Bei Ssperanski

Ich setzte mich schleunigst in meinen Schlitten und fuhr um elf Uhr nachts beim Hause Ssperanskis vor. Im Vorzimmer bemerkte ich zwei Diener im Reisekostüm, im Pelz, mit Pelzstiefeln u. s. w.

Auf meine Frage: „Wer seid ihr?“ antworteten sie: „Wir begleiten unsern Herrn auf seiner Reise nach Nischni Nowgorod.“


Ich trat ins Zimmer, eine Art Saal, wo ich Balaschow aus einem Diwan sitzen sah; vor ihm stand ein kleiner Tisch, auf demselben brannte ein Endchen von einem Talglicht. ,Ich machte ihm Meldung von der Abreise Magnitzkis. „Die Frau und der Sohn Magnitzkis lassen alle grüßen.“

Balaschow: ,,Ich gestehe, daß ich deshalb fortgefahren, um nicht Zeuge einer so ergreifenden Szene sein zu müssen.“

Ich gab mir den Anschein, als glaubte ich ihm das. „Ja,“ antwortete ich, „Zeuge einer solchen Szene zu sein, ist nicht sehr angenehm, aber lehrreich, wenn man als Familienvater das, was man zu sehen bekommt, auf seine eigene Person anwendet! Übrigens, abgesehen von dem Augenblick der Trennung, welche Ruhe, Kaltblütigkeit, Fassung! Sollte ein Verbrecher wirklich eine so würdige Maske annehmen können?“

Balaschow erhob sich, begann auf und ab zu gehen, blieb plötzlich stehen und sagte: ,,Es ist sonderbar, daß Ssperanski noch immer nicht vom Kaiser zurück ist.“

Ich: „Mir geht ein lächerlicher und zugleich nicht sehr tröstlicher Gedanke durch den Sinn. Wie wär's, wenn es ihm gelingt, sich zu rechtfertigen, und wenn an Stelle von Ssperanski Eure Exzellenz mit mir, Ihrem eifrigen Diener, zusammen verschickt werden würden?“

Balaschow: „Ich muß gestehen, dieser Gedanke beunruhigte auch mich, so lange ich allein war. Was kann man wissen? Auf nichts kann man sich verlassen.“

Ich: „Wenn dies geschehen sollte, so werden Eure Exzellenz an mir einen treuen und munteren Reisegefährten haben.“

Balaschow: „Woher das?“

Ich: ,,Es könnte gar nichts Spaßhafteres geben, als wenn das lange Drama ein tragikomisches Ende nehmen würde. Wir sollen expedieren und plötzlich werden wir selbst expediert.“

Balaschow suchte seine Verwirrung dadurch zu verbergen, daß er laut auflachte. Man merkte es ihm aber sehr wohl an, daß ihm gar nicht lächerlich zu Mute war. In diesem Tone wurde die Unterhaltung fortgesetzt, als eine Kutsche in den Hof fuhr.

„Da ist er!“ rief Balaschow, nahm seinen Hut in die Hand und stellte sich neben mich hin.

Ssperanski trat ein; an seinem Gesichtsaugdruck war nichts Besonderes zu bemerken; er hielt ein Portefeuille in der Hand und sagte in ruhigem Tone: „Entschuldigen Sie, meine Herren! Der Kaiser hat mich aufgehalten.“ Dann wandte er sich zu Balaschow und fragte: „C'est apparement Mr. de Sanglen?“

Als Balaschow diese Frage bejahte, trat Ssperanski auf mich zu, ergriff meine Hand und sagte: „Je suis bien fâché, monsieur, de n'avoir pu faire votre connaissance plutôt.“

Balaschow warf mir einen schielenden Blick zu; ich machte Ssperanski meine Verbeugung.

Ssperanski fügte hinzu: „Au reste, j'emporterai avec moi un bon souvenir de vous.“

Balaschow blickte mich erstaunt an.

Ssperanski wandte sich zu Balaschow und sagte: „Ist es Ihnen gefällig, so gehen wir auf mein Arbeitszimmer,“ und schritt voraus. Balaschow, der sehr verlegen wurde, sagte leise zu mir: „Lassen Sie mich nur auf eine halbe Stunde mit ihm allein, dann werde ich Sie rufen.“