Die Entwicklung unter Kaendler 1735 bis 1763

Diese dritte, unter Kaendlers (Anm. 16) Einfluss stehende, von 1735 — 1763 dauernde Periode bedeutet die künstlerische Blütezeit der Meißner Manufaktur. Das, was schon Böttger, wenn auch nur zaghaft und unfrei, in den Formenschatz seiner Porzellanerzeugnisse einzuverleiben versucht hatte, was von Höroldt nur gezwungenerweise nicht vernachlässigt worden war, der Barockstil mit seinen lebhaft bewegten, kraftvollen, malerischen Linien — erst unter Kaendlers Einfluss gewann er in der Porzellankunst Bedeutung und jene Vollendung, wie sie sich in zweien seiner Meisterarbeiten, dem Sulkowskischen Service und dem berühmten Brühlschen Schwanenservice zeigt. Als Kaendler 1731 nach Meißen kam, fand er dort, wie er selbst es einmal ausgesprochen hat, „keinen rechtschaffenen Henckel“ vor. Es ist erstaunlich, mit welch unerschöpflicher Phantasiekraft der junge Künstler — Kaendler war bei seinem Eintritte in die Manufaktur 25 Jahre alt — die Modelle zu Henkeln und Füßen von Gefäßen, zu Deckel- und Stockknöpfen, Tabaksdosen und Geschirrteilen schuf, wie er schon in den Formen des Barocks geradezu in Schönheit zu schwelgen wusste. Kein Wunder, dass er unter den Einflüssen des Rokokos der Porzellanplastik zu einem Glänze und einer Größe verhalf, die das irrige Urteil Sempers begreiflich erscheinen lässt.

Als Kaendler von August dem Starken im Jahre 1731 zur Unterstützung Kirchners nach Meißen berufen worden war, erwarteten ihn dort ganz bestimmte Aufgaben: Arbeiten für das von dem Könige zur Aufnahme seiner Porzellansammlung bestimmte Japanische Palais. Schon im Jahre 1729 war chinesisches und japanisches Porzellan aus dem „Holländischen Pallais“, wie damals das Japanische Palais noch hieß, zu Modellzwecken nach Meißen gegeben worden, und die Manufaktur mag alle Hände voll zu tun gehabt haben, um den hiermit zugleich befohlenen Auftrag des Königs auf Anfertigung von 200 Stück Schüsseln auf „japanische Façon“, 50 Stück Vogelbauer nach „japanischer Zeichnung und Mahlerey“, 100 Stück „dunkelblaue Schüsseln mit weißen Feldern und darein gemahlten blauen Bluhmen und Landschaften“, 50 Dutzend „dergleichen Tassen und Schaalen Item dergleichen Thée Pots, Mittelaufsätze und Bouteillen“, 20 Stück Vogelbauer ,,von blau und goldenen Porcelain“, 200 Stück Schüsseln „von weiß und blau ordinairen Porcelain“, 60 Stück Asietten „von alten Indianischen Porcelain“, 16 Garniduren an Aufsätzen und Bouteillen „von dergleichen Porcelain“ und 20 Dutzend Thée-Tassen und Schaalen „von dergleichen Porcelain“ auszuführen. Bald nachdem die Anstellung Kaendlers erfolgt war, wurde Kirchner befohlen, dass er „die vor Ihro Kgl. Maj. bestellten großen Vasen und allerhand Arthen Thiere“ mit Kaendler anzufertigen habe. Dieser Auftrag sah so aus:

"Specificatio, was in dem kgl. holl. Pallais zu der neuen forderen Gallerie in der Oberen Etage von Porcelain erfordert wird, als:


zu denen 4 Stück breiten Camin Schäfften:

4 Roth laquirte Aufsätze jeder von 5 Stücken
24 Stück einzelne große Vasen, differ. Façon,
40 Stück allerhand Thiere differenter Größe
40 Stück allerhand Vögel differenter Größe
8 Stück große Terrinen

Zu denen 4 Trumous

40 Stück allerhand groß und kleine Thiere
24 Stück große Vasen, differenter Façon
8 Stück große Terrinen mit Deckel
40 Stück allerhand groß und kleine Vögel.

Zu vierzehn Stück schmalen Schäfften

84 Stück allerhand groß und kleine Vögel
56 Stück allerhand Thiere, differenter Größe
28 Stück große Terrinen mit Deckel
98 Stück große Vasen, differenter Façon
16 Stück allerhand Thiere über die Fenster
32 Stück große Vasen dergleichen

Zwischen die Bogen-Fenster

22 Stück einzelne Vasen, different
22 Stück allerhand Thiere differenter Größe
22 Stück allerhand Vögel differ. Größe
32 Stück große Vasen dergleichen

Zwischen die Bogen-Fenster

22 Stück einzelne Vasen, different
22 Stück allerhand Thiere differ. Größe
22 Stück allerhand Vögel differ. Größe

Auf die zwey schmälert Seiten-Wände

40 Stück allerhand Thiere
12 Stück große differente Vögel
20 Stück detto kleinere
2 Aufsetze über die Thüren, jeder von 5 Stücken
36 große Vasen differenter Façon
30 Stück kleine detto detto
4 Stück große Terrinen mit Deckel

An Schüsseln

170 Stück Schüsseln 2 Zoll tief 11 Zoll in diam.
oben zur Comiche

Summa derer von jeder Sorte betragenden Stücken

30 Aufsatz Stücken von 6 Garniduren
266 einzelne Vasen differenter Façon
198 Stück allerhand groß und kleine Thiere
198 Stück allerhand groß und kleine Vögel
48 Stück Terrinen mit Deckel
170 Stück Schüsseln
910 Stück

Der freien Schaffenskraft Kaendlers waren, das lehrt diese Aufzählung, also in der ersten Zeit seiner Meißner Tätigkeit bedeutsame Hemmnisse in den Weg gelegt; es spricht daher für seine bildnerische Fruchtbarkeit, dass er trotzdem noch Zeit und Lust fand, seine Phantasie in ungezählten freien Kunstschöpfungen sich ausleben zu lassen.

Nach zwei bestimmten Richtungen hin äußerte sich sein schöpferischer Geist: einmal, indem er Typen seiner Zeit in genreartiger Schilderung schuf, zum andern, indem er seine bildnerischen Kräfte an der Darstellung von biblischen Gestalten und Szenen, an mythologischen und allegorischen Schilderungen versuchte. Verdankt die europäische Porzellankunst der ersteren Neigung ihre höchste, noch heute staunend bewunderte Blüte, so darf doch auch die letztere nicht unterschätzt werden. Von allen bisherigen Künstlern der Meißner Manufaktur war Kaendler nicht nur der weitaus begabteste, sondern auch der gebildetste. Selbst der geschmackvolle Irminger und der (im Bemalungswesen) so talentreiche Höroldt können in dieser letzteren Beziehung keinen Vergleich mit Kaendler aushalten. Irminger empfing seine künstlerischen Anregungen vorwiegend, Höroldt fast ausschließlich durch äußere Eindrücke, dieser, indem er die Kunst Chinas und Japans mit feinfühligem Sinn studierte und in sich aufnahm, jener, indem er an den herrlichen Silberarbeiten der Spätrenaissance sein Auge bildete. Kaendler dagegen erhielt seine künstlerischen Anregungen von innen heraus; sie waren die Impressionen eines Mannes, dessen Bildnerkraft an dem Studium der Antike entwickelt worden war. Das ist wichtig zu wissen für die Beurteilung seiner künstlerischen Persönlichkeit, die nicht voll und erschöpfend gewürdigt wird, wenn des Urteil auf die Betrachtung derjenigen seiner Werke beschränkt bleibt, die als sogenannte "Meißner Figuren“ (vgl. Tafeln I, VIII, XIV, XV, XVII, XVIII und Abb. 32, 33, 35—39) seinen Namen in alle Welt hinaustrugen, die der Meißner Porzellanbildnerei ihren höchsten Ruhm brachten. Sie waren nicht sein höchster Ehrgeiz: dieser strebte vielmehr danach, in großzügigen religiösen Schilderungen und in gedankenreichen allegorischen Darstellungen sich auszuleben (Anm.17).

Die wunderbaren Kleinarbeiten, die für den der Geschichte des Meißner Porzellans Fernerstehenden den Ruhm und die Größe Kaendlers bedeuten, diese Arbeiten, in denen gemeinhin die Bezeichnung „Kaendlerzeit“ personifiziert wird, findet man in jeder größeren öffentlichen Sammlung und in zahlreichen Privatbesitzen; will man jedoch die großen figuralen Werke*) des Meisters, seine Religionsschilderungen, seine allegorischen und mythologischen Darstellungen, seine Tierfiguren und endlich das Krönungswerk seines Schaffens, das Modell zu einem porzellanenen Reiterdenkmal König Augusts III. sehen, um an ihnen das weite Gebiet der Kaendlerschen Gestaltungskraft zu überschauen, so muss man die Porzellansammlung zu Dresden, den Hauptaufbewahrungsort dieser Arbeiten, aufsuchen.

*) Sponsel gibt in seinem Werke „Kabinettstücke der Meißner Porzellan-Manufaktur von Johann Joachim Kaendler“ eine ausführliche Schilderung dieser Arbeiten.

Eine der ersten dieser Arbeiten scheint die Herstellung der zwölf Apostel (vgl. Abb. 30 und 31) gewiesen zu sein, die er nach Vorbildern geschaffen hat, die sich in der Kirche des Laterans zu Rom befinden. Wenn man daran denkt, dass ihm für seine Arbeiten höchstwahrscheinlich nur Kupferstiche zur Verfügung standen, so muss man schon an diesen Früharbeiten die große bildnerische Kraft Kaendlers bewundern. Denn schon 1732, also ein Jahr nach seinem Eintritt in die Fabrik, berichtet er, dass er „Petrus dritte halb Ellen hoch mit den beiden Schlüsseln auf Romanische Art gekleidet, fertiget habe“. Freilich handelte es sich hierbei zunächst nur um ein Modell. Als später versucht wurde, das Modell in Porzellan zu formen, konnte dies nur in zwei Stücken und auch so noch „etwas rissig gebrannt“ geschehen, sodass man sich schließlich entschloss, die Figuren in kleineren Maßen herzustellen. Die heute (in der Porzellansammlung zu Dresden) vorhandenen sind zwischen 33 und 49 cm hoch. Die beiden Apostel Petrus und Paulus scheinen zuerst vollendet worden zu sein, denn Exemplare von ihnen wurden schon im Jahre 1736 an den Grafen von Wackerbart in Rom (wahrscheinlich als Geschenke für den Papst) abgesendet. Die übrigen scheinen in den Jahren 1740 und 1741 fertig geworden zu sein. Bestimmt waren sie wohl für die Kaiserin Amalie von Österreich. Die Porzellansammlung zu Dresden besitzt. von diesen Apostelfiguren die folgenden: Petrus, Paulus, Andreas, Philippus, Bartholomäus, Thomas, Matthäus und Simon Zelotes. Außer diesen sind in der Dresdner Sammlung noch vorhanden die Figur eines Apostels, der nicht bezeichnet werden kann, und die Figur des Apostels Johannes, die sich durch ihre gröbere Modellierung als das Werk eines anderen Künstlers charakterisiert, wahrscheinlich des Bildhauers Joh. Friedrich Eberlein (vgl. S. 100), der von 1735 — 1749 in der Meißner Fabrik tätig war.

Welch weiter Weg der künstlerischen Entwicklung schon bis hierher! Von den ersten Henkelgriffen an, die er modellierte, bis zu diesen kraftvollen Figuren, die doch nichts weiter bedeuten als ein erstes Ausschreiten auf dem Wege zu dem Ziele, das er sich gesteckt hatte. Erfüllt uns Bewunderung für diesen außerordentlichen Mann schon um des schier unerschöpflichen Reichtums willen, mit dem seine Phantasie Kunstwerk auf Kunstwerk gebar, so steigert sich diese Bewunderung noch, wenn wir sehen, wie sein künstlerischer Wille mit jedem neu erschaffenen Kunstwerke zu wachsen schien, wie er zu immer größeren, immer erhabeneren plastischen Arbeiten sich erregt und begeistert fühlte, wie er, je größer seine Herrschaft über das Material des Porzellans wurde, zu um so schwierigeren plastischen Vorwürfen die Freude und Kraft in sich fühlte. Er besaß, was so manchem bildenden Künstler unserer Tage fehlt, den Glauben an sein Material; er traute sich mit ihm den höchsten Flug der Gedanken zu, er hielt es für edel genug zum Ausdruck seiner tiefsten künstlerischen Beseelungen. Wir erkennen das aus einem Berichte, den er im Jahre 1739 an die Kommission der Fabrik wegen vorzunehmender Verbesserungen richtete. Es heißt darin:

„Summa Summarum, es kann alles von Porcellain gemacht und geschafft werden, was man nur begehret; ist’s zu groß, macht man's von zwei Stücken; welches aber Niemand sowohl einsehen kann, als der die Modelle machet*), wodurch man alles, was unmöglich scheinet, nach seiner Art und Weise erzwingen kann, welches ich aufrichtig und mit Wahrheit melde.“

Die Apostelfiguren waren für ihn, nachdem ihm schon in den ersten Jahren seiner Tätigkeit in Meißen die Herstellung lebensgroßer Tierfiguren ganz befriedigend gelungen war, nur „kleine Figürlein“, die er nicht weiter als rühmlich und beachtenswert betrachtete; wie geringschätzig mag er erst über die kleinen Genredarstellungen gedacht haben, die tanzenden Bauern und kokettierenden Krinolinendamen (vgl. Tafel VIII), den „Schneider, welcher auf einem Ziegenbock reitet, wie er sein ganzes Werkzeug bei sich führet“ (vgl. Abb. 32), die Polen (vgl. Abb. 33) und Tscherkessen und all die unzähligen anderen Volkstypen mehr, die wir so sehr bewundern und geneigt sind, als sein Bestes anzusehen!

*) Diese Bemerkung richtete sich gegen Höroldt, mit dem er, was noch näher zu erwähnen sein wird, nicht im besten künstlerischen Einvernehmen war.

Von den Einzelfiguren, wie denen der Apostel, ging er in der Erprobung seiner bildnerischen Kräfte und der Porzellanmasse zur Darstellung vielfiguriger Gruppen über. Zwei der besten Arbeiten dieser Art sind die in der Porzellansammlung zu Dresden befindliche Gruppe der „Kreuzigung Christi“ (vgl. Tafel IX) und die ebenfalls in dieser Sammlung aufbewahrte Gruppe (ein zweites Exemplar befindet sich im Handel), die den „Tod des Jesuitenapostels Franciscus Xaverius“ darstellt. Die "Kreuzigung Christi“*) hat eine Gesamthöhe von 160 cm, die größte Figur der Gruppe misst 53 cm. Wiederum müssen wir an dieser Arbeit die erstaunliche bildnerische Kraft des Erschaffers bewundern, seine meisterliche Sicherheit in der Behandlung des Aktes, die lebhafte Bewegung seiner Figuren, die geschickte räumliche Anordnung und die Ausdruckskraft der Schilderung. Nicht geringer an künstlerischem Werte, ja in bezug auf die historische Treue des geschilderten Vorganges noch eindringlicher ist die Darstellung des Todes des heiligen Franz Xaver. Alle diese und noch mehrere ähnliche Arbeiten, z. B. die mehrfigurige Gruppe „Der heilige Hubertus“, von der ein Exemplar noch in der Porzellansammlung zu Dresden vorhanden ist, während eine andere Gruppe, „Die Geißelung des Heilands“, nicht mehr existiert, entstanden in der Frühzeit Kaendlers, zum Teil in seinen Feierabendstunden.

*) Außer in der Dresdner Porzellansammlung befindet sich noch ein Exemplar dieses Kunstwerkes in der Schloßkapelle zu Pforten und ein weiteres in der Sammlung Weyerbusch in Elberfeld. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 sah man eine moderne Nachbildung dieser Kaendlerschen Arbeit.

Daneben arbeitete er aber auch an Darstellungen mythologischen und allegorischen Inhalts. Die Herstellung des berühmten Brühlschen Schwanenservices z. B. ist ebenfalls in die Frühzeit Kaendlers, in die Jahre 1737 — 1741, zu verlegen. Nicht ganz zu Recht wird dieses Service (vgl. Tafel X) „Schwanenservice“ genannt. Wohl spielen Schwäne bei der Verzierung einzelner Stücke eine hervorragende Rolle, im übrigen aber ist es viel charakteristischer für Kaendler als Bildner von mythologischen und allegorischen Darstellungen denn als Tiermodelleur. Kaum eine andere der Kaendlerschen Arbeiten kennzeichnet so sehr den Phantasiereichtum dieses Künstlers wie das Schwanenservice, in dessen vielhundertfachen Stücken sich sein schöpferischer Geist in reichster und reinster Form ausleben konnte. Mögen für die Formen dieses Services immerhin gleichzeitige Silberarbeiten vorbildlich gewirkt haben, mag auch der Bildhauer Eberlein bedeutenderen selbständigen Anteil an den Modellentwürfen für diese Schöpfung haben, als bisher allgemein angenommen worden ist: mit gutem Rechte durfte Kaendler von diesem Werke sagen, dass es von ihm „inventiret“ worden sei. Mit eminenter plastischer Kraft formte er in ihm seltsame Fabelwesen: Tritonen, Nereiden, Delphine im Vereine mit Putten und Masken und all dem malerischen Zierrat, welcher der schwelgerischen Formenfreude entsprach, von der er erfüllt war. Auf dem Gebiete der Geräteplastik nimmt das Schwanenservice denselben hohen Rang ein, den auf dem Gebiete der Figurenplastik die Genredarstellungen im Barock- und Rokokogeschmack haben. Wenn für diese der Begriff von der Prägung eines eigenen „europäischen“ Porzellanstils geschaffen wurde, so muss dieser Begriff auch Geltung haben für jene. Bei der für spätere Zeit geplanten Betrachtung der modernen Erzeugnisse Meißens werden zum Vergleiche Porzellangebilde der beiden großen Kopenhagener Manufakturen herangezogen werden müssen, u. a. ein von Pietro Krohn (Bing & Grondal, Kopenhagen) erschaffenes Service (aus den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts). Es ist bekannt geworden unter dem Namen „Reiherservice“, weil Reiher, bald in voller Körperlichkeit, bald als Malerei (auf den Spiegeln der Geschirre) das künstlerische Motiv des Geschirrs bilden. Am Beispiele dieses Services, das in jedem seiner Einzelteile bereits die Grundsätze der modernen angewandten Kunst erkennen lässt (vgl. Abb. 34), läßt sich charakteristisch nachweisen, dass bis in unsere Zeit hinein der Einfluss Kaendlers lebendig auf die Porzellanbildnerei geblieben ist. Ist der Barock Krohns auch nicht der Barock Kaendlers oder seiner Zeit, so ist es doch in den Grund wie in den Einzelformen (Füße und Henkel der Gefäße) eine Erinnerung an ihn, ein gewissermaßen ins Moderne übersetzter, sezessionierter Barock.

Lange Zeit hindurch ist angenommen worden, dass das Schwanenservice ursprünglich für die Kaiserin Elisabeth von Russland bestimmt gewesen sei. Diese Ansicht findet durch die heutige Forschung keine Bestätigung. Kein Stück des Services trägt Merkmale in Gestalt von Emblemen usw., die darauf hindeuten, dass das Service für jene russische Kaiserin angefertigt werden sollte; dagegen ist ein königliches Reskript aus dem Jahre 1737, also dem Jahre des Beginnes der Arbeiten für dieses Werk, vorhanden, das die kostenlose Anfertigung des Services für den Grafen Heinrich Brühl, den Premierminister König Augusts III., befiehlt. Das Service muss einen ganz außerordentlichen Umfang gehabt haben, denn allein im Besitze des Gräflich von Brühlschen Familienfideikommisses (auf Schloss Pforten in der Mark Brandenburg) befinden sich noch etwa 1400 Teile von ihm. Anzunehmen ist, dass zahlreiche Stücke des Services im Laufe der Jahre abhanden gekommen oder zerstört worden sind; namentlich die Wirrnisse des Siebenjährigen Krieges mögen zur Vernichtung manches kostbaren Teiles des prunkvollen Services geführt haben. Die Annahme freilich, dass das Service während des genannten Krieges im See von Pforten versenkt gewesen sei, darf als Phantasiegebilde bezeichnet werden; dagegen ist es sehr wohl möglich, dass man das Service in Sicherheit gebracht hat (vielleicht durch Vergraben im Pförtener Schlossgraben oder durch Überführung des kostbaren Besitzes nach Warschau, der polnischen Residenz des Königs August III.);. als die Soldaten Friedrichs des Großen die Besitzung des Grafen Brühl zerstörten. Für den Sammler ist es von Interesse, zu wissen, dass jedes Stück des Schwanenservices mit dem Heiratswappen der Familien Brühl und Kolowrat verziert ist. Auf manchem Stück, z. B. auf den Besteckgriffen, ist das Wappen sogar zweimal angebracht.

Das nicht weniger bekannte, künstlerisch freilich nicht annähernd so hervorragende Service des polnisch-sächsischen Kabinettsministers von Sulkowski (vgl. Tafel XI) mit dem Allianzwappen der Familien Stein und Sulkowski (Anm. 18) entstand noch früher als das Schwanenservice; seine Herstellung ist in die Jahre 1735 — 1738 zu verlegen. Während im Schwanenservice, obwohl dessen Grundformen noch völlig barock geartet sind, sich bereits in dem auf den Flächen einzelner Stücke vorkommenden Muschelwerke die Einflüsse des um jene Zeit (etwa 1740) zuerst in Meißen Geltung gewinnenden Rokoko bemerkbar machen, ist das Sulkowskische noch rein im Barockgeschmack gehalten, sowohl in der Architektur wie in der Ornamentik.

Die Zahl der Kaendlerschen Arbeiten aus seiner Frühzeit, der alle bisher betrachteten und erwähnten Kunstwerke angehören, geht bereits ins kaum mehr Übersehbare. Wären von den religiösen Schilderungen des Künstlers noch zahlreiche zu nennen, so nicht minder von den Darstellungen mythologischen und allegorischen Inhalts, ganz zu geschweigen der unzähligen Tierfiguren (vgl. Tafel XIII), die er bis etwa zum Jahre 1740 schuf, und der vielen Vasen, Porträtbüsten, Geschirrstücke, Genrefiguren und sonstigen Arbeiten der Kleinbildnerei. Man kann die eminente Gestaltungskraft des Künstlers in das Bild zusammenfassen, dass seiner kunstfertigen Hand eine ganze Welt von bildnerischen Werken entstieg. Schon in seiner künstlerischen Erstzeit gab er der Porzellantechnik eine Vielgestaltigkeit der Formengebung, der gegenüber die chinesische und japanische Technik, die Mutter der europäischen, verblassen muss. Kein bildnerischer Vorwurf erschien ihm unausführbar zur Herstellung in Porzellan. Er meisterte schließlich dieses Material in so vollendeter Weise, dass er sich die Möglichkeit zutraute, ein überlebensgroßes Reiterstandbild seines Königs aus Porzellan herzustellen. Dieser Auftrag war ihm von August III. im Jahre 1751 erteilt worden, und zwar sollte das für den sogenannten Jüdenhof in Dresden-Altstadt bestimmte Denkmal ähnlich dem geartet sein, das, aus vergoldetem Kupfer getrieben, sich auf dem Neustädter Markt zu Dresden für August den Starken erhebt. Die Statue sollte einschließlich des Sockels und der Felsenstücke, auf denen dieser stand, 17 Ellen (etwa 9 ½ m) hoch werden; für das eigentliche Standbild, die Reiterfigur des Königs, war eine Größe von 6 1/2 Ellen (etwa 3 1/2 m) vorgesehen. Kaendler hielt die Ausführung einer solchen Riesenleistung für möglich; mit vollster Schaffenslust widmete er ihr sofort seine Kräfte. Schon im Jahre 1753 konnte er ein stark verkleinertes Modell (vgl. Tafel XII) des Werkes in vortrefflicher Porzellanausführung dem Könige zeigen. Dieses Modell wird in der Porzellansammlung zu Dresden aufbewahrt. Ein in Originalgröße ausgeführtes, in Gips hergestelltes Modell des Standbilds wurde im Jahre 1755 fertig und hat lange Zeit in einem Schuppen auf dem Vorhofe des Meißner Schlosses gestanden. Es existiert nicht mehr. Zur Ausführung des Denkmals kam es nicht (Anm. 19).

Es will scheinen, als habe der Kümtler in diesem seinem großartigsten bildnerischen Werke, wie nicht minder in einer anderen Arbeit, dem sogenannten Ehrentempel, nicht sich, wohl aber dem Material in dem er es ausführen wollte, zu viel zugetraut und zugemutet. Jedes bildnerische Material hat seine künstlerischen Grenzen, Marmor und Erz für die Kleinplastik ebensosehr wie Porzellan für die Großplastik. Wir sehen das an den Tierfiguren Kaendlers, die in der Porzellansammlung zu Dresden aufbewahrt werden. Die Maße, in denen sie gehalten sind, widersprechen dem Charakter der Masse, aus der sie hergestellt wurden — dem Porzellan. Das Porzellan, im Dienste der Kleinbildnerei nicht nur eines der ausdrucksvollsten, sondern auch eines derjenigen Darstellungsmittel, mit denen die Hand des Künstlers jedem bildnerischen Vorwurfe Gestalt zu geben vermag, verliert in großen Arbeiten seine charakteristischen Wesenszüge. Wie sehr wir daher auch berechtigt sind, die Kaendlerschen Arbeiten dieser Art, seine sogenannten Kabinettstücke, vom künstlerischen Standpunkte, als Früchte seiner großen schöpferischen Kraft zu bewundern, als Kabinettstücke im Sinne der Porzellanplastik können sie nicht gelten — diese sind und müssen zu allen Zeiten diejenigen seiner Arbeiten bleiben, die er selbst wohl nicht als Kabinettstücke gelten heß: die kleinen figuralen Arbeiten, die Tafelaufsätze, die Vasen und Zierkannen, die Kron- und Wandleuchter, die Bonbonnièren und Tabatièren, die Schirm- und Stockgriffe, die tausend kleinen „Galanterien, so von einem Kavalier seiner dame de coeur in Schicklichkeit präsentiret werden“ (vgl. Tafeln XIV und XV und Abb. 35 bis 38).

Der Ehrentempel, um noch einige erklärende Worte von ihm zu sagen, gehört zu den Schöpfungen Kaendlers, deren Modelle verschollen sind, wenigstens in ihrer Zusammenfassung. Nur zwei Einzelfiguren haben sich von dieser Arbeit bisher auffinden lassen, die sich gegenwärtig im Kunstgewerbemuseum zu Dresden befinden. Über die Entstehungszeit des Werkes gehen die Angaben auseinander. Da in einem „Inventarium über das sämtliche Porcellain in Sr. des Herrn Premier-Ministre Reichs Grafen von Brühl, Excellenz, Conditorey, welches den 1. Octobr. 1753 revidiret und übergeben worden“ unter Cap. 29 ein Ehrentempel bereits in folgender Weise erwähnt wird:

den 3. Marty 1754 ist geliefert

worden

1 Ehren Tempel besteht aus

74 Stck. weisen Figuren differente Größe
115 ,, Postamenter
36 ,, Schildgen
16 ,, Vasen
8 „ Posaunen
3 „ Schwerdter
12 „ kleine Stücken

so ist es sehr wohl möglich, dass dies das Kunstwerk ist, welches mit den in Kupfer gestochenen Abbildungen identisch ist, die sich im Besitze des Kupferstichkabinetts zu Dresden befinden. Andererseits kann auch die Angabe Berlings richtig sein, das Werk sei im Jahre 1763 entstanden, also in der Spätzeit Kaendlers. Wie dem aber auch sei, das Werk selbst erweist sich nach den erhalten gebliebenen Zeichnungen ganz wie das Reiterstandbild Augusts III. als eine Arbeit, die in ihrer Gesamtanlage sich als eine Verkennung und Überschätzung des benutzten Materials darstellt. In Einzelheiten, z. B. in dem figuralen Schmuck, dagegen zeigt sie Kaendler auf der vollen Höhe seines bildnerischen Könnens. Es würde zu weit führen, das Werk an dieser Stelle im einzelnen beschreiben zu wollen; es genüge die Angabe seiner Größenverhältnisse, die in einem alten Verzeichnisse folgendermaßen mitgeteilt werden:

„Ein weiser Tempel mit guter Vergoldung und einem Uhr- und Schlag-Werck, 6 Ellen 3 Zoll hoch, 5 Ellen 7 Zoll lang und 2 Ellen 2 Zoll breite“

Je ersten Einflüsse des Rokoko machten sich in Meißen etwa um das Jahr 1740 geltend. Um diese Zeit war Kaendler bereits etwa 9 Jahre für die Fabrik tätig — bei der erstaunlichen Fruchtbarkeit des Künstlers genug des Spielraums, um sein bildnerisches Vermögen im Sinne des Barockgeschmacks reichste Geltung gewinnen zu lassen. Die reifsten Früchte des Barockkünstlers Kaendler, das Brühische Schwanenservice und das Sulkowskische Service, haben uns bereits beschäftigt; sehen wir nun, was die Barockkunst sonst noch seiner Hand zu danken hat.

Ehe Kaendler nach Meißen kam, war das künstlerische Schwergewicht bei den Erzeugnissen der Manufaktur auf die farbige Behandlung der Flächen gelegt worden. In den Formen hatte man sich noch immer an die asiatischen Vorbilder gehalten und dem herrschenden Barockgeschmack nur dadurch Rechnung getragen, dass man mit den fremden Dekors Dekorationen im Barockgeschmack verband. Kaendler, der schöpferische Geist, unterordnete sich dem exotischen Geschmack nur, soweit er ihm in bestimmten Aufträgen seines königlichen Herren dienen musste. Im übrigen stellte er seine Kräfte durchaus in den Dienst der herrschenden Kunstform. So kam es, dass die Flächenverzierungen in Farben mehr und mehr zurück-, die plastischen hervortraten. Freilich konnte das nicht von heute zu morgen geschehen. Einmal war bei Kaendlers Eintritt in die Fabrik der von Höroldt künstlerisch durchaus abhängige Kirchner in ihr noch als Modellmeister tätig, zum andern hinderte die Ausführung der beiden großen, weiter vorn erwähnten Aufträge Augusts des Starken die baldige freie Entfaltung von Kaendlers plastischen Neigungen. Als die ersten bemerkenswerten Äußerungen dieser letzteren mögen neben mancherlei artigen Figurendarstellungen eine Anzahl von Vasen zu gelten haben. Von den Figurendarstellungen ist die im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg befindliche Krinolinengruppe (Abb. 39) ein für diese Erstzeit Kaendlers charakteristisches Stück. Sie ist in zwei Exemplaren vorhanden, die nicht völlig gleichgeartet sind. Solchen Verschiedenheiten begegnet man aus dieser Zeit, namentlich bei den Vasenformen, nicht selten; sie lassen darauf schließen, dass man in den Jahren von 1730 — 1740 noch öfter von früher her vorhandene Gußformen benutzte, an denen man nur, um dem veränderten Geschmack Rechnung zu tragen, kleine Abänderungen vornahm. In der früheren C. H. Fischerschen Sammlung in Dresden, einem der schönsten und reichhaltigsten Privatbesitze von alten hervorragenden Meißner Porzellanstücken, befanden sich zahlreiche Figurendarstellungen der frühen, unter der Wirkung des Barockgeschmackes stehenden Kaendlerzeit, unter ihnen die herrliche große Krinolinengruppe, die August III. und seine Gemahlin als Sänger und Sängerin, in prächtigen Kostümen, den König in griechischer Theaterrüstung, schildert. Das Stück, ein Kaendlersches Modell, zeigt schon all die feinen Formen- und Farbenreize der blühendsten Meißner Zeit: die lebhafte Bewegung der Figuren, das Zierlich-graziöse der Linienführung, den Schmelz der Farben, die bei aller reichen Verwendung so feinfühlig wirken, dass sie der Masse nichts von ihrem Reize nehmen. Ein anderes erlesenes Stück dieser Art ist das Liebespaar, Schäfer und Schäferin darstellend, das sich ebenfalls in der Fischerschen Sammlung befand. Auch hier derselbe Reiz in Aufbau und Linienführung wie in der vorerwähnten Gruppe. Neben diesen Figurenschilderungen zeigen vornehmlich die Vasen, die Kaendler in dieser Zeit modellierte, sehr charaktervoll die Formenwelt, in der er sich vor dem Aufkommen des Rokokostils, also unter den letzten Äußerungen des Barocks bewegte. Sein Schwelgen in Formen kannte hier keine Grenzen. Nicht allein, dass er nunmehr die Grundform des Gefäßes ganz frei und unabhängig im wuchtigen Stile des Barocks bildete, auch das Ornament zeigte jetzt nicht mehr die geringsten Anklänge an orientalische Vorbilder, sondern war aufs reichste im Barockgeschmäck gehalten.

In die Frühzeit Kaendlers gehören übrigens auch Büsten der beiden Hofnarren Fröhlich und Baron Schmiedel. Schon in einem Berichte vom 15. Dezember 1738 erwähnt er beide als in Arbeit befindlich; im Jahre 1741 führt er beide Büsten in einer Spezifikation als fertiggestellt auf, und zwar „Joseph in Kammerherrnhabit einer halben Elle hoch“, sowie „Ms. Schmiedein sein Portrait“. Ist die bekannte Büste des letzteren mit den beiden Mäusen (vgl. Abb. 40) in der Tat ein Werk Kaendlers, so ist ihre Entstehung in den Anfang der 40er Jahre zu setzen. Eine urkundliche Nachricht hierüber fehlt. Aus dem Jahre 1737 stammt bereits eine Darstellung des Hofnarren Fröhlich (vgl. Abb. 41), die ihn in ganzer Figur mit Reiterstiefeln, weißen Wadenstrümpfen, blauer Puffhose, purpurn gemusterter Weste, schwarzen Hosenträgern, gelber Jacke und hohem, schwarzem Spitzhut zeigt. Das sehr schöne Stück gehörte früher der C. H. Fischerschen Sammlung in Dresden an und befindet sich nunmehr im Besitze der Porzellansammlung zu Dresden.

Gegenüber der ihr unmittelbar vorangegangenen Periode verlor die Bemalung schon in dieser Frühzeit Kaendlers an Bedeutung. Höroldt,der neben der Leitung über die ganze Fabrik auch nach Kaendlers Eintritt in diese diejenige über die Maler beibehielt, malte selbst nur noch ganz wenig. Es mag sein, dass hieran Einflüsse von außen her mit tätig waren, Zwistigkeiten, die sich mit der Zeit immer schärfer zwischen Kaendler und Höroldt herausbildeten; andererseits aber unterliegt es kaum einem Zweifel, dass Höroldts Kräfte in der Periode, welche die Nachahmung der ostasiatischen Vorbilder als ihre hervorragendste Aufgabe angesehen hatte, ihr Ziel gefunden hatten. Dem Barock, das sich nicht auf die Verwendung einiger Linien und Ornamente beschränkte, sondern schwelgerische Formenfreude verlangte, stand er sehr unfruchtbar gegenüber. So klagte Kaendler in einer Eingabe vom Jahre 1739, dass in der Malerei „keine neuen Inventiones“ gemacht würden; was man z. B. auf den Tassen dargestellt sehe, sei die „alte Leier“, also die Nachbildung der chinesischen und japanischen Dekors. In demselben Jahre schlug Kaendler schon vor, dass sowohl für die Blau- wie für die Buntmaler je ein besonderer Leiter ernannt werde. Das geschah zwar nicht, doch gab man den bis dahin unter Höroldts unmittelbarer Leitung stehenden Malern, von denen die Namen Dietze, Erbsmehl, Heinze, Hoyer u. a. genannt werden, selbständige Stellungen, indem man sie zu Vorstehern einzelner Abteilungen machte. Übrigens glaubte Kaendler gegen Höroldt auch in anderer Beziehung Grund zur Klage zu haben. Schon 1738 berichtete er der Kommission, dass Höroldt sich in bezug auf die Formengebung von anderen (Kaendler) durchaus nichts raten lasse, obwohl er von der Bildhauerei nichts verstehe. Er sei deshalb auch nicht befähigt, den ihm aus der Modellierabteilung unterstellten 50 Leuten etwas aus eigener Erfahrung zu sagen. Es sei eine „große Confusion zum stärksten Nachteil der Fabrique“ entstanden, weil Höroldt, ohne dass er alles verstehen und gehörig übersehen könne, das Recht habe, die Fabrik zu dirigieren. Er (Kaendler) wolle in Zukunft nicht mehr von Höroldt in seiner Bewegungsfreiheit gehindert werden, denn das ,,körperliche Wesen“ (die Formengebung) sei doch die rechte Quelle der Porzellanfabrikation. Alles bei der körperlichen Arbeit (dem Modellieren) sei bisher auf ihn angekommen, was alle, vor allem die Former Fritsche, Albrecht, Müller, Schiefer u. a. bezeugen könnten. Auch über Höroldt als Leiter des Bemalungswesens klagte Kaendler. Den über 60 Malern, die bei der Fabrik angestellt seien, sei Unterricht im Zeichnen dringend notwendig. Höroldt müsse als Maler doch wissen, dass die Zeichnung das Fundament aller Malerei sei, aber er nehme niemals einen Pinsel (wohl zur Korrektur) in die Hand, sondern lasse alles gehen, wie es gehen wolle.

Weil somit die Maler keine richtige Aufsicht hätten, würden seine (Kaendlers) Geschirre durch die Malerei verdorben. Infolge der mehrfachen Beschwerden Kaendlers über Höroldt wurde diesem im Jahre 1740 in der Aufsicht über die Arbeiter der Bergrat v. Heinitz beigegeben, und im Jahre 1741 erhielt sowohl dieser wie auch Höroldt den Befehl, sich bei allen neuen Maßnahmen mit Kaendler zu verständigen. Trotzdem blieben neue Spannungen zwischen Kaendler und Höroldt auch in der Folgezeit nicht aus die vorhandenen Akten wissen davon mancherlei zu berichten. Doch das nur nebenbei.

Der einzige „gute Staffiermaler“ scheint, nach Kaendler, zu Anfang der vierziger Jahre des 18. Jahrhunderts Chr. Gottlieb Hentschel (Hentzschel) gewesen zu sein. Auf Betreiben Kaendlers war, um die Leistungen der Former- und Malerlehrlinge zu verbessern, Modellierunterricht für jene, Unterricht im Zeichnen für diese eingeführt worden, mit der Zeit aber wieder in Wegfall gekommen. Nun wurde im Jahre 1740 aufs neue angeordnet, dass Kaendler die Formerlehrlinge, Erbsmehl die Malerlehrlinge täglich je eine Stunde im Zeichnen zu unterrichten habe.

So ganz ohne Einschränkung hinnehmen kann man die ungünstige Beurteilung Höroldts durch Kaendler natürlich nicht. Denn in diesem wuchs sehr begreiflicherweise das Kraft- und damit das Machtbewußtsein, je mehr seine Arbeiten die Aufmerksamkeit und Bewunderung seiner hohen Auftraggeber fanden. Musste notwendigerweise in einer Zeit, welche die Plastik gegenüber der Malerei so bevorzugte wie die Kaendlerzeit in Meißen, die Malerei gegenüber der Plastik zurückstehen, so hat sie dessenungeachtet doch ihren Anteil an der Entwicklung der höchsten Blüte der Manufaktur. Denn sie verstand es, das lehren die Erzeugnisse aus dieser Frühzeit des Kaendlerschen Schaffens, trotz allem und allem ganz ausgezeichnet, die Wirkung der Form durch ihre leichten, duftigen Arbeiten, ihre feinen, zarten, farbigen Reize zu erhöhen (vgl. Tafeln I und XIII).

Wie in den Formen bis zur Mitte der dreißiger Jahre noch hie und da die ostasiatischen Vorbilder Verwendung fanden, so auch in der Bemalung. Seit dieser Zeit aber machte sich, indirekt durch Kaendler veranlasst, der europäische Geschmack vorherrschend geltend, nicht nur in der Wahl der Darstellungsstoffe, sondern auch in der Art ihrer Behandlung: die künstlerischen Vorwürfe legten immer weniger Gewicht auf die Fläche, immer größeres auf die naturalistische Wiedergabe. Große Beliebtheit gewannen in dieser Zeit die sogenannten Streublumenmuster (vgl. Abb. 42), kleine stilisierte (orientalische) oder naturalistische (europäische) Blütenzweiglein, die leicht über die Fläche des Geschirrs hingestreut sind. Zuweilen treten im Dekor dieser Art auch kleine Insekten, Käfer und Schmetterlinge an Stelle der Blumen. Die sehr wirkungsvollen Barockkanten und Kartuschen in Gold, die in der Höroldtzeit vor Kaendler so beliebt waren, wurden auch im Zeiträume 1730 — 1740 noch festgehalten und wichen erst den Verzierungen des Rokoko. Neben Landschafts-, Schlachten- und Jagdszenen setzte man in die Kartuschen Vögel und Vogelgruppen, besonders gern aber auch Schäferstücke im Watteaucharakter (vgl. Abb. 43), vereinzelt wohl auch Sittenschilderungen nach der Art des Engländers Hogarth.

Für den Sammler müssen nach diesen allgemeinen Betrachtungen noch einige spezielle Bemerkungen gegeben werden. In der Höroldtperiode, vor Kaendler, war das Material noch sehr ungleichmäßig, sowohl in der Farbe wie im Brande; unter dieser Ungleichmäßigkeit litt zunächst auch Kaendler noch. Es ist begreiflich, dass dieser, schon um der von ihm modellierten Stücke willen, eifrig bestrebt war, das Material zu verbessern. Er beschäftigte sich in der ersten Zeit seiner Meißner Tätigkeit daher unausgesetzt mit der Verbesserung der Porzellantechnik, unter anderem, indem er einen neuen, leistungsfähigeren Brennofen konstruierte, und hatte schließlich in der Tat die Genugtuung, seine Bemühungen um die Verbesserung der Technik von Erfolg begleitet zu sehen. Der Zeitpunkt, wann dieser Erfolg eintrat, ist aktenmäßig nicht genau zu bestimmen, doch darf man annehmen, dass dies noch vor der Mitte der dreißiger Jahre geschah, denn Farbe und Brand des Porzellans sind seit dieser Zeit bedeutend besser, wenigstens in den kleineren Stücken; bei den großen kamen im Brande auch nach dieser Zeit noch Fehler vor. Statt der in der Höroldtschen Periode vorzugsweise verwendeten Überglasur (Schmelz-)farben verwendete man jetzt durchgängig Farben, die wenig Flußzusatz enthielten. Die Farbenpalette selbst wurde während der Kaendlerzeit wiederum reicher. Zu dem Zinnoberrot traten ein zartes Rosarot und das sog. Pompadourrot. Auch das Purpurrot, das bisher immer stark ins Violette hinübergespielt hatte, wurde dank der Bemühungen eines Arkanisten bedeutend verbessert. Zu den Unterglasurfarben blau und kupferrot kam eine „erbisfarbene“, d. h. erbsengelbe hinzu. Von allen Farben erlangte die blaue Unterglasurfarbe in der Kaendlerzeit die größte Bedeutung. Die Fondmalerei trat in ihr mehr und mehr zurück. Wenn man sie noch anwandte, so geschah es, wohl auf Kaendlers Einwirkung, um allzu große Flächen zurücktreten zu lassen. Man bedeckte z. B. einen dunkelblauen Grund mit einem goldenen Bandornament oder versah Randeinfassungen und Streifen mit einem buntfarbigen Schuppenornament. Zuweilen wendete man auch die Camaieumalerei, d. h. die Bemalung mit nur einer Farbe, z. B. Purpur, an.

Es ist schon auf die irrtümliche Auffassung Sempers hingewiesen worden, der Rokokostil sei nicht in Frankreich geboren worden und von dort nach Dresden gekommen, sondern umgekehrt in Dresden entstanden und von da nach Frankreich gelangt; entstanden in Dresden unter dem allgemeinen Einflüsse der leichten Sitten, aber auch unter dem besonderen des Meißner Porzellanstils der Zeit.

Da dieser Abschnitt der Epoche gilt, die Semper bei seiner Annahme im besonderen im Auge hatte, so ist es von Interesse, zu hören, wie er seine Anschauung begründet, nämlich folgendermaßen:

"Das eigentliche Rokoko ward geboren nicht in Paris oder Versailles, sondern in Dresden, dem Ursitze alles Zopfes. Dort ward es unter dem allgemeinen Einflüsse der laxen Sitten der Zeit, aber auch unter dem speziellen der Porzellanfabrik, die ungeheuer en vogue war, an dem üppigen Hofe Augusts des Starken und seines Nachfolgers gezogen und gepflegt; von dort her durch eine sächsische Prinzessin (Anm. 20) und deren Porzellangerät nach Versailles verpflanzt, wo es seiner höchsten Kultur entgegenreifte.“

Wenn wir daran denken, dass den Geist einer Zeit schon wiederholt weit weniger große, erhabene Kunstwerke beherrscht haben, als viel mehr die kleinen Sachen, die in Glasschränken und auf Nipptischen stehen, wenn wir ferner wissen, dass die Blütezeit des Porzellans etwa anfing mit dem Aufkommen des Rokokostils und zu Ende war, als dieser Stil selbst abblühte, so müssen wir zugeben, dass Semper dem Meißner Porzellanstile der Kaendlerzeit entscheidenden Einfluss auf die Bildung des Rokokostils zuerkennen, dass er von einem „Dresdner Rokokostil“ sprechen konnte.

Es waren ja keine Schablonen, die dem Künstler als Vorbilder dienten, keine Kunstwerke, die er nachschuf, es waren die Menschen, wie er sie täglich sah, charmierend und kokettierend, kosend und knixend, es waren treuliche historische und kulturhistorische Bilder, die er darbot.

In Wahrheit freilich gebar der Porzellanstil Kaendlers das Rokoko nicht, sondern befruchtete nur diese zierlich-kecke, graziöse, übermütige Kunst.

Als die Zeit des Aufkommens des Rokokos in Meißen wurde bereits das Jahr 1740 genannt. Zunächst zeigten sich seine Merkmale nur ganz bescheiden da und dort bei einer Vase oder einem Geschirrstück in einem Muschelornament, in einer unsymmetrisch geschwungenen Linie, einem Rokokoschnörkel und anderen Kleinigkeiten. Aber dann, je mehr man die neuen Formen beherrschen lernte, ihren malerischen, farbigen Reiz erkannte, ihrer Anmut und Grazie inne ward, wurde man freier in ihrer Anwendung und entfaltete sie immer reicher und raffinierter. Die Gefäße erhielten Füße in weit ausgebogenen Voluten, sie wurden über und über mit in freiem Holzrelief geformten Blumen und Früchten bedeckt, und Blumen und Früchte versahen auch die Stelle der Griffe und Henkel, die im übrigen, plastisch angesetzt, sich in der launenhaftesten Weise schweiften und bogen.

Eines der reifsten Meisterwerke der Rokokokunst, die je in Meißen von Kaendlers Hand geschaffen worden sind, ist ein Spiegelrahmen (vgl. Tafel XVI und Abb. 44 und 45), der von König August III. als Geschenk für König Ludwig XV. von Frankreich, den Schwiegervater seiner Tochter Maria Josefa, bestimmt war. Das Werk wurde im Jahre 1750 vollendet, ist aber heute nur in einer modernen Ausführung vorhanden, der vielbewunderten, die auf der Pariser Weltausstellung 1900 zu sehen war und seitdem im Dresdner Verkaufslager der Meißner Porzellanmanufaktur ausgestellt ist. In dieser Arbeit hat Kaendler wohl das Höchste geleistet, was auf dem Gebiete der Keramik je und je möglich gewesen ist; das Kunstwerk ist noch heute vorbildlich für alles, was mit der Porzellanplastik zusammenhängt. In einer Biographie Kaendlers, die bald nach seinem Tode erschien, wird das Werk folgendermaßen geschildert:

„Es wetteiferten damals die königlichen französischen Porcellainfabriken mit der Meißner um den Vorzug. Kaendler aber wusste solchen zu behaupten. Er verfertigte im Jahre 1750 das bekannte Meisterstück, einen mit Blumenketten Laubwerck, Figuren und Geschichten ins Erhabene gearbeiteten Rahmen von Porcellain, 7 Ellen hoch, zu einem auf der Dresdner Spiegelfabrik gegossenen Trumouspiegel, und dazu einen Konsoltisch, ebenfalls ganz von Porcellain. Beide Stücke hatte August zum Geschenk für den König von Frankreich bestimmt. Kaendler selbst überbrachte sie nach Paris, und die eifersüchtigen Franzosen ließen dem Geschmack und der Arbeit des deutschen Künstlers alle mögliche Gerechtigkeit widerfahren.“

In den Figuren, welche die Zierlichkeit und Grazie des Rokokostils mit so großer künstlerischer Feinheit wiedergeben, geht Kaendler bedeutend unter die Maße herab, die er für seine Tierfiguren für das Japanische Palais, für seine religiösen und allegorischen Darstellungen, für das Reiterstandbild August III. und für den Ehrentempel anwendete. Das geschah nicht, weil er die kleinen Formate für künstlerisch oder technisch geeignetere hielt als die größeren, sondern weil er sie zumeist für den Handel herstellte. Die Menge freilich beurteilt gerade nach diesen kleinen Figuren (vgl. Tafeln XVII und XVIII), die allein der Allgemeinheit ja schon zu Kaendlers Lebzeiten zugänglich waren, den Wert des Vieux Saxe. Und nicht mit Unrecht. Denn in diesen kleinen Plastiken scheint all der künstlerische Reiz restlos verkörpert, den das Porzellan herzugeben vermag. Von ihnen aus kam ganz augenscheinlich das irrtümliche Urteil Sempers zustande; sie sind es, die das Wort von dem „europäischen Porzellanstil“ prägten. Und wenn, auch die zünftige Wissenschaft die Pflicht hat, das künstlerische Vermögen Kaendlers an Arbeiten zu messen, die weitab von diesem Gebiete der Kleinkunst liegen — darin muss sie dem kunstbegeisterten Laien beistimmen, dass keine der großen religiösen, mythologischen oder allegorischen Darstellungen Kaendlers so für den Schönheitsreiz des Porzellans spricht wie die kleinen Figurenwerke, die unter dem Einflüsse des Barock- und Rokokogeschmacks entstanden.

Man kann von der Betrachtung Kaendlers oder richtiger der Kaendlerzeit nicht scheiden, ohne einige der schon genannten Modelleure, die während ihr in Meißen mit tätig waren, noch kurz zu betrachten. Denn so beherrschend auch Kaendlers künstlerischer Einfluss in der Zeit war, die ihn an der Spitze der Meißner Manufaktur sah, so war doch seine Hand nicht die allein schöpferisch tätige. Unter den Modelleuren, die ihm zur Seite standen, befanden sich einige, die nach ihren Leistungen vollen Anspruch darauf haben, in einer Monographie nicht vergessen zu werden, welche sich mit der Geschichte des Meißner Porzellans des 18. Jahrhunderts, mit den Künstlern, die in ihr Bedeutung gewannen, beschäftigt. Woran es gelegen hat, dass die Namen dieser Künstler früher in der Geschichte der Meißner Manufaktur nicht in dem Maße zur Geltung gekommen sind, wie sie es verdienen, entzieht sich heute noch der Beurteilung. Es mag sein, dass Kaendler, der höchst ehrgeizige, in seiner Glanzzeit die Kommission völlig beherrschende Künstler, hieran in erster Linie die Schuld trägt, dass er die Namen seiner Mitarbeiter nach Möglichkeit ins Dunkel zu stellen, von ihren selbständigen Arbeiten so wenig wie möglich Aufhebens zu machen suchte; andererseits mögen die Mitarbeiter Kaendlers auch unter jenem Schicksal zu leiden gehabt haben, das heute für diejenigen Künstler teilweise noch besteht, die ihre Kräfte in den Dienst der künstlerischen Techniken stellen: anonym zu bleiben, künstlerische Ehren entweder an den Industriellen abzugeben, für den sie arbeiten, oder an den Leiter der Gemeinschaft, in der sie sich befinden.

Der begabteste und wider sein künstlerisches Verdienst um die Porzellanplastik bisher stark vernachlässigte Mitarbeiter Kaendlers war der 1696 zu Dresden geborene, 1750 in Meißen gestorbene Bildhauer Johann Friedrich Eberlein, welcher vom Jahre 1735 — 1749 in der Manufaktur tätig war. Außer den aus den Meißner Arbeitsverzeichnissen des Jahres 1741 festgestellten Arbeiten

„Eine Form zu einem Suppennapf mit Stürtze auf Kober-Arth geflochten, eine große Schüssel-Glocke mit dem Schwanen-Dessein No. 6, eine sitzende Pallas-Figur mit Kindern zum Terrinen-Deckel, so mit Bluhmen verzieret, ein Waschbecken in Form eines Kleeblattes, ein wilder Schweinskopf mit Muschelwerck und andern Zierrathen statt eines Knopfes auf, ein Terrinen-deckel: ein Kindel, wie solches einen Korb mit Bluhmen ausschüttet zur Terrinen-Stürtze des Churfürst von Cöln, ein Korb zu Burgunder Bouteillen zum Schwanen Service, der Pohl, weiße Adler-Orden und der Orden des goldenen Vließes zur Statua Sr. Majst.“

sind noch die folgenden Arbeiten dieses Modellierers zu nennen: ein sitzender Mohr, welcher einen Kredenzteller hält, eine Mohrin in türkischem Habit mit einem Blumenkorb; ein Mohr, welcher bei einer Zuckerdose steht; eine Mohrin als Gegenstück; zwei Saladièren, die eine in Gestalt einer Artischoke, die andere in der einer Melone; drei Frauengestalten, die Liebe mit zwei Kindern, die Hoffnung mit Anker und Falken in den Händen, sowie der Friede mit Palmzweigen; Apoll und Daphne; Venus und Cupido; Neptun mit einer Muschel; Juno mit dem Pfau und Mercur; Drei Grazien (vgl. Tafel XIX) und die Polin (vgl. Abb. 46).

Das den Eberleinschen Figuren eigentümliche Merkmal ist eine in dieser Frappanz bei den Kaendlerschen Arbeiten nicht wahrnehmbare Schiefstellung der Augen; ich bin hiernach geneigt, auch Arbeiten wie z. B. den "Herbst“ (vgl. Tafel XX) als Schöpfungen Eberleins anzusehen. Auch an der Herstellung der zwölf Apostelfiguren, von denen auf S. 70ff. die Rede war, scheint Eberlein, wenn auch nicht mit Glück, beteiligt gewesen zu sein. Höroldt hatte nicht Kaendler, sondern zunächst Eberlein mit der Herstellung der zwölf Apostelmodelle beauftragt. Diese Eberleinschen Modelle fanden nicht den Beifall des Königs, und so trat Kaendler an die Stelle Eberleins. In der Porzellansammlung zu Dresden befindet sich neben den Kaendlerschen Apostelmodellen ein solches, das sich durch seine etwas gröbere Modellierung als die Arbeit eines anderen Künstlers erweist. Es ist wahrscheinlich, dass diese Figur eine der erhalten gebliebenen Eberleinschen Apostelarbeiten ist.

Noch mehr als Eberlein tritt der während der Jahre 1746 — 1761 für die Manufaktur tätig gewesene Bildhauer Friedrich Elias Meyer zurück, obwohl seine Tätigkeit keineswegs — wie früher angenommen worden ist — darauf beschränkt war, die von Kaendler hergestellten Modelle zuzuputzen und für die Abformung fertigzustellen. Es ist das Verdienst des gegenwärtigen Gestaltungsdirektors der Meißner Manufaktur, des Bildhauers Prof. Erich Hösel, der schöpferischen Tätigkeit Meyers dadurch zu ihrer gebührenden Würdigung verhelfen zu haben, dass er aus den alten Arbeitsverzeichnissen der Meißner Fabrik diejenigen Porzellanplastiken zweifelsfrei festgestellt hat, die von der Hand Meyers herrühren (vgl. Tafeln XXI und XXII und Abb. 47 und 48). Auch die Meyerschen Arbeiten sind gleichwie die Eberleinschen durch ein charakteristisches Merkmal — die eigentümlich kleine Kopfform der dargestellten Figuren — von den Kaendlerschen wahrnehmbar unterschieden.

Von den Meißner Modelleuren, die unter Kaendler, hervorragend aus der großen Zahl der übrigen, tätig waren, ist schließlich noch der im Jahre 1717 zu Leipzig geborene, 1751 in Meißen gestorbene Bildhauer Joh. Gottl. Ehder zu nennen, der von 1739 — 1750 seine Kunstfertigkeit im Porzellanbilden ausübte. Figuren hat dieser Künstler wohl keine oder nur wenige selbständig geschaffen, dagegen Tiere und Gefäße. Von den ersteren kennt man einen Seidenschwanz, zwei Wiedehopfe als Gegenstücke, einen Papagei, letzteren in „Done poussiret“ u. a. m.; an Gefäßen bildete er Teller und Terrinen, Tabatieren und Zuckerdosen, Kelche und kleinere Vasen.

Berling gruppiert (vgl. Anm. 7) die Geschichte des Meißner Porzellans von ihren Anfängen (1709) bis zu ihrer Entwicklung unter Marcolini (1814) in sechs Perioden. Für die ersten drei Perioden, nämlich die Entwicklung i. unter Böttger, 2. unter Höroldt und 3. unter Kaendler folgte ich demselben Grundsatze; die vierte Periode Berlings umfaßt dieTätigkeit der Meißner Manufaktur während des Siebenjährigen Krieges (1756 — 1763). Da sie künstlerisch noch durchaus unter der Herrschaft Kaendlers steht, auch an dem Stile der Zeit, dem Rokoko (vgl. Abb. 49) festhält, so bedarf sie in einer gedrängten Darstellung wie dieser der besonderen Betrachtung nicht; das geschichtlich Bemerkenswerte an ihr findet der Leser unter den Anmerkungen (vgl. Anm. 21). Nur von den Arbeiten, die Meißen währen dieser 7 Jahre an Friedrich den Großen lieferte, sind einige kurz zu erwähnen. Der Preußenkönig war ein hervorragender Abnehmer der Meißner Fabrik, und wenngleich ihm große Mengen von Porzellan unentgeltlich geliefert werden mussten, so gab er doch auch noch große Summen für die Erwerbung von Meißner Porzellan aus. In einem in Meißen noch vorhandenen Verzeichnisse

„derjenigen Gelder und Porzellangeschirre, so die Königl. Porzellanmanufaktur Meißen an das Hohe Königl. Haus Sachsen und Preußen, wie auch andere hohe Behörden auf höchste Königl. Landesherrliche Befehle eingeliefert und bezahlet hat“,

wird unter anderem ein Betrag von

„283.679 Thlr. 4 Gr. durch Porzellan an das Königl. Haus Preußen im Jahre 1745 und während des siebenjährigen Krieges“

erwähnt. U. a. bestellte der Preußenkönig während der Kriegszeit 1756 — 1763 sechzehn große Vasen, die ihm wegen der zeitweiligen Betriebsstörungen schließlich nicht geliefert werden konnten. Er nahm dafür zweiunddreißig kleinere. Ferner bestellte der König Frühstücksservice und Tabakdosen (diese wohl zu Geschenkzwecken), auch einzelne Figuren und Gruppen, z. B. den Dirigenten der Affenkapelle, zehn Pagoden mit wackelnden Köpfen à 1 Fuß hoch, einen Kaminaufsatz: die vier Jahreszeiten, Apollo und Daphne, Pan und Syrinx, Venus und Adonis, Diana und Endymion, Orcus und Cephale, Bacchus und Ariadne, Jupiter und Semele, Herkules und Dejanira, das Urteil des Paris. Ein großes Gehäuse zu einer Spieluhr sollte nach der Zeichnung eines Berliner Künstlers angefertigt werden. Die bedeutendste Bestellung aber war die von sechs Tafelservicen, für deren Bemalung der König zum Teil eigene Angaben machte; z. B. sollten die Schüsseln und Teller des sogenannten „Vestunen“(Festons-) Services teilweise durchbrochenen Rand haben und verziert sein mit


„antiquen hangenden Vestunen, welche an d'Amours Köpfgen angeknüpff und flach erhaben seyn, wozu Ihr Königl. Majest. mir (Kaendler) eigenhändige Zeichnung gegeben.“

Zu einem japanischen Service, das der König bestellt hatte, war Kaendler ein kostbarer japanischer Teller als Modell übergeben worden; die Formen dieses Services sollten auf Wunsch Friedrichs des Großen „etwas antique und muschlicht“ ausfallen, die Bemalung dagegen sollte "indianische Tiere“ darstellen, und zwar „Camele, Strauße, Pappogoyen, Raben, Affen, Tieger, Parter“. Kaendler fand mit der Ausführung der angegebenen Wünsche durchaus den Beifall des Königs; ja dieser war dermaßen entzückt von dem künstlerischen Können Kaendlers, dass er ihm, wenn man einer diesbezüglichen Mitteilung Kaendlers an die Kommission trauen darf, im Juni des Jahres 1761 preußische Dienste anbot. Das jedenfalls ist sicher, dass die Kommission das allzu bereitwillige Eingehen Kaendlers auf Ideen des Preußenkönigs nicht mit besonderer Freude begleitete; sie machte ihm sogar einmal den Vorwurf, dass er

„dem König von Preußen und seinen Dienern zu viel von schönen Sachen, wie dessen Ausdruck ist, avanciret und dahero geschiehet, dass das Bestellen von wichtigen und schweren Desseins kein Ende nimmt, folglich der größte Teil der Fabrikation vor Preußens Rechnung arbeiten muss“.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meißner Porzellan
Abb. 30 Apostelfigur. Modell von Kaendler

Abb. 30 Apostelfigur. Modell von Kaendler

Abb. 31 Apostelfigur. Modell von Kaendler

Abb. 31 Apostelfigur. Modell von Kaendler

Abb. 32 Schneider auf Ziegenbock. Bunt bemalt

Abb. 32 Schneider auf Ziegenbock. Bunt bemalt

Abb. 33 Pole. Modell wahrscheinlich von Kaendler. Buntbemalt

Abb. 33 Pole. Modell wahrscheinlich von Kaendler. Buntbemalt

Abb. 34 Aus dem Reiherservice. Von Pietro Krohn, Kopenhagen. Ausgeführt von Bing & Grondahl, Kopenhagen

Abb. 34 Aus dem Reiherservice. Von Pietro Krohn, Kopenhagen. Ausgeführt von Bing & Grondahl, Kopenhagen

Abb. 35 Fahrender Musikant mit Ziegenbock. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 35 Fahrender Musikant mit Ziegenbock. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 36 Trompeter zu Pferd und Bauer zu Pferd. Modelle von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 36 Trompeter zu Pferd und Bauer zu Pferd. Modelle von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 37 Pferd und Reiter mit Pauke. Modelle von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 37 Pferd und Reiter mit Pauke. Modelle von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 38 Knabe mit Katze und Vogel. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 38 Knabe mit Katze und Vogel. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 39 Krinolinengruppe. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 39 Krinolinengruppe. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 40 Büste des Hofnarren Junge, gen. Baron Schmiedel. Modell von Kaendler. Unbemalt

Abb. 40 Büste des Hofnarren Junge, gen. Baron Schmiedel. Modell von Kaendler. Unbemalt

Abb. 41 Figur des Hofnarren Joseph Fröhlich. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 41 Figur des Hofnarren Joseph Fröhlich. Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 42 Tabatière, Bunt bemalt

Abb. 42 Tabatière, Bunt bemalt

Abb. 43 Tabatière. Bunt bemalt

Abb. 43 Tabatière. Bunt bemalt

Abb. 44 Muse (Dichtkunst). Teilstück aus dem Spiegelrahmen (Tafel XVI). Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 44 Muse (Dichtkunst). Teilstück aus dem Spiegelrahmen (Tafel XVI). Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 45 Muse (Musik). Teilstück aus dem Spiegelrahmen (Tafel XVI). Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 45 Muse (Musik). Teilstück aus dem Spiegelrahmen (Tafel XVI). Modell von Kaendler. Bunt bemalt

Abb. 46 Polin. Model von Eberlein. Bunt bemalt

Abb. 46 Polin. Model von Eberlein. Bunt bemalt

Abb. 47 Musen. Modelle von Meyer. Bunt bemalt

Abb. 47 Musen. Modelle von Meyer. Bunt bemalt

Abb. 48 Musen. Modelle von Meyer. Bunt bemalt

Abb. 48 Musen. Modelle von Meyer. Bunt bemalt

Abb. 49 Liebespaar. Bunt bemalt

Abb. 49 Liebespaar. Bunt bemalt

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