5. Besondere Gebräuche bei Entbindungen und Kindtaufen in der Gegend von Lagendorf (einem Theile des Hans Jochen-Winkels.)

Sobald das Kind dem Mutterschooße entwachsen ist, wird es von der Hebamme in ein Laken gewickelt. In eine Schürze oder in ein Tuch darf man es nicht legen, weil es sonst, wenn es ein Knabe ist, in späteren Jahren zuviel hinter den Frauensleuten herlaufen, wenn es aber ein Mädchen ist, sich ebenfalls zuviel mit den Mannspersonen abgeben würde.

Wenn das Kind nun so gewickelt ist, so wird es von der Hebamme stillschweigends unter den Tisch auf die bloße Erde gelegt, wo es so lange liegen bleibt, bis die Wöchnerin zu Bette gebracht ist; dadurch wird es ruhiger und frommer, und es wird nicht soviel schreien.


Ist die Mutter ins Bett gebracht, so wird das neugeborne Kind gebadet und dann ordentlich gewickelt. Bei diesem ersten Wickeln und Anziehen darf aber keine neue Mütze und kein neues Hemdchen gebraucht werden, weil sonst das Kind später zuviel Zeug zerreißen würde. Zum zweiten Anziehen kann man ohne Schaden neues Zeug gebrauchen.

In der ganzen Zeit bis zur Taufe muß das Kind sorgfältig vor Verwechselung durch die Unterirdischen gehütet werden; deshalb wird das sogenannte „Wort Gottes“, d.i. ein Blatt aus der Bibel oder aus dem Gesangbuche, entweder mit in die Windeln gewickelt, oder in die Wiege gelegt.

Damit nun aber auch dann, wenn die Mutter das Kind zu sich ins Bette nimmt, die Unterirdischen nicht Gewalt über dasselbe bekommen, muß in der ganzen Zeit bis zur Taufe unter dem Kopfkissen der Wöchnerin ein Gesangbuch liegen.

Wenn Nachbarinnen oder Anverwandte die Wöchnerin besuchen, so müssen sie zuerst zu der Wiege gehen, dem Kinde das Gesicht aufdecken und zu ihm sprechen: Gott segne es! Erst dann dürfen sie zu dem Bette der Mutter gehen und mit dieser sprechen.

Wenn bei einem solchen Besuche eine Nachbarin zufällig ihre Regel haben sollte, so muß sie es ja gleich der Wöchnerin sagen; denn wenn diese über den Platz der Nachbarin schreiten würde, so würde sie sicher gefährlich krank werden.

Wenn die Mutter während der Taufe des Kindes recht fleißig in der Bibel und im Gesangbuche lieset, so wird auch künftig das Kind leicht lesen lernen.

Eben dasselbe wird auch der Fall sein, wenn es dem ältesten Taufpathen, während er das Kind über die Taufe hält, gelingt, einige Worte aus der Agende des Predigers über den Kopf zu lesen.

Werden zwei Kinder zugleich in der Kirche getauft, so darf dies mit demselben Taufwasser nur dann geschehen, wenn beide von gleichem Geschlechte sind. Sind sie dies nicht, und es wird nicht jedes mit seinem besonderen Taufwasser getauft, so würde der Knabe künftig den Frauensleuten nachlaufen, das Mädchen aber einen Bart bekommen.

Wenn das Kind während der Taufe und so lange es in der Kirche ist, sich ganz ruhig verhält und kein einziges Mal schreit, so ist das ein schlimmes Zeichen, und das Kind wird bald sterben.

Nach der Taufe, wenn die Hebamme und die Gevattern mit dem Kinde nach Hause zurückkehren, nimmt es an der Hausthüre der jüngste Gevatter, und läuft damit, so schnell er kann, über die große Diele nach der Stube der Wöchnerin; dadurch wird das Kind tüchtig flink werden.

Gleich nach der Taufe dürfen die Gevattern ihre Nothdurft nicht verrichten, sonst wird das Kind unrein liegen.

Die Mutter darf bis zu ihrem Kirchgange nicht spinnen; denn da sie dabei die Finger mit ihrem Speichel nässen müßte, so würde dies zur Folge haben, daß das Kind aus dem Munde geifert.

In dem Hause, in welchem ein Kind geboren ist, darf ein ganzes Jahr lang kein junger Hund und keine junge Katze aufgezogen werden; denn es kann nur Eins gedeihen, entweder das Kind oder das Vieh. Kälber, Ferkel und Lämmer schaden aber nicht.

Acten des Altmärkischen Vereins für Geschichte und Industrie.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meinungen und Gebräuche der Altmark.