Der Buxtehunder Altar

Die beiden großen Altäre Bertrams, der Grabower und der Buxtehuder, sind als zwei verschiedene Typen deutlich ausgeprägt.

Als Ausdruck des religiösen und auch des politischen Gefühls einer aufstrebenden Gemeinde war der Grabower Altar bestimmt, den weitläufigen Raum von Alt St. Petri in Hamburg zu beherrschen. Niemand kam ihm sehr nahe, selbst die Priester, die den Gottesdienst versahen, hatten ihn hoch über sich. Von der Ausführung der Einzelheiten hat kaum wieder jemand etwas gesehen, nachdem die Bilder die Werkstatt verlassen hatten.


In Buxtehude war der Altar für den Chor der Kapelle eines Frauenklosters bestimmt, für einen Raum geringer Abmessungen, wenn nach dem Maß der Flügel geschlossen werden darf. Hier stand er niedrig. Man konnte die Bilder besehen, wie in einem Buch. Es ist verständlich, dass der Künstler, auch wenn es ihm nicht zur Bedingung gemacht wurde, in der Ausmalung der Ereignisse sehr viel ausführlicher wurde, als auf dem Hauptaltar.

Das Format der Bilderflächen kam ihm dabei sehr zu statten. Auf dem Grabower ist es sehr schmal und hoch und bietet nur für zwei oder drei Figuren Raum, auf dem Buxtehuder dagegen dehnt es sich fast quadratisch in die Breite. Statt der zwei oder drei Personen haben gelegentlich acht oder zehn Platz, und der Künstler kann sie in zwei oder drei Gruppen vereinigen. Dies Format begünstigt seine Neigung zu erfinden und zu erzählen. Joachims Opfer, der Besuch der Engel, der Christusknabe im Tempel hätten auf den hohen Rechtecken des Grabower Altars ganz anders komponiert werden müssen oder überhaupt nicht Platz gehabt.

Auch der Stoff gab vielfachen Anlaß zu sittenbildlichen Schilderungen. Was uns hundert Jahre später Albrecht Dürer in seinem Marienleben schenkte, eine Verklärung unseres Familienlebens, das hat auch Bertram schon gefühlt und ausgedrückt. Die Geburt der Maria ist bei Bertram wohl einfacher aber nicht weniger innig in den Hauptmotiven als bei Dürer. Dass wir jetzt das Werk unseres alten hamburgischen Meisters mit Dürer vergleichen können, Bertram an Dürer, Dürer an Bertram messend, führt uns tiefer in ihr Wesen ein, das im Grunde dasselbe bleibt.

Zu der Gunst des Stoffes und des breiten Formats kam für den Künstler noch ein besonderer Ansporn aus dem Zweck der Bilderfolge. Das Marienleben war für ein Nonnenkloster bestimmt. Nonnen hatten den Stoff gewählt wie bei dem Clarenaltar in Köln, dessen wichtigster Teil ebenfalls das Marienleben bildet. Das Leben der Jungfrau, die Schicksale des Christkindes nährten ihre Phantasie. Der Künstler konnte ihnen nicht genug davon erzählen. Es lässt sich vorstellen, wie die Nonnen mit Bertrams Marienlegende lebten, die doch wohl außer einigen Miniaturen ihr wichtigster und zur Zeit der Entstehung sicher ihr lebendigster Kunstbesitz war.

Aus der Bestimmung für ein Nonnenkloster wird sich die besondere Sorgfalt erklären, mit der Bertram die bunte Tracht seiner Zeitgenossen schilderte und in der Darstellung von allerlei Umwelt weit über das vor ihm übliche Maß hinausging. Wie mag allein die modische Frauentracht die Nonnen beschäftigt haben.

Auch werden einzelne Motive aus dem Gemüt und der Andacht der Nonnen geflossen sein. Wie sich die alte Magd bei der Geburt der Maria das neugeborene Kind zu baden anschickt, wie hinter ihr eine junge Magd, das Badetuch über die ausgebreiteten Hände gespannt, begierig den Vorgang beobachtet, bis die Reihe an sie kommt, das sind bildgewordene Träume der Nonnen.

Auf dem Hochaltar im Angesicht der Gemeinde wären so zarte Gedanken nicht am Platz.

Aber alle diese günstigen Bedingungen hätten nicht gefruchtet, wenn nicht in der Begabung Bertrams der besondere Trieb, zu fabulieren und zu schildern, vorhanden gewesen wäre.

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Der Buxtehuder Altar folgt äußerlich dem überlieferten Typus des gemalten Altars, der vom Schnitzaltar verschieden ist. Während die geschnitzten Figuren schon früh in eine reiche Architektur gesetzt wurden, besteht der gemalte in den Gegenden des norddeutschen Backsteinbaues noch bis ins 15. Jahrhundert aus Bildern in ruhigen, ganz unarchitektonischen Rahmen, in denen noch romanische Überlieferung fühlbar ist.

Die Bilder auf den Außenflügeln werden durch bemalte Rahmen umschlossen. Die ruhigen Flächen sind rotviolett und tragen goldene stilisierte Lilien, die einfache Abfasung nach dem Bilde ist schwarz und mit stilisierten Rosen verziert, Lilien und Rosen als Marienblumen zu denken. Werden die Flügel geöffnet, so erscheinen die Innenbilder in goldenen Rahmen. Ihre breiten Flächen sind mit einer Reihung aus Kreisen und Rechtecken geschmückt, die Kreise schüsselartig, die Rechtecke muldenförmig vertieft. Die Abfasung nach dem Bilde zu aber ist geriefelt, um den störenden blanken Strich zu brechen, den der Reflex einer vergoldeten Abfasung bilden würde. Es ist wohl eins der ältesten Beispiele dieses Kunstgriffs wenn nicht das älteste.

Auf der Innenseite der Flügel sind die Bilder etwas schmäler als auf der Rückwand, da zwei Rahmenbreiten abgehen. Es folgt daraus, dass die Komposition der Bilder der Rückwand noch mehr ins Erzählende gehen kann.

Die Entstehungszeit lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Dass der Grabower Altar älter ist, scheint mir zunächst aus innern Gründen wahrscheinlich.

Auf dem Buxtehuder Altar geht der Künstler dem Problem des Raums konsequenter zu Leib. Er sucht entschieden so weit wie möglich in die Tiefe zu kommen. Bei der Geburt der Maria schildert er eine ganze Zimmerecke; bei der Verkündigung wird Maria von drei Wänden ihres Kämmerleins umgeben, und der Engel blickt durchs Fenster. An sich ausschlaggebend erscheint die weitere Ausbildung der Technik. Das Auflichten eines Farbenflecks durch Punktierung, Strichelung und Schraffierung mit einer andern Farbe — Zinnober mit gelb, karmin mit weiß, gelb mit weiß, grau mit hellgrau und braun — wiederholt sich überall, während es auf dem Grabower Altar nur in den ersten Spuren vorkommt.

Auch äußere Anzeichen sprechen dafür, den Buxtehuder Altar etwa in die Mitte der neunziger Jahre zu rücken. Später möchte ich ihn nicht ansetzen, weil er mir das Werk eines noch jugendlichen Mannes scheint.

Das Testament von 1390 errichtet Bertram vor seiner Pilgerfahrt nach Rom. Wenn er den Buxtehuder Altar bald nach der Rückkehr gemalt hat, erklären sich einige Dinge, die auf die Bekanntschaft mit der Natur und der Kunst des Südens deuten können. Auf der Verkündigung an die Hirten kommt eine aus Nordafrika stammende, in Italien gezüchtete rammsnasige Ziege mit langen Hängeohren vor, die der Künstler, wenn sie nicht etwa schon durch den Handel nach dem Norden gebracht worden war, nur im Süden beobachtet haben konnte. Ihre Darstellung hat, was vielleicht ins Gewicht fällt, im Vergleich zu andern Tierbildern des Meisters, etwas Unlebendiges, das zu einer verblassten Erinnerung stimmen würde. Dann fühle ich etwas von italienischer Monumentalität und Größe in einzelnen Figuren, so in der des Engels, der hinter dem h. Joachim steht, in der großartigen Frauengestalt hinter der Maria bei der Darstellung im Tempel. Aber ich wüsste nicht zu sagen, was Bertram etwa in der Erinnerung gehabt haben könnte oder was ihn vielleicht befruchtet haben möchte.

Auch der letzte äußere Grund, den ich anführen kann, ist noch nicht ausschlaggebend. Im Testament von 1390 werden verschiedene Kirchen und Klöster erwähnt, das bei Buxtehude noch nicht. Im Testament von 1410 wird es reicher bedacht, als alle andern. Das muss einen Grund haben. Und da er nicht in dem Umstände zu suchen ist, dass er eine Schwester oder Tochter unter den Klosterfrauen hatte, so bleibt nur die Annahme, dass er nach 1390 seinen Altar für das Kloster geschaffen hat.

Das Kostüm des vierzehnten Jahrhunderts kennen wir noch nicht genau genug, um Schlüsse auf Datierung in so kurzen Abständen darauf bauen zu können.

Auf den Außenflügeln ist links der Tod, rechts die Krönung der Jungfrau geschildert. Nur die Abwesenheit der Vergoldung auf den Rahmen bedeutet eine Dämpfung der Wirkungen. Die Bilder sind so goldig und farbig wie die der Innenseite und sogar noch prächtiger, weil sie die Abmessungen von vier der Innenbilder haben. Der Rhythmus, der von sachtem Wirkungen der Außenflügel auf die stärksten beim Zurückschlagen der Flügel ausging, war noch nicht sicher durchgebildet.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meister Bertram tätig in Hamburg 1367-1415