Anna Matwejewna

„Ich legte volle Uniform an und präsentierte mich der Mutter meines Chefs; sie war eine Dame von mittlerem Wuchs, mit einem noch frischen, freundlich lächelnden Gesicht, ihre Augen brannten wie Feuer und ließen auf einen scharfen Verstand schließen. Mein Chef sah seiner Mutter sehr ähnlich; derselbe Wuchs, dieselben Augen, dieselbe Physiognomie, dasselbe freundliche Lächeln, und, wenn ich mit ihr irgendwo zufällig zusammengetroffen wäre, so hätte ich sie sofort für seine Mutter oder Schwester gehalten. „Was macht mein Aleksej?“ fragte sie, und ich mußte ihr auf das genaueste von dem Leben und Treiben meines Vorgesetzten und seiner Familie berichten. Sie schalt mich dafür, daß ich nicht direkt bei ihr vorgefahren, fügte aber hinzu: „Du wirst übrigens beim Bruder mehr Abwechselung haben; da ist viel Tugend, hier dagegen sind wir lauter alte Leute. Damit wir uns recht häufig sehen können, wird meine Equipage jeden Tag vom Morgen an vor dem Hause meines Bruders bereit stehen.“ Mein Begleiter Affanassji Alexandrowitsch erlaubte sich zu bemerken: „An einer Equipage wird es auch bei uns nicht mangeln.“ — „Dummes Zeug,“ antwortete sie, „Ihr werdet mit ihm in Moskau herumfahren und ich werde ihn gar nicht zu sehen bekommen. Mich kannst du zu jeder Zeit, meinetwegen täglich, zu Mittag besuchen,“ fügte sie hinzu, „jedenfalls aber des Sonntags; wenn du aber etwas nötig haben solltest, so siehe zu,“ — dabei machte sie eine drohende Bewegung — „daß du mich nicht umgehst.“

Die Familie des Herrn Nestorow bestand aus vier Söhnen, ebensoviel Töchtern und einer entfernten Nichte. Der älteste Sohn Affanassji hatte in der Garde gedient, augenblicklich war er Oberstleutnant außer Dienst, der zweite, Matwej, war aktiver Hauptmann in der Garde, der dritte, Michael, Gardefähnrich, der vierte Kornett im Kürassierregiment des Grafen Sfaltykow. Alle waren zur Zeit meines Besuches anwesend. Die Töchter waren noch alle unverheiratet. Die beiden ältesten Brüder hatten fast ganz Europa bereist und hielten mit der Bildung ihrer Zeit Schritt; die übrigen Geschwister standen ihnen nur wenig nach. Fügt man noch die liebevolle Offenherzigkeit der Alten (des Vaters und der Mutter) hinzu, die Liebenswürdigkeit der Söhne, das zarte Wesen der Töchter, das überaus innige Verhältnis, welches alle untereinander verband, die aufrichtige Ehrerbietung der Kinder gegen die Eltern, die innige Liebe letzterer zu ihren Kindern, das Wohlwollen gegen die Menschen im allgemeinen, so wird man schwerlich etwas finden, was man dem altpatriarchalischen russischen Leben in Moskau an die Seite stellen konnte.