Die Bildwerke
Der bildnerische Teil des Grabower Altars muss zur Zeit der Entstehung tiefer gewirkt haben als die Malerei.
Auch für uns bedeuten die Skulpturen des Grabower Altars heute sicher nicht weniger als die Bilder, ja vielleicht stehen sie auch unserer Empfindung noch näher. Bei den Bildern haben wir uns zu gewöhnen an ringende und unzulängliche Anschauung und Ausdrucksformen, die besten der Statuetten wirken unmittelbar.
Dass Meister Bertram zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern nicht nur seiner eigenen Zeit gehört, wird von denen, die den Grabower Altar nach der Entfernung der dicken Gipsschicht und Übermalung des neunzehnten Jahrhunderts gesehen haben, jetzt allgemein anerkannt. Es lebt von demselben Geist in ihm, der das gewaltigste Bildwerk des Nordens, Claus Slüters Mosesbrunnen in Dijon geschaffen hat.
Wie uns die Bilder Bertrams und Franckes den unmittelbaren Anschluss an die alte deutsche und niederländische Kunst gewähren, so steht uns von nun an durch Bertrams Bildwerke ein unmittelbarer Zugang zu den Schöpfungen unserer nationalen Skulptur offen. Durch die Vertiefung in Bertrams Wesen können wir nun die Sprache unserer alten Bildhauer verstehen lernen. Das wird dazu beitragen, dass wir unser eigenstes Vermögen wieder entdecken und nach seinem Werte schätzen lernen. Wenn ein ausländischer Künstler oder Kenner durch unsere alten Kirchen und Sammlungen geführt wird, so pflegt er vor der überraschenden Entdeckung unserer nationalen Skulptur zu meinen, wir seien viel mehr für die Bildhauerei als für die Malerei begabt. Dies Urteil, wenn auch einseitig übertrieben als Folge des starken Eindrucks, hat doch ein Körnchen Wahrheit. Aber wie lange wird es dauern, bis wir durch eigene Erfahrung zu dieser Erkenntnis gekommen sind? Solange sie uns nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, wird es weitergehen, wie bisher, wo die bildhauerischen Begabungen nur ausnahmsweise zur Entwicklung kommen.
***********
Durch einen Zufall steht uns in einem großartigen Gesamtwerk als redender Gegensatz vor Augen, was Bertrams Generation in der Plastik aufgegeben und was sie gewonnen hatte.
Der Hauptaltar in der Gruftkirche des mecklenburgischen Fürstenhauses zu Doberan stammt in seinen obern Teilen aus der Zeit vor Bertram. Als nach 1368 das Langschiff vollendet war und die Ausstattung um eine Reihe großartiger Werke bereichert wurde, erschien der Altaraufsatz zu niedrig, und Bertram, in dessen Werkstatt das Ciborium und wahrscheinlich auch das gewaltige Laienkreuz entstand, erhielt den Auftrag, ihn durch die Einfügung einer untern Reihe von Skulpturen zu erhöhen. Darüber gibt es keine Dokumente. Aber die Kunstwerke sprechen für sich.
Er schloß sich dabei nicht dem Stil seiner Vorgänger an, sondern führte die Figuren so unbefangen in seiner Art aus, als hätte er ein ganz unabhängiges Werk zu schaffen. Schlie, dem dieser Gegensatz nicht entgangen, äußerte die Ansicht, dass vielleicht derselbe Künstler, der die beiden obern Reihen im zierlichen altertümlichen Stil geschaffen, in einer spätem Entwicklung die untere Reihe hinzugefügt haben könnte. Ganz unmöglich wäre es vielleicht nicht. Aber der Abstand erscheint doch gar zu groß.
Die beiden obern Skulpturenreihen gehören in ihren fast überschlanken Leibern, den idealen Kopftypen, der vornehmen, zierlichen Fältelung der Gewänder auf den magern Leibern der aristokratischen Epoche an, die in Bertrams Jugendzeit ausklang. Ich würde sie, soweit meine Beobachtung reicht, kaum über 1350 hinausrücken.
Bertrams Figuren der untern Reihe mit ihrem gedrungenen Bau mit den großen Köpfen, ihrer derberen Bewegung, ihren bildnismäßigen Gesichtern bezeichnen einen Fortschritt nach der Seite der Lebenswahrheit, den die Generation Bertrams (nicht ohne wichtige Güter der Vergangenheit aufzugeben) durchzusetzen berufen war.
****************
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Skulpturen am Grabower Altar nicht alle von derselben Hand herrühren. Zwei, der Prophet Hosea und der Prophet Micha, haben Köpfe, die dem sechzehnten Jahrhundert angehören, zwei Frauengestalten, die heilige Ursula und die heilige Katharina, die eine zierlich und schlank, die andere plump und schwer, bilden jede einen gänzlich abweichenden Typus, wenn sie auch aus BertramsWerkstatt stammen können. Bei den übrigen herrscht im ganzen derselbe Typus. Aber der Unterschied im künstlerischen Wert springt in die Augen. Neben einer Reihe lieblicher Frauen und großartiger Apostel und Prophetengestalten, die heute den Künstler entzücken und dem unbefangenen Laien, der ein Herz hat, unmittelbar Genuss gewähren, erscheinen andere wohl als derselben Art aber kaum derselben Hand angehörig.
Sie stammen aus derselben Werkstatt, aber nicht notwendig von demselben Meister. Es ist von vornherein undenkbar, dass der Meister selbst neben den vierundzwanzig Bildern die doppelte Anzahl größerer und kleinerer Skulpturen eigenhändig ausgeführt haben sollte. Dass er Gesellen beschäftigte, wird durch die Kämmereirechnungen bezeugt.
Sollte es möglich sein, den Anteil des Meisters von dem der Gehilfen scharf zu sondern?
Dass die besten dem Meister gehören, wird nicht zu bezweifeln sein. Aber die Grenze ist sehr schwer abzustecken, und es lässt sich auch nicht sagen, wie weit er an den übrigen beteiligt ist. Wir wissen nicht, wie überhaupt die Arbeit vor sich gegangen ist. Lagen Zeichnungen oder Modelle zugrunde? War die Kraft der Phantasie so groß, dass das Bild aus der scharfen Vorstellung ohne weiteres in die Materie übersetzt werden konnte? Wie groß war der Anteil der Gunst des Zufalls bei der Ausführung? — Soviel ist sicher, Modelle aus der Hand des Meisters haben den Gehilfen nicht vorgelegen, denn die Statuetten, die wir ihnen zuschreiben müssen, zeigen ganz andere Verhältnisse als die des Meisters, und ihre Motive sind ärmer und unausgetragen. Oder sollten vielleicht die mit den viel zu großen Köpfen die ersten und die besser proportionierten die späteren Arbeiten sein?
Was wir heute bei noch ungeschärftem Erkenntnisvermögen festzustellen versuchen, wird in einigen Jahren bei innigerer Vertrautheit hoffentlich einer tiefern Einsicht weichen.
243 Baldachin der unteren Rheihe
Zweifelhaft ist es auch noch, wie weit überall die Bemalung der Köpfe von Bertrams Hand ist. Bei einigen, wie dem Chrisius und der heiligen Maria Magdalena, waltet keinerlei Zweifel. Bei andern könnte eine Restauration von 1595 vorliegen. Die Gesichtsfarbe der Skulpturen an der Goldenen Tafel von Lüneburg (hannoversches Provinzialmuseum), die ich nicht mehr vergleichen konnte, stehen mir als auffallend gleichmäßig hell in der Erinnerung. Auf dem Grabower Altar sind die Köpfe der Figuren je nach dem Typus heller oder dunkler, genau wie auf den Bildern Bertrams. Auf den ausgeführtesten Köpfen wie dem Paulus, findet sich aber schließlich nichts, das Bertram nach den Köpfen auf den Bildern (Noah, Isaak, Simeon) nicht gehören könnte. Es ist sehr zweifelhaft, ob einer Restauration von 1595 eine Durchführung zugetraut werden kann, die so völlig der Konzeption der zu Grunde liegenden Modellierung entspricht. Diese Frage muss offen bleiben.
Da der dem Auge erreichbare Teil der Doberaner Skulpturen aus Bertrams Zeit in jüngster Zeit übermalt ist, besitzen wir im ursprünglichen Zustand nur sehr wenig Bildwerke aus Bertrams Zeit.
Die um 1595 erneuerten Köpfe der Propheten Hosea und Micha weichen in der Durchführung von der des Paulus und verwandter Köpfe erheblich ab. Die Bemalung geht weit weniger in die Einzelheiten und schmiegt sich nicht so innig an die zugrunde liegende Bildhauerarbeit. Den Propheten Micha in der Bekrönung halte ich in Schnitzerei und Bemalung für einen Teil der Restauration von der Wiederherstellung von 1734.
244 Baldachin der oberen Reihe
Auch für uns bedeuten die Skulpturen des Grabower Altars heute sicher nicht weniger als die Bilder, ja vielleicht stehen sie auch unserer Empfindung noch näher. Bei den Bildern haben wir uns zu gewöhnen an ringende und unzulängliche Anschauung und Ausdrucksformen, die besten der Statuetten wirken unmittelbar.
Dass Meister Bertram zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern nicht nur seiner eigenen Zeit gehört, wird von denen, die den Grabower Altar nach der Entfernung der dicken Gipsschicht und Übermalung des neunzehnten Jahrhunderts gesehen haben, jetzt allgemein anerkannt. Es lebt von demselben Geist in ihm, der das gewaltigste Bildwerk des Nordens, Claus Slüters Mosesbrunnen in Dijon geschaffen hat.
Wie uns die Bilder Bertrams und Franckes den unmittelbaren Anschluss an die alte deutsche und niederländische Kunst gewähren, so steht uns von nun an durch Bertrams Bildwerke ein unmittelbarer Zugang zu den Schöpfungen unserer nationalen Skulptur offen. Durch die Vertiefung in Bertrams Wesen können wir nun die Sprache unserer alten Bildhauer verstehen lernen. Das wird dazu beitragen, dass wir unser eigenstes Vermögen wieder entdecken und nach seinem Werte schätzen lernen. Wenn ein ausländischer Künstler oder Kenner durch unsere alten Kirchen und Sammlungen geführt wird, so pflegt er vor der überraschenden Entdeckung unserer nationalen Skulptur zu meinen, wir seien viel mehr für die Bildhauerei als für die Malerei begabt. Dies Urteil, wenn auch einseitig übertrieben als Folge des starken Eindrucks, hat doch ein Körnchen Wahrheit. Aber wie lange wird es dauern, bis wir durch eigene Erfahrung zu dieser Erkenntnis gekommen sind? Solange sie uns nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, wird es weitergehen, wie bisher, wo die bildhauerischen Begabungen nur ausnahmsweise zur Entwicklung kommen.
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Durch einen Zufall steht uns in einem großartigen Gesamtwerk als redender Gegensatz vor Augen, was Bertrams Generation in der Plastik aufgegeben und was sie gewonnen hatte.
Der Hauptaltar in der Gruftkirche des mecklenburgischen Fürstenhauses zu Doberan stammt in seinen obern Teilen aus der Zeit vor Bertram. Als nach 1368 das Langschiff vollendet war und die Ausstattung um eine Reihe großartiger Werke bereichert wurde, erschien der Altaraufsatz zu niedrig, und Bertram, in dessen Werkstatt das Ciborium und wahrscheinlich auch das gewaltige Laienkreuz entstand, erhielt den Auftrag, ihn durch die Einfügung einer untern Reihe von Skulpturen zu erhöhen. Darüber gibt es keine Dokumente. Aber die Kunstwerke sprechen für sich.
Er schloß sich dabei nicht dem Stil seiner Vorgänger an, sondern führte die Figuren so unbefangen in seiner Art aus, als hätte er ein ganz unabhängiges Werk zu schaffen. Schlie, dem dieser Gegensatz nicht entgangen, äußerte die Ansicht, dass vielleicht derselbe Künstler, der die beiden obern Reihen im zierlichen altertümlichen Stil geschaffen, in einer spätem Entwicklung die untere Reihe hinzugefügt haben könnte. Ganz unmöglich wäre es vielleicht nicht. Aber der Abstand erscheint doch gar zu groß.
Die beiden obern Skulpturenreihen gehören in ihren fast überschlanken Leibern, den idealen Kopftypen, der vornehmen, zierlichen Fältelung der Gewänder auf den magern Leibern der aristokratischen Epoche an, die in Bertrams Jugendzeit ausklang. Ich würde sie, soweit meine Beobachtung reicht, kaum über 1350 hinausrücken.
Bertrams Figuren der untern Reihe mit ihrem gedrungenen Bau mit den großen Köpfen, ihrer derberen Bewegung, ihren bildnismäßigen Gesichtern bezeichnen einen Fortschritt nach der Seite der Lebenswahrheit, den die Generation Bertrams (nicht ohne wichtige Güter der Vergangenheit aufzugeben) durchzusetzen berufen war.
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Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Skulpturen am Grabower Altar nicht alle von derselben Hand herrühren. Zwei, der Prophet Hosea und der Prophet Micha, haben Köpfe, die dem sechzehnten Jahrhundert angehören, zwei Frauengestalten, die heilige Ursula und die heilige Katharina, die eine zierlich und schlank, die andere plump und schwer, bilden jede einen gänzlich abweichenden Typus, wenn sie auch aus BertramsWerkstatt stammen können. Bei den übrigen herrscht im ganzen derselbe Typus. Aber der Unterschied im künstlerischen Wert springt in die Augen. Neben einer Reihe lieblicher Frauen und großartiger Apostel und Prophetengestalten, die heute den Künstler entzücken und dem unbefangenen Laien, der ein Herz hat, unmittelbar Genuss gewähren, erscheinen andere wohl als derselben Art aber kaum derselben Hand angehörig.
Sie stammen aus derselben Werkstatt, aber nicht notwendig von demselben Meister. Es ist von vornherein undenkbar, dass der Meister selbst neben den vierundzwanzig Bildern die doppelte Anzahl größerer und kleinerer Skulpturen eigenhändig ausgeführt haben sollte. Dass er Gesellen beschäftigte, wird durch die Kämmereirechnungen bezeugt.
Sollte es möglich sein, den Anteil des Meisters von dem der Gehilfen scharf zu sondern?
Dass die besten dem Meister gehören, wird nicht zu bezweifeln sein. Aber die Grenze ist sehr schwer abzustecken, und es lässt sich auch nicht sagen, wie weit er an den übrigen beteiligt ist. Wir wissen nicht, wie überhaupt die Arbeit vor sich gegangen ist. Lagen Zeichnungen oder Modelle zugrunde? War die Kraft der Phantasie so groß, dass das Bild aus der scharfen Vorstellung ohne weiteres in die Materie übersetzt werden konnte? Wie groß war der Anteil der Gunst des Zufalls bei der Ausführung? — Soviel ist sicher, Modelle aus der Hand des Meisters haben den Gehilfen nicht vorgelegen, denn die Statuetten, die wir ihnen zuschreiben müssen, zeigen ganz andere Verhältnisse als die des Meisters, und ihre Motive sind ärmer und unausgetragen. Oder sollten vielleicht die mit den viel zu großen Köpfen die ersten und die besser proportionierten die späteren Arbeiten sein?
Was wir heute bei noch ungeschärftem Erkenntnisvermögen festzustellen versuchen, wird in einigen Jahren bei innigerer Vertrautheit hoffentlich einer tiefern Einsicht weichen.
243 Baldachin der unteren Rheihe
Zweifelhaft ist es auch noch, wie weit überall die Bemalung der Köpfe von Bertrams Hand ist. Bei einigen, wie dem Chrisius und der heiligen Maria Magdalena, waltet keinerlei Zweifel. Bei andern könnte eine Restauration von 1595 vorliegen. Die Gesichtsfarbe der Skulpturen an der Goldenen Tafel von Lüneburg (hannoversches Provinzialmuseum), die ich nicht mehr vergleichen konnte, stehen mir als auffallend gleichmäßig hell in der Erinnerung. Auf dem Grabower Altar sind die Köpfe der Figuren je nach dem Typus heller oder dunkler, genau wie auf den Bildern Bertrams. Auf den ausgeführtesten Köpfen wie dem Paulus, findet sich aber schließlich nichts, das Bertram nach den Köpfen auf den Bildern (Noah, Isaak, Simeon) nicht gehören könnte. Es ist sehr zweifelhaft, ob einer Restauration von 1595 eine Durchführung zugetraut werden kann, die so völlig der Konzeption der zu Grunde liegenden Modellierung entspricht. Diese Frage muss offen bleiben.
Da der dem Auge erreichbare Teil der Doberaner Skulpturen aus Bertrams Zeit in jüngster Zeit übermalt ist, besitzen wir im ursprünglichen Zustand nur sehr wenig Bildwerke aus Bertrams Zeit.
Die um 1595 erneuerten Köpfe der Propheten Hosea und Micha weichen in der Durchführung von der des Paulus und verwandter Köpfe erheblich ab. Die Bemalung geht weit weniger in die Einzelheiten und schmiegt sich nicht so innig an die zugrunde liegende Bildhauerarbeit. Den Propheten Micha in der Bekrönung halte ich in Schnitzerei und Bemalung für einen Teil der Restauration von der Wiederherstellung von 1734.
244 Baldachin der oberen Reihe
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meister Bertram tätig in Hamburg 1367-1415