Der Kaiser

Endlich erschien durch die Türspalte im Nebenzimmer Licht; Kerzen wurden angezündet. Die Tür ging auf und der Kaiser stand vor mir. Ich verneigte mich.


Der Kaiser sagte mit einem außerordentlich gütigen Lächeln zu mir: „Entrez, je vous prie!“


Ich trat ein, der Kaiser schloß selbst die Tür, faßte mich unter dem Arm, führte mich durch das Zimmer zu einem an der Wand stehenden kleinen Schreibpult und sagte, nachdem er hier stehen geblieben: „J'ai désiré faire votre connaissance, pour vous demander quelques renseignements sur des articles, que je ne puis bien concevoir, et que vous devez connaître.“

Hält mich der Kaiser wegen meines Familiennamens nicht am Ende für einen Franzosen? dachte ich und antwortete: „Majestät! Ich bin ein Russe und die Landessprache ist mir geläufiger als das Französische.“

Der Kaiser schien hierüber erfreut, fing an zu lachen und sagte zu mir: „Das freut mich; ich bin ja doch auch ein Russe; wollen wir russisch sprechen.“ Nach einer kleinen Pause fuhr der Kaiser fort: „Sie hatten, glaube ich, Gelegenheit, zu bemerken, daß ich mit Ihren Arbeiten zufrieden bin. Die von Ihnen verfassten Berichte blieben unbeanstandet.“

Ich verneigte mich.

,,Ich wünsche über einiges Auskunft zu erhalten. Balaschow hat sich über Sie beschwert, aber ich habe nicht recht verstanden, worum es sich handelte.“

„Wie es meine Pflicht erfordert, mache ich dem Herrn Minister häufig Vorstellungen, welche nicht immer diejenige wohlwollende Aufnahme finden, welche die Lauterkeit meiner Absichten verdient hätte. Übrigens ist mir unbekannt, worin die Beschwerde des Ministers bestand.“

„Aus dem Papier, das Sie geschickt haben, ersehe ich, daß Sie das Richtige vermutet. Sie wollten, meine ich, dem Wunsche des Ministers zuwider, ein Papier nicht mitunterzeichnen, das von ihm unterschrieben worden war.“

„In der Tat, so war es; der Herr Minister hatte mir befohlen, Zirkulare an alle Zivilgouverneure anzufertigen mit der Weisung, Register von allen in den betreffenden Gouvernements wohnhaften Dissidenten zusammenzustellen. Ich erkühnte mich dagegen einzuwenden, daß eine derartige Maßregel unter den Dissidenten Schrecken verbreiten und den Fanatismus entzünden konnte, welchen zu wecken immer gefährlich wäre; sie könnte bei ihnen sogar den Gedanken wachrufen, daß die Stellung der Dissidenten gesetzliche Gültigkeit erhalte, und in dem Falle würde ihre Zahl bedeutend zunehmen. Schließlich war ich der Ansicht, daß ein ähnliches Zirkular nicht ohne Allerhöchsten Befehl erlassen werden könne. Der Minister erklärte mir ärgerlich: ,Ich habe Sie nicht um Ihren Rat gebeten, sondern die Ausführung meines Befehls verlangt.‘ Die Zirkulare wurden fertiggestellt, aber ich machte von dem betreffenden Artikel des Statuts über die Ministerien Gebrauch, kraft dessen ich das Recht hatte, nicht mit zu unterzeichnen.“

„Sie haben sehr richtig gehandelt. Balaschow geht darauf aus, die Wirksamkeit seines Ministeriums immer mehr und mehr auszudehnen; er will alles und alle in seine Gewalt bekommen. Das kann ich nicht billigen.“

Ich schwieg.
„Sie haben keine Veranlassung, sich zu fürchten; Sie können frei heraus reden. Was wir sprechen, bleibt unter uns.“

„Nicht Furcht ist es, Majestät, was mich zurückhält; ich werde mich nicht erdreisten, darüber zu sprechen, was ich nicht kenne und was ich nicht beweisen kann.“

„So hat Armfeld mir Sie geschildert, und früher auch Balaschow selbst, der mir äußerst verdächtig zu werden anfängt. Kennen Sie Ssperanski?“

„Nein, Majestät, ich bin nicht mit ihm bekannt.“

„Sie können bekannt werden.“

„Das ist, Majestät, gar nicht so leicht. Welchen Vorwand kann ich benutzen, um mit einem Mann bekannt zu werden, der eine so hohe Stelle einnimmt? Ich könnte allenfalls noch unter dem Vorwande, daß ich seine Protektion suche, ihn betrügen und damit in meinen Augen verächtlich werden.“

„Warum denn? Ich habe Balaschow den nämlichen Auftrag erteilt und besitze von ihm einen Bericht.“

„Ich überlasse es einem jeden so zu handeln und sich mit seinem Gewissen abzufinden, wie es ihm gefällt; was aber mich betrifft, so verstehe ich es nicht, mein Gewissen den Umstanden anzupassen.“

„Wenn aber das Interesse des Vaterlandes dies verlangen würde?“

„,Ich würde offen demjenigen entgegentreten, dem es auch nur in den Sinn käme, dem Vaterlande zu schaden; aber unter der Maske des Bestrebens, mir eine Protektion zu erwerben, einem an dem den Dolch ins Herz zu stoßen — dazu bin ich nicht fähig. Früher oder später würde meine Offenheit doch die Oberhand gewinnen und ich würde alles verderben.“

Der Kaiser küsste mich auf die Stirn und sagte: „Balaschow denkt anders. Hier ist sein Bericht; lesen Sie ihn laut vor.“