Der Besuch der Engel

Für diese Darstellung fehlt es in der Epoche Bertrams und noch lange nachher an einem Seitenstück.

Inhalt und Aufbau sind gleich originell. Die Dichtung, aus der der Stoff stammen dürfte, kann ich noch nicht nachweisen. Maria sitzt auf einem hölzernen Thron und strickt mit langen hölzernen Nadeln den purpurnen ungenähten Rock, der mit dem Kinde wächst und unter dem Kreuz ausgelost wird. Neben ihr steht ein Korb mit Garnknäueln. Das Christkind an der Erde ist vom Kreiselspiel zum Bilderbesehen übergegangen. Es hat ein Geräusch gehört, schaut vom Buch auf und lässt dabei die Hand stehen, die den Kopf gestützt hat. Zwei ernste Engel, Erwachsene, sind zu Besuch gekommen, der eine mit Speer und Dornenkrone; der andere mit dem Kreuz und den drei Nägeln. Der vordere trägt einen karmin Mantel und ein türkisfarbenes Untergewand mit goldenen Blumen. Der andere grünen Mantel und violettes Untergewand. Das Kreuz, das er trägt, ist violett. Er hat große braune, noch nicht zusammengeklappte Flügel, sein Kamerad, der noch vom Rahmen überschnitten wird (ein Mittel, das plötzliche Erscheinen fühlbar zu machen) hat Flügel mit Pfauenfedern. Hinter dem Sitz der Maria eine Art offenen Gartenpavillons mit Sterngewölbe, das grüne Innere feinfühlig zu dem tiefen Violett des Mauerwerks gestimmt, als perspektivische Darstellung für Bertrams Zeit eine Meisterleistung, Zwischen den ragenden Gestalten der Maria und der Engel über den Kopf des Kindes ein ungemein reizvoller Blick in den Garten. Eine der reifsten und schönsten Kompositionen des Meisters.


375 Der Besuch der Engel


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meister Bertram tätig in Hamburg 1367-1415