Die Landschaft

Bei Meister Bertram hat die Landschaft zugleich sehr altertümliche und sehr fortgeschrittene Züge.

Das Altertümliche liegt in dem Verhältnis des Baums zum Menschen, das verschieden, aber immer zu klein ist, und in der Abwesenheit so wichtiger Baustoffe wie der Architektur, des Weges und des Wassers. Noch krönen keine Burgen seine Höhen, noch führt kein Weg in die Ferne, noch sprudeln keine Quellen, noch dehnen sich keine Wasserflächen.


Trotz alledem aber eilt der Meister in der Schilderung der Landschaft genau wie in der Darstellung des Tierlebens seiner Umgebung um mehr als ein Menschenalter voraus. Der Wald auf der Erschaffung der Pflanzen darf als die erste Landschaft in der deutschen Kunst angesehen werden.

Er steht auf einem Abhang mit schroff abfallenden und zum Teil unterschnittenen Rändern. Unter den Kronen dunkelt es, doch kann man tief ins Innere hineinsehen. Soweit das Licht eindringt, ist der Waldboden noch mit grünem Pflanzenwuchs bedeckt. Weiter im Innern leuchtet die Fläche rot von vorjährigem Laub. Ganz hinten lichtet es sich wieder, und es lässt sich ein grüner Schimmer erkennen.

Die Bäume sind durch die Form der Laubmassen als Eichen gekennzeichnet.

Einzelheiten zeugen von scharfer Beobachtung. Es ist kein Zufall, dass der alleinstehende Baum am Waldrand in seinem Stamm schon die spiralige Drehung zeigt, die durch die Einwirkung des Winddrucks entsteht. Dieselbe Beobachtung hat Bertram auch auf dem Buxtehuder Altar verwendet.

Auf dem Grabower Altar kommt ein so geschlossenes Landschaftsbild nicht mehr vor. Aber hie und da fügt der Künstler, wo der Vorwurf es erlaubt, kleine Landschaftsbilder ähnlichen Charakters ein. Bei der Erschaffung der Eva erhebt sich zu Füßen Adams ein Hochwald, in den Verhältnissen wesentlich kleiner als der mächtige Wald bei der Erschaffung der Pflanzen, aber in der Art des Helldunkels unter den Kronen, in dem auf der Erde rote Blumen und oben die dunkeln Silhouetten von hängenden Zweigen wahrnehmbar werden, nahe verwandt. Räumlich noch tiefer und in der Bewegung mannigfaltiger webt es im Halbdunkel der Waldecke an der Mauer neben dem Baum der Erkenntnis.

Der Buxtehuder Altar zeigt keine so starke Schwankung in den Verhältnissen. Hier gibt der Künstler, von den Andeutungen der Landschaft auf der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth und der Flucht nach Ägypten abgesehen, zwei vollentwickelte Landschaftsbilder, die von Wald gekrönten Abhänge neben der Verkündigung des heiligen Joachim und der Verkündigung an die Hirten. Hier hat der Erdboden nicht mehr den altertümlichen Absturz wie auf dem Schöpfungsbild des Grabower Altars. Die Erdbewegung erscheint natürlicher, weil die Übergänge besser vermittelt sind, der Boden ist durch die Herden, die Baumkronen sind durch Vögel belebt.

Ein Landschaftsbild von breitem Aufbau dehnt sich auf der Verkündigung an die Hirten. Die Bedeutung der Figuren, obwohl sie dieselben Größenverhältnisse haben wie auf den Nachbarbildern, sinkt hier fast zur Staffage herab, und die Entfaltung des Landschaftlichen holt zu einem langen Rhythmus aus, in den sich die Figuren einzufügen haben.

Es ist sehr wichtig für die Erkenntnis Bertrams, dass wir die Landschaft bei seinem Nachfolger Francke mit seiner Auffassung vergleichen können.

Auf dem Altar der Englandsfahrer kennt er ein Menschenalter nach der Entstehung des Buxtehuder Altars noch keine Architektur, noch keine Wege in der Landschaft. Die Verhältnisse der Bäume sind eher noch unrichtiger als bei Bertram. Francke hat eine Art Baumschlag, der sehr viel konventioneller ist als bei Bertram. Er kennt keine blühenden oder fruchttragenden Bäume, und das Helldunkel um die Baumstämme unter den Kronen beobachtet er nicht. Seine Stämme stehen dunkel auf hellem Grunde. Auch das Licht auf den Stämmen, das Bertram so lebhaft empfindet, fühlt er kaum. Nur eins hat er voraus, das ist das Wasser, das als schiebende Fläche im Vordergrund auf der Kreuzschleppung vorkommt, und hinter der Geburt Christi versucht er, eine weite Landschaft in nächtlicher Beleuchtung aufzubauen.

Man sollte nicht glauben, dass bei dem führenden Meister der Generation, die auf Bertram folgte, die landschaftlichen Motive so wenig entwickelt bleiben konnten, nachdem der ältere Meister schon so weit vorgedrungen war.

Nur die Pflanzen auf dem Boden sieht er genauer an. Auf der Gruppe unter dem Kreuz erkennt man den Löwenzahn und die Marmelblume. Bertram charakterisiert nur die oft vorkommende Erdbeere. Die übrigen Gewächse am Boden sind noch Typen, die an Marmelblumen, Rapunzeln und Schmetterlingsblütler erinnern. Doch muss bemerkt werden, dass er nicht eintönig wird und wohl ein Dutzend typische Bildungen zur Verfügung hat.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meister Bertram tätig in Hamburg 1367-1415