand, das rechte Ohr bis zum Halse herunter- und dann wieder hinaufzuziehen, wurde als „Lieutenant“ anerkannt. Der eine aus der Gesellschaft verstand es, sehr natürlich einen Bockbeinigen nachzumachen, ein andrer einen Schnarrer u. s. w.; ein jeder leistete, was er am besten konnte. Es muß bemerkt werden, daß es hier weder Titel noch Rang gab; nur ein Privilegium besaßen alle, nämlich das Recht, sich zu amüsieren. „Eure Majestät“, „Eure Exzellenz“ und die übrigen Titulaturen waren mit einer Pön belegt. So gestattete die Beherrscherin des größten Reiches der Welt andern, wenigstens für einige Stunden, zu vergessen, daß sie Kaiserin sei, und ließ sich selbst auf diese Weise daran erinnern (und wo? Im Winterpalais), daß sie ein Mensch war mit dem natürlichen Bedürfnis nach ungezwungenem Verkehr mit andern Menschen; außerhalb der Eremitage mußte sie sich dies im Interesse ihrer Würde als Selbstherrscherin versagen.

Ich habe dem Leser gezeigt, von einem wie erhabenen Gesichtspunkt aus die Kaiserin ihre ganze Umgebung betrachtete; da wird ein jeder begreifen, welch ungeheuren Einfluß das auf die der Kaiserin nahestehenden Machthaber und beinahe auf alle Stände, namentlich den Adel, ausüben mußte. Ich verließ Petersburg in der Voraussetzung, dasselbe nicht so bald wiederzusehen, jedenfalls aber nicht in der Pracht und dem Glanze, welche jetzt mein Erstaunen wachriefen.