Der Rückzug

Am 16. Juni setzten sich unsre Truppen mit Tagesanbruch in Bewegung, nachdem einige Exemplare des Manifestes an Russland in französischer Sprache in Wilna zurückgelassen worden waren, und wir begannen unsern Rückzug, allerdings in etwas gedrückter Stimmung, da alle sich nach dem Kampfe mit dem Feinde sehnten. Diese Stimmung herrschte unter allen
Generälen und Soldaten. „Das Wort ,Retirade‘ ist dem russischen Soldaten wider die Natur,“ pflegte Ssuworow zu sagen.

Die Armee retirierte auf einem schlechten Nebenwege, aber in völliger Ordnung. Am 20. Juni erreichten wir Sswentzjany, wo sich das Hauptquartier des Kaisers befand. Die Anwesenheit des Kaisers im Heere erfreute aller Herzen. Soweit ich mich erinnere, wurde der Marquis Paulucci hier zum Chef des Stabes der ersten Armee ernannt. Ich wollte die wohlwollende Gesinnung des Kaisers für mich ausnutzen und wagte es, ihn um die Erlaubnis zu bitten, das Herr verlassen zu dürfen, denn ich hatte eine große Zahl von Unannehmlichkeiten zu bestehen.


„Das soll nicht geschehen,“ sagte der Kaiser, „ich habe dich hier nötig.“

Ich erhielt die Nachricht, die italienische Armee unter der Führung des Vizekönigs habe auf ihrem Marsche bis Troki unter großem Mangel an Proviant und Fourage gelitten: Pferde seien gestürzt, Gepäckwagen auf der Straße stecken geblieben, und die Zahl der Kranken habe außerordentlich stark zugenommen. Der König von Westfalen habe sich nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem Bruder Napoleon in sein Königreich begeben. Auch eine Proklamation Napoleons an die Polen wurde mir zu-geschickt, in welcher er dieselben zum Aufstand gegen Russland aufforderte. Der Kaiser war mit diesen Nachrichten sehr zufrieden und behielt sie bei sich, indem er sagte: „Das brauchen nicht alle zu wissen, von den Verlusten der Franzosen ist mündlich Mitteilung zu machen. Ihr Elend hat begonnen, wollen wir sehen, womit alles dies endigen wird.“

Da passierte ein eigentümlicher Fall. Kosaken hatten einen französischen Stabsoffizier gefangen genommen und er wurde mitsamt den Plänen, welche er auf dem Marsche abgenommen harte, zu mir gebracht, damit ich ihn verhöre. Auf meine Fragen antwortete er recht offenherzig und fragte schließlich: „Werden Sie diese Komödie noch lange fortsetzen?“

„Welche Komödie?“ fragte ich.

„Sollten Sie das nicht wissen? Nun, so will ich es Ihnen als Geheimnis anvertrauen: Dieser ganze Krieg mit Russland ist ein Scheinkrieg, darauf berechnet, die Engländer zu täuschen. Wir marschieren mit Russland zusammen nach Indien, um die Engländer von da zu verjagen.“

Ich teilte dies Barkley mit, der erwiderte: „Wieder ein neuer Einfall von Napoleon.“