Meine viertägigen Leiden im Bade zu Pyrmont

Eine Brunnen-Lektüre in vier Portionen zu lesen, wenn der Arzt den Mittagsschlaf untersagt hat.
Autor: Georg Ch. Sponagel (1763-1830), Erscheinungsjahr: 1808

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Pyrmont, Badekur, Sponagel, Baderegeln, Des Vetters Feldzug, Seebäder, Doberan, Badearzt, Quelle
Inhaltsverzeichnis
    Ertzen, den 1sten August 1808.
Ertzen, den 1sten August 1808.


Hier bin ich denn endlich auf der letzten Station meiner fünftägigen Reise, und nur noch zwei Meilen von der weltberühmten Quelle entfernt, zu der ich nach der Vorschrift meines Arztes wallfahrte, und aus der ich nach seinen glänzenden Verheißungen für meine abgespannten Nerven einen neuen Ton, für mein niedergebeugtes Gemüt neue Luft zum Leben schöpfen soll!

Mit einer ernsten Feierlichkeit, und zugleich mit einer Zuversicht, die mir Armen Weissagung geschienen haben würde, wenn ich in jenen Augenblicken empfänglicher für die Hoffnung gewesen wäre, als meine abgespannten Nerven es zuließen, sagte er, mir die Hand beim Abschiede schüttelnd: „Fassen Sie Mut, Ihr jetziger Zustand ist bedauernswürdig, Ihr Übel ist nicht klein; aber glauben Sie mir, unsere Wissenschaft hat große Hilfsmittel dagegen. Sie, mein kranker Freund, wissen jetzt nicht, was Gesundheit ist; aber, hier meine Hand und mein Wort, im Bade sollen Sie ’s lernen. Gesundheit ist die Stimmung, ohne äußere Veranlassung froh zu sein. Selbst bei Veranlassungen, durch welche Sie hätten heiter werden sollen, waren Sie bisher nichts weniger als das, Sie waren nur übel gestimmt, ärgerlich, und in einer immerwährenden Unzufriedenheit mit sich selbst. Dort wird es sich wandeln, dort werden Sie froh für sich selbst sein, das lebendige Gefühl Ihrer ersten Jugendjahre wird wiederkehren, und im Taumel dieses glücklichen Zustandes werden Sie sich heiter fühlen, ja sogar mutwillig werden, und nicht wissen, woher Ihnen das kommt. Wie ganz anders werden Ihnen die Dinge dann erscheinen, wie ganz anders die Vorstellungen aus Ihnen hervorgehen als bisher! Und warum das alles so sei, woher Ihnen mit einem Male diese fremd gewordenen Empfindungen kommen, werden Sie selbst sich nicht sagen können; aber bald werden sie ahnen, es sei das Gefühl wiederkehrender Gesundheit, das Ihre Nerven belebt, und jugendlicher das Blut durch Ihre Adern treibt. Leben Sie wohl und befolgen Sie meine Vorschriften über Ihre Kur lieber etwas pedantisch, als dass Sie zu leicht über das, was Ihnen dabei etwa kleinlich scheinen mögte, hinweggehen. Ihr Zweck ist groß, die Zeit der Kur kurz, aber ihre Wirkung wird wohltätig und dauerhaft für Sie werden, wenn Sie, Herr, genug über sich selbst sind, meinen Vorschriften zu folgen, die ich für Ihre Gesundheit notwendig hielt.“

Und ich will sie befolgen, auf das treueste befolgen, gelobte ich mir selbst, als mein Wagen davonrollte, und eine bängliche Empfindung mich durchbebte, dass ich meinen Arzt und Freund zurücklassen musste, der durch seinen kräftigen Zuspruch so manchen Sonnenblick in meine düstere Lebens-Stimmung zu senden gewusst hatte, und ohne den ich mich jetzt so hilflos, so allein fühlte.

Sie verließ mich indessen allgemach, diese drückende Empfindung, und an die Stelle der schon bei mir heimisch gewordenen Ängstlichkeit trat bald stärker und inniger, je weiter sich meine Ideen aus ihrem gewohnten Kreislaufe entfernten, eine mutvolle Zuversicht für die Zukunft, wozu die reine Luft und selbst die heitere Stimmung meines Postillions nicht wenig beitragen mochte, dessen Plauderlust sich sogar mit sich selbst unterhielt, wenn er in meinen einsilbigen Antworten auf seine mehrmaligen Versuche, mich in eine Unterredung mit sich zu ziehen, keine gewünschte Erwiderung fand.

So fühlte ich allmählich mit der Entfernung von meinen Geschäftsideen alle die kleinen Nuancen von Eitelkeit, Eigenliebe, Ehrgeiz, Bequemlichkeit, – und der Himmel weiß, wie sie alle heißen diese geringfügigen, unbedeutenden liebenswürdigen Kleinigkeiten, die durch ihre Abwechselungen dem Gesunden das Leben teuer und wert machen, – wieder erwache; eine Empfindung, die der Hypochondrist längst verlernt hat, weil er dem Leben keine interessante Seite mehr abzugewinnen weiß, das er nur als seine drückendste Bürde seufzend mit sich herumschleppt.

Mit größerem Vertrauen, als es in dieser glücklichen Stimmung immer stärker und kräftiger in mir emporstieg, eilt gewiss keiner aus dem großen Zuge der zu dieser Quelle reisenden Kranken hierher, als ich; an sorgsamer Pünktlichkeit der Befolgung der Vorschriften seines Arztes soll sicher keiner von ihnen es mir zuvortun, und so will und werde ich denn Gesundheit und neue Lust zum Leben aus dieser Quelle trinken, die ich nun bald erreiche. Aller Geschäfte los und bar soll das mein einziges sein, dir, mein Freund, von jedem Tage meines dreiwöchentlichen nun anzutretenden neuen Lebenslaufes am Heilquelle Nachricht zu geben, damit doch außer mir noch eine andere an meinem Schicksale teilnehmende Seele Zeuge werde, wie mein trüber Geist sich allmählich den düstern Nebelwolken entzieht, die ihn bisher umgaben, und damit auch du, dessen Herz so liebevoll für mich schlägt, bei meiner Rückkehr mir triumphierend entgegenrufen könnest: „Du bist genesen!“ –

Und wenn ich es denn auch nicht bin, wenn ich auch mit getäuschten Erwartungen und betrogenen Hoffnungen zurückehren sollte, dein Zuruf wird mich beleben, und mindestens auf Augenblicke über mein Schicksal täuschen. Sieh nicht auf das, was ich dir schreiben werde, ich sehe voraus, es wird viel Unbedeutendes sein, nur darauf richte deinen Blick, dass du die Stimmung daraus entdeckest, in der ich es schrieb, um aus ihr beurteilen zu können, wie wohltätig die Wirkung ist, die auf mich daraus hervorgeht. Nun lebe wohl, das Posthorn ruft; mein nächstes von der Quelle.

Ob er aber auch wohl mein Übel kannte? – Ob er es nicht – für körperlicher hielt, als es war? – Kann auch derjenige, der nie in meiner Lage sich befand, überall einen Begriff von meinem Zustande haben? Beschränkten sich nicht seine Wahrnehmungen über meine Krankheit etwa allein auf das Körperliche – ihm Sichtbare? – Und doch besteht meine Abspannung wohl mehr im Geistigen als im Körperlichen; ich habe das Gleichgewicht meiner Empfindungen verloren. Nur empfänglich und empfindlich für das, was unangenehm ist, oder doch sich meinem kranken Geiste so darstellt, habe ich längst den Sinn für Freude verlernt. Nur jenes ergreift mich mit großer Gewalt, indessen jede Empfindung der Heiterkeit mir mit jedem Tage fremder, mein Herz mit jedem Pulsschlage für Frohsinn verschlossener wird. –

Die Blüte meines Stamms ist längst
im Keim verdorben,

Der ausgedörrte Saft nährt kaum das
welke Blatt:

]Die Kraft zur Fortdau’r ist im Innern
abgestorben,

Und jedes Wirken ist ohnmächtig,
geistleer, matt.

Der Geist fühlt sich im Zwang der
kranken Körperhülle,

Rafft sich umsonst empor, in
Fesseln eingezwängt,

Und mählich schwindet ihm, die
jugendliche Fülle

Der Phantasie, die sonst mit Bildern
ihn gedrängt.

Ihr Reichtum hat sich, ach! In
Ärmlichkeit verwandelt,

Und die Ideenwelt, die ihn mit Luft
umgab,

Ist um ein Sorgenheer vertrödelt und
verhandelt.

Zur Ohnmacht sank die Kraft des
Geistes tief herab.

Umsonst ringt er empor, dem Strom
zu widerstreben,

Kraftlos fühlt’ er sich fort durch ihn
in Wirbel ziehn.

Leer ist um ihn die Welt, dahin die
Lust zum Leben; -

Er hofft, er wünscht nichts mehr,
als bald ihm zu entfliehn!


Glänzend waren sie; jene Verheißungen, mit denen mich mein freundlicher Arzt entließ, durch die er meinen Mut, diese Reise anzutreten, belebte, und die Hoffnung in mir anfachte, in dieser Quelle Hilfe für meine Leiden zu finden.

Mit einer ernsten Feierlichkeit, und zugleich mit einer Zuversicht, die mir Armen Weissagung geschienen haben würde, wenn ich in jenen Augenblicken empfänglicher für die Hoffnung gewesen wäre, als meine abgespannten Nerven es zuließen, sagte er, mir die Hand beim Abschiede schüttelnd: „Fassen Sie Mut, Ihr jetziger Zustand ist bedauernswürdig, Ihr Übel ist nicht klein; aber glauben Sie mir, unsere Wissenschaft hat große Hilfsmittel dagegen. Sie, mein kranker Freund, wissen jetzt nicht, was Gesundheit ist; aber, hier meine Hand und mein Wort, im Bade sollen Sie ’s lernen. Gesundheit ist die Stimmung, ohne äußere Veranlassung froh zu sein. Selbst bei Veranlassungen, durch welche Sie hätten heiter werden sollen, waren Sie bisher nichts weniger als das, Sie waren nur übel gestimmt, ärgerlich, und in einer immerwährenden Unzufriedenheit mit sich selbst. Dort wird es sich wandeln, dort werden Sie froh für sich selbst sein, das lebendige Gefühl Ihrer ersten Jugendjahre wird wiederkehren, und im Taumel dieses glücklichen Zustandes werden Sie sich heiter fühlen, ja sogar mutwillig werden, und nicht wissen, woher Ihnen das kommt. Wie ganz anders werden Ihnen die Dinge dann erscheinen, wie ganz anders die Vorstellungen aus Ihnen hervorgehen als bisher! Und warum das alles so sei, woher Ihnen mit einem Male diese fremd gewordenen Empfindungen kommen, werden Sie selbst sich nicht sagen können; aber bald werden sie ahnen, es sei das Gefühl wiederkehrender Gesundheit, das Ihre Nerven belebt, und jugendlicher das Blut durch Ihre Adern treibt. Leben Sie wohl und befolgen Sie meine Vorschriften über Ihre Kur lieber etwas pedantisch, als dass Sie zu leicht über das, was Ihnen dabei etwa kleinlich scheinen mögte, hinweggehen. Ihr Zweck ist groß, die Zeit der Kur kurz, aber ihre Wirkung wird wohltätig und dauerhaft für Sie werden, wenn Sie, Herr, genug über sich selbst sind, meinen Vorschriften zu folgen, die ich für Ihre Gesundheit notwendig hielt.“

Und ich will sie befolgen, auf das treueste befolgen, gelobte ich mir selbst, als mein Wagen davonrollte, und eine bängliche Empfindung mich durchbebte, dass ich meinen Arzt und Freund zurücklassen musste, der durch seinen kräftigen Zuspruch so manchen Sonnenblick in meine düstere Lebens-Stimmung zu senden gewusst hatte, und ohne den ich mich jetzt so hilflos, so allein fühlte.

Sie verließ mich indessen allgemach, diese drückende Empfindung, und an die Stelle der schon bei mir heimisch gewordenen Ängstlichkeit trat bald stärker und inniger, je weiter sich meine Ideen aus ihrem gewohnten Kreislaufe entfernten, eine mutvolle Zuversicht für die Zukunft, wozu die reine Luft und selbst die heitere Stimmung meines Postillions nicht wenig beitragen mochte, dessen Plauderlust sich sogar mit sich selbst unterhielt, wenn er in meinen einsilbigen Antworten auf seine mehrmaligen Versuche, mich in eine Unterredung mit sich zu ziehen, keine gewünschte Erwiderung fand.

So fühlte ich allmählich mit der Entfernung von meinen Geschäftsideen alle die kleinen Nuancen von Eitelkeit, Eigenliebe, Ehrgeiz, Bequemlichkeit, – und der Himmel weiß, wie sie alle heißen diese geringfügigen, unbedeutenden liebenswürdigen Kleinigkeiten, die durch ihre Abwechselungen dem Gesunden das Leben teuer und wert machen, – wieder erwache; eine Empfindung, die der Hypochondrist längst verlernt hat, weil er dem Leben keine interessante Seite mehr abzugewinnen weiß, das er nur als seine drückendste Bürde seufzend mit sich herumschleppt.

Mit größerem Vertrauen, als es in dieser glücklichen Stimmung immer stärker und kräftiger in mir emporstieg, eilt gewiss keiner aus dem großen Zuge der zu dieser Quelle reisenden Kranken hierher, als ich; an sorgsamer Pünktlichkeit der Befolgung der Vorschriften seines Arztes soll sicher keiner von ihnen es mir zuvortun, und so will und werde ich denn Gesundheit und neue Lust zum Leben aus dieser Quelle trinken, die ich nun bald erreiche. Aller Geschäfte los und bar soll das mein einziges sein, dir, mein Freund, von jedem Tage meines dreiwöchentlichen nun anzutretenden neuen Lebenslaufes am Heilquelle Nachricht zu geben, damit doch außer mir noch eine andere an meinem Schicksale teilnehmende Seele Zeuge werde, wie mein trüber Geist sich allmählich den düstern Nebelwolken entzieht, die ihn bisher umgaben, und damit auch du, dessen Herz so liebevoll für mich schlägt, bei meiner Rückkehr mir triumphierend entgegenrufen könnest: „Du bist genesen!“ –

Und wenn ich es denn auch nicht bin, wenn ich auch mit getäuschten Erwartungen und betrogenen Hoffnungen zurückehren sollte, dein Zuruf wird mich beleben, und mindestens auf Augenblicke über mein Schicksal täuschen. Sieh nicht auf das, was ich dir schreiben werde, ich sehe voraus, es wird viel Unbedeutendes sein, nur darauf richte deinen Blick, dass du die Stimmung daraus entdeckest, in der ich es schrieb, um aus ihr beurteilen zu können, wie wohltätig die Wirkung ist, die auf mich daraus hervorgeht. Nun lebe wohl, das Posthorn ruft; mein nächstes von der Quelle.