Pyrmont, den 2. August.

Pyrmont, den 2. August.

Nein bei Gott! so unerhört betrogen,
Ward, wie ich, kein Erdensohn!
Mir, von sanfter Hoffnung hergezogen,
Dem der Arzt und Freunde Ruhe logen,
Ward Verachtung, Spott und Hohn.
Willig glaubt’ ich dem, was sie mir heischten,
Glatten Worten folgend, die mich täuschten,
Sucht’ ich Ruhe und Genuss.
Und was ist statt ihrer mir geworden?
Kam ich irrend unter wilde Horden?
Oder wollten jene mich nur morden
Hier durch Ärger und Verdruss?
Krank konnt’ ich die nicht besiegen,
Ja ich sollte unterliegen,
Darum sandten sie mich her.
Meiner Ohnmacht überlassen,
Steh’ ich hier allein verlassen,
Sie nur sahen das vorher.
Ha! aus dem geträumten Himmel
Fiel ich tief in dies Getümmel,
Das mit Qualen mich umstrickt.
Statt gehoffter sanfter Freuden
Foltern mich gehäufte Leiden,
Ihre Bosheit ist geglückt.


Hätte ich dir doch nichts versprochen! Was soll ich dir schreiben? Wie dir schreiben, dir schildern die Gefühle von Scham, Bitterkeit, Reue, getäuschter Erwartung, und wie die tausend Empfindungen alle heißen, die mich bestürmen? – Doch nein! – sieh dies alles als nicht geschrieben an, und höre meine Leiden.

Höflich wird man hier allenthalben behandelt, das habe ich schon weg, so sprach ich zu mir selbst, als ich gestern Abend in der Dämmerung hier eintraf, und vorgeleuchtet mit zwei Wachslichtern, wie im Triumph in meine hohe Wohnung einzog. Es wäre an einem genug gewesen, flüsterte der Geiz, aber der Stolz brachte ihn bald zum schweigen. Für vornehm muss man dich auch halten, setzte ich hinzu, als der Hausknecht mich einmal über das andere Herr Baron nannte, und besah mich, – versteht sich, als ich wieder allein war, – in jeder Hand eins von meinen beiden Wachslichtern – im Spiegel, um zu entdecken, was ich denn an mich habe, das mich einem Baron ähnlich mache? Ich konnte nichts dergleichen auffinden, war aber auch mit mir selbst bei weiten noch nicht darüber ins Reine, als ich schon aufgefordert wurde, meinen Namen zu geben, zu welchem Zweck mir die nötigen Schreibmaterialien gleich vorgelegt wurden.

Kannst du es glauben, das ich mich in der peinlichsten Verlegenheit befand, jetzt meinen bürgerlichen Namen zu schreiben, weil ich den Hausknecht, der mich wenigstens schon ein Dutzend Mal nobilitiert, nicht früher über seinen Irrtum berichtigt hatte, und dass sogar in mir die Idee aufstieg, mich durch ein kleines zierliches v. vor meinem Namen aus dieser Verlegenheit zu retten? Dass ich es nicht tat, errätst du leicht, aber ich verschweige dir selbst meine albernen Gedanken nicht, weil du daraus auf die nicht zu beschreibende Verwirrung meiner Ideen schließen kannst, die mich bei den unbedeutendsten Veranlassungen auf so manche Art quälen.

Der Hausknecht führte sich mit meinem echt bürgerlichen Namen sofort ab, ohne ihn einmal anzusehen, und rief mir noch auf dem Abmarsche zurück, dass in einer Viertelstunde gespeiset werde, – indem er, – ohne meine Erklärung abzuwarten, ob ich auch Speiselust habe, unaufgefordert hinzusetzte: Es soll für Sie ein Plätzchen belegt werden.

Unschuldig wär’s bei Gott! rief ich, gewesen;
Doch trieb die Scham das Blut mir ins Gesicht,
In meiner Seele konnt’ ich deutlich lesen:
Ich glaubte selbst den eignen Worten nicht.
Mir malte lebhaft sich die Albernheit
Durch die ich meine Würd’ entweiht.
Ich sucht’ auf’ neue mich zu heben,
Und schwatzte mir aufs Neue vor:
„Ich tat es nur, mit Anstand hier zu leben,
Ward ich dadurch ein Tor?
Hoch oder niedrig wird vom Zufall auserkoren,
Wie jenem oder dem sein Würfel blindlings fällt;
Der wird als Majestät, als Bettler der geboren,
Wohl jenem, wenn er klug die schwere Rolle
hält!
Wem hätt’ ich denn durch meinen Scherz
geschadet?
Der Nimbus, den ich nahm, war doch an sich so
klein,
Ich spielte nur, bis ich hier ausgebadet,
Dann fiel der Vorhang, dann verschwand
der Schein.
Selbst große Herrn, die sonst mehr
ökonomisierten,
Als jetzt, sie reisten ja fast stets inkognito.
Wenn in der Maske, sie sich produzierten
Wär’s ein Verbrechen mir homuncio?
Ich wollte niemand ja betrüben,
Im Rückhalt lauerte nichts, ich ehrte
nur den Wahn,
Nach welchem zärtlicher hier Brüder
Brüder lieben,
Steht ihrem Namen nur ein kleines v. voran.“

Ich machte nun geschwind noch ein wenig Toilette und suchte mir durch einige pathetische Gänge im Zimmer die Überzeugung zu geben, dass ich doch nicht ganz so albern gewesen sei, als ich es selbst glaubte.

„Befehlen Sie auch ein Zimmer für Ihren Bedienten?“, fragte der eintretende Marqueur.

Unerwartete Frage, die mich in neue Verlegenheit brachte! Ich hatte keinen mitgebracht; und in diesem Augenblick fiel es mir schwer aufs Herz, dass ich keinen hatte, und doch wohl des Anstands wegen einen haben müsste.

„Vor der Hand nicht!“, stotterte ich, und da es mir vorkam, als ob der Marqueur darüber verwundernd die Augen aufriss, so setzte ich rasch hinzu: „Er ist unterwegs krank geworden.

„So wird er doch“, versetzte jener, „bald wieder besser werden, und nachkommen, und da der Herr des Hauses zu Ihrer Bequemlichkeit das kleine Zimmer hier grade gegenüber für ihn einräumen lassen, so können Sie es immer behalten; denn haben müssten Sie es doch, und späterhin mögte keins zu bekommen sein.

„Wenn es Ihnen gefällig ist“, setzte er hinzu, „es ist schon eine Weile angerichtet“, und rasch war er fort und davon, ehe ich mich einmal besinnen konnte, wie ich mich am schwächsten aus dieser kostspieligen Angelegenheit zöge, in die mich bloß meine gewöhnliche Blödigkeit verwinkelt hatte. Mit Bezahlung komme ich hier heraus, sagte ich tröstend zu mir selbst; ökonomisch ist es wohl nicht, aber mit der Ausführung des Vorsatzes, dieses zu sein, wird es hier ohnedies wohl große Schwierigkeiten haben.

Ich folgte also meinem Führer schnell, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren; allein ich verfehlte meinen Zweck, er war schon mehrere Treppen im Vorsprung. Ich nahm zwei Stufen statt einer, um ihn einzuholen. War ich nun aber von der Reise noch etwas ungelenk, oder zu rasch, ich fiel die eine Hälfte der Treppe herunter – und wenn ich mich gleich dadurch noch schneller hinunterbeförderte, als ich selbst es Willens war, so nahm doch das Aufsammeln meines Hutes und Stockes sowie das flüchtig lindernde Überstreichen der durch den unsanften Fall schmerzhaft gewordenen Stellen meines Körpers, mir so viele Zeit weg, dass ich ihn längst aus dem Gesichte verloren hatte, als ich von neuem reisefertig war. Ich hinkte also auf gut Glück so lange abwärts, als eine Treppe da war, und befand mich, wie nichts mehr herabzusteigen war, – zwar nicht im Speisezimmer, aber doch im Hofe. Ich merkte leicht, dass ich zu weit vorgerückt war, machte mich also wieder auf den Rückweg Treppauf, und konnte von Glück sagen, dass ein etwas pikanter Wildbratenduft meine Nase zu einer richtigen Führerin für mich in das Speisezimmer machte.

Ich stutzte zwar nicht wenig, als ich in einen sehr hellen Saal trat, in welchem sich an einer langen Tafel eine ansehnliche gemischte Gesellschaft von Herren und Damen niedergelassen hatte; indessen begriff ich mich gleich wieder, und machte der Gesellschaft sowohl zur rechten als zur linken Seite ein so zierliches Kompliment, als ich es bei der Überraschung und in der Eile zustande zu bringen vermochte. Ich merkte aber bald, dass ich unter sehr unhöfliche Leute gekommen sein müsse, denn keiner erwidert es, als ein ziemlich langer Herr mit einem großen silbernen Brill auf der Nase, bei dem ich zufällig zunächst stand, und der, indem er den Kopf wieder aufrichtete, mich zugleich langsam, als ob er meine Länge ausmessen sollte, von oben bis unten besah. Sicher ein fremder Werbeoffizier, vor dem man sich in Acht zu nehmen hat, sagte ich zu mir selbst, und trat einige Schritt zurück, beruhigte mich indessen über ihn gleich wieder, als ich bemerkte, dass auch die Augen der ganzen übrigen Gesellschaft auf mich gerichtet waren, da einige Damen die Köpfe zusammensteckten und kicherten, so wollte ich eben nachsehen, ob vielleicht ein Fehler an meinem Anzuge dazu die Verlassung gegeben habe, zog auch mit der Linken meine Weste bereits etwas tiefer, als mich der Wink des Marqueurs aus der Verlegenheit zog, der auf einen Platz hindeutete, auf dem ich mich, wie ich aus seinen Bewegungen schloss, niederlassen sollte. Ich tat das sofort, und wurde dann von ihm befragt: Was für Wein ich zu trinken beföhle. Ich war im Begriff, ihm auseinander zu setzen, dass ich des Abends – nicht etwa aus leidiger – hier ohnedas, wie es mir schien, allenthalben verhasster Ökonomie, sondern nach einer ärztlichen Vorschrift dergleichen überall nicht zu trinken pflege; allein da seine Frage mir eine solche Einwendung rein abschnitt, und im Voraus bestimmte, dass ich notwendig Wein trinken müsse, so sagte ich schnell: „Etwas weißen Wein“, und mein dienstfertiger Geist eilte davon.

Indessen reichte mein Nachbar links, der mit seinem Beisitzer in ein sehr wichtiges Gespräch verwickelt war, gedankenlos, wie es schien, mir den herumgehenden Bratenteller mit oben erwähntem, bereits vorhin gewitterten Wildbret dar, wovon ich denn, um nur erst in Aktivität zu kommen, mir vorlegte. Kaum war das geschehen, und ich wollte eben versuchen, ob er auch genießbar sei, als mein aufwartender Marqueur mit einer großen Flasche Rotwein, zurückkam, und indem er sie vor mir hinstellte, verwunderungsvoll und laut mir zurief: „Aber haben Sie keine Suppe und Gemüse befohlen?“

„Nein, nein“, erwiderte ich abwehrend ebenso laut, weil ich besorgte, seine sonore Stimme mögte noch einmal die Augen der ganzen Gesellschaft auf mich herziehen. Du kannst ja, dachte ich, dich ebenso gut im Gebratenen allein sättigen, und das wird bei der Brunnenkur noch obendrein für dich gesünder sein.

Ich machte bereits alle Anstalten, diesen Vorsatz auszuführen, als mein Nachbar, der bisher meine Existenz noch nicht geahnet zu haben schien, sich vertraulich mit den Worten zu mir herwandte: „Aber ist es möglich, dass Sie das Zeug essen können?“

Wieso? wollte ich eben sagen, denn es schmeckte mir sehr gut; allein da mein Nachbar links mit ihm einstimmte, so glaubte ich wider den bon ton zu sündigen, wenn ich nicht gleicher Meinung mit den Herren sei. „Ach nein“, sagte ich daher mit vollen kauenden Backen, und schob den Teller etwas von mir, um dadurch meine Entsagung auf einen weiteren Genuss anzudeuten.

„Befreien Sie sich und uns davon“, sagte er und griff nach meinem Teller. In der Meinung, dass er selbst sich damit bemühen wolle, griff ich, um Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern, gleichfalls, aber in der Eile so unvorsichtig danach, dass ich meine lange Flasche Rotwein, von der der fingerlange Kork sich kurz vorher schon von selbst gelöset hatte, umstieß und ich dadurch meinen vis-à-vis aus Reihe und Glied und zum Aufspringen brachte. Meine ganz gehorsamsten Bitten um Vergebung wurden von dem dicken Herrn, dem der Rotwein, wie er versicherte, in die Stiefel gelaufen war, nur mit einem nicht unvernehmlichen Brummen über Unvorsichtigkeiten und Nicht-in-Acht-nehmen, erwidert; allein der gewandte Marqueur stellte im Augenblick die Ordnung auf dem Tische wieder her, und mir zugleich ungefordert eine neue Flasche hin, deren Anblick mir in Betracht der doppelten Kosten neues Herzeleid verursachte. Da der Appetit mir durch diese Unfälle wirklich rein vergangen war, die übrigen Gäste auch schon einer nach dem andern aufbrachen, und ich überdies der stillen Hoffnung lebte, die zweite Flasche nicht bezahlen zu dürfen, wenn ich sie unberührt ließe, so erkundigte ich mich noch vor meinem Aufbruch nach dem Betrage des zu Bezahlenden, erhielt aber zur Antwort, ich brauche mich nicht zu bemühen, es sei schon alles notiert. Ich weiß nicht, betonte er das vorletzte Wort so stark, oder war es eine Besorgnis, die der Geiz mir einflößte, das alles zog mir durch alle Glieder.

Um mich von der gehabten Angst vor dem Schlafengehen etwas zu erholen, beschloss ich, vor der Rückkehr auf mein Zimmer einen Spaziergang in der Brunnen-Allee zu machen, die ich durch weit scheinende Reverberen erleuchtet fand. Mit inniger Besorgnis über den Zustand meiner mitgebrachten Kasse im Verhältnis zu den großen Ansprüchen, die hier darauf gemacht zu werden schienen, suchte ich mir einen Plan zur möglichst sparsamen Einrichtung zu entwerfen, und war darüber so in Gedanken verloren, dass ich beinahe ein paar Damen umgerannt hätte, die der schönen Abendluft mit mir in ähnlicher nachdenkender Stimmung zu genießen schienen. Sie mussten wohl eben so tief in Gedanken sein, wie ich selbst, denn sie wichen mir auch nicht einen Schritt aus, als ich grade vor ihnen stand. Indessen trat ich ihnen doch noch ziemlich gewandt mit einer flüchtigen Entschuldigung zur Seite, und setzte meinen Weg bis zum Ende der Allee ununterbrochen fort, wurde aber auf dem Rückwege durch ein anderes Abenteuer aufgehalten.

Indem ich durch den gehabten Vorfall vorsichtiger geworden, zweien andern, oder den nämlichen Damen (denn ich hatte von der Figur und der Kleidung der ersten nichts bemerkt) die mir aufs Neue entgegenkamen, weit genug auswich, um sie nicht entfernt berühren zu können, sank die eine mit einem Schrei: „Ach mein Gott!“, beinahe in die Kniee, und ich sprang fast unwillkürlich hinzu, griff ihr unter die Arme, und fragte teilnehmend: „Was ist Ihnen?“

Ihre Begleiterin half ihr von der andern Seite, und da sie über den Fuß jammerte und versicherte, sie müsse ihn ausgesetzt haben, half ich, sie auf eine nahe Bank führen, und setzte mich, da sie noch immer ihren Arm unter dem meinigen, auch da noch, als sie schon saß, festhielt, notgedrungen zu ihnen. Sie jammerte fortwährend so sehr über ihren Fuß, und wie sie nach Hause kommen werde, dass ich mich erbot, einen Wagen zu bestellen; allein sie lehnte das dringend ab, weil dafür leicht einige Taler bezahlt werden könnten.

„Sie glauben nicht, wie viel Ausgaben man hier ohnedies hat“, setzte sie hinzu, und da sie damit grade unmittelbar in meinen Ideenkreis kam, auch ihre Begleiterin versicherte, sie treulich assistieren zu wollen, wenn ihr nur nicht die Kräfte fehlten, um sie allein zu unterstützen, so erbot ich mich, wie natürlich, zur Begleitung.

Wir traten also unsere Kavalkade an, und ich war froh, durch diesen glücklichen Zufall doch schon eine Brunnen-Bekanntschaft gemacht zu haben. Unterwegs erzählten mir meine Begleiterinnen viel und mancherlei von dem überaus großen Zusammenfluss der diesjährigen Brunnengäste, wovon ich jedoch vorhin bei Tische grade das Gegenteil und dass er bislang sehr mäßig gewesen, gehört hatte, und wie sie dadurch wider Willen genötigt worden, ein ziemlich entferntes Logis zu beziehen.

Meine Kranke wurde nach und nach sehr gesprächig, der Fuß schien sich unterwegs merklich zu bessern, und ich hatte es bald weg, dass ich hier doch an höflichere Leute gekommen war, als die ich an der Wirtstafel kennen gelernt hatte; denn sehr artig nannten mich beide ein über das andere Mal Herr Baron. Da ich daraus leicht den Schluss ziehen konnte, dass sie selbst mindestens adlige Damen, wenn nicht Gräfinnen waren, so nannte ich sie, um meinerseits auch nichts in der gehörigen Etikette zu versehen, meine Gnädigen, zumal ich weder wusste, noch es ihnen ansehen konnte, ob sie verheiratet waren oder nicht. Meine Entschuldigung, sie in meiner Gedankenlosigkeit beinahe umgerannt zu haben, nahmen sie sehr gütig auf, und zum Beweise, dass sie deswegen keinen Groll auf mich geworfen, luden sie mich bei der Ankunft vor ihrem Hause mit so vieler Artigkeit ein, mit hinein zu treten, dass ich es um keinen Preis hätte abschlagen können.

Die große Einfachheit diesem von den gewöhnlichen Logis der Badegäste ziemlich entfernten Wohnung war mir, wie ich gern gestehe, beim Eintritt etwas auffallend; allein da sie selbst es zu bemerken schienen und scherzend hinzusetzten, dass man es bei solchen Gelegenheiten so genau nicht nehmen dürfte, so hob sich dadurch mein Befremden von selbst.

Kaum waren wir ins Zimmer getreten, so fragte das Mädchen, ob wir Wein oder Punsch beföhlen, und richtete ihre Rede an mich, als ob ich hier nur zu befehlen hätte. Natürlich verbat ich beides aufs höflichste, ersuchte meine gütigen Freundinnen, doch ja meinethalben keine Umstände zu machen und wiederholte dies auf das dringendste, als die Kranke, ohne darauf zu achten, sich für den Punsch erklärte. Zu meiner nicht geringen Verwunderung war er kaum bestellt, als er schon da war und zur noch größeren tranken meine Wohltäterinnen mit so vielem Appetit und so schnell einige Gläser davon, dass ich für die zarten weiblichen Nerven besorgt ward. Es blieb auch nicht ohne Erfolg, denn indessen die Gesunde das Zimmer verließ, trillerte die Kranke einige Läuse, und hüpfte mit einer solchen Leichtigkeit auf das Kanapee, als ob ihr krankes Bein durch diese Universal-Medizin bereits gänzlich kurieret wäre.

„Sie haben wohl sehr unruhige Mitbewohner hier im Hause?“, fragte ich, als ich zuweilen, beim Öffnen eines Hinterzimmers, wie es mir schien, einige wild singende Stimmen zu vernehmen glaubte, „das wird Ihnen bei Ihrer Kur auch nicht zuträglich sein.“

„Dergleichen muss man sich hier schon gefallen lassen; man dankt dem Himmel, wenn man hier unter Dach kommt“, erwiderte sie leichthin, indem sie auf ein sich draußen anhebendes sehr lebhaftes Gespräch, das einem Gezänke nicht ganz unähnlich war, zu horchen schien. Es kam unserm Zimmer hörbar immer näher. Wir schwiegen beide unwillkürlich und horchten.

„Où est donc Minette? Sans doute là, et je veux y entrer“, prahlte eine französische männliche Bassstimme sehr vernehmlich, und eine weibliche schien das Entrieren abwehren zu wollen.

„Geschwinde“, sagte meine danach horchende Gebieterin plötzlich, „stoßen Sie ein paar französische Flüche aus, und machen Sie nur Lärm.“

Aber wozu das?, wollte ich eben fragen, als sie ihren Antrag schon dringender wiederholte, und ich in der mir dadurch mitgeteilten unwillkürlichen Angst meines Herzens, da ich, wie du weißt, im Französischen nie stark war, auch in der Eile, mich auf nichts einem Fluche Ähnliches zu besinnen wusste, so laut ich konnte: „Sacre nom Dieu, parlez-vous François?“, mehr ängstlich, als hastig herausstieß.

„Nun kommt er doch herein!“ rief sie ärgerlich. „Verhalten Sie sich ganz still“, setzte sie dann halb leise hinzu, blies das Licht aus, sprang hinaus, und ließ mich mit meinem Erstaunen und einer namenlosen Verlegenheit, was dies alles solle, im Dunkeln.

Mir ward in dieser höchst sonderbaren Lage in der Tat nicht ganz wohl zumute, indessen verlor sich doch nach dem Austritt des Fräuleins der Lärm auf der Diele, und schien dagegen im entfernteren Hinterteil des Hauses zuzunehmen. Ich sann hin und her, ohne mir dies Rätsel lösen zu können, und da ich berechnete, dass es schon ziemlich spät sein müsse, so harrte ich mit der größten Ungeduld auf die Rückkehr meines gnädigen Fräuleins, um mich von ihm beurlauben zu können. Sie machte mir jedoch die Zeit so lang, dass ich über meine Lage zu Selbstbetrachtungen kam, welche eben kein günstiges Resultat für mich lieferten, sondern in allerhand Besorgnisse für meine werte Person ausarteten, zumal das wilde Singen und Toben, wie ich bei dem jedesmaligen Auf- und Zumachen der hintern Tür hören konnte, nicht ab, sondern sogar immer mehr und mehr zuzunehmen schien.

Das Klügste, schloss ich endlich, ist hier wohl, auf den Rückzug zu denken, wozu mir indessen vor allen Dingen eine Bereinigung mit meinem Hute unumgänglich notwendig war. Ich verließ also meinen Schlupfwinkel, und schlich mich, vorsichtig im Zimmer herumtappend, aus einer Gegend desselben in die andere, um erst diesen aufzufinden; allein bei meiner gänzlichen Unbekanntschaft mit dem Terrain war ich so unglücklich, durch meine herumtappenden Bewegungen mit den Händen die Punschschale samt dem dreibeinigen Tische, auf dem sie stand, umzuwerfen. Dies nahm mir vollends alle Kontenance, da ich durch das dadurch verursachte Gepolter und Geklingel in meiner zweideutigen Lage entdeckt zu werden fürchten musste. Ich vergaß meinen Hut, suchte und fand glücklich die Tür, die sich von innen aufziehen ließ, und stand in einem Augenblicke vor der Haustür, die aber zu meinem Schrecken meinen eifrigen Bemühungen, sie zu öffnen, durchaus nicht nachgeben wollte.

„Heda! Wo wollen Sie hin?“, rief eine aus dem Fond des Hauses zum Vorschein kommende ältliche Figur, – ich hielt sie für die Mutter des gnädigen Fräuleins, –

„Was ist das für eine Weise? Erst Richtigkeit gemacht, mein Herr, und ehr nicht aus der Stelle“, und dergleichen mehr, was ich nur halb verstand, und kaum hörte, da ich mir, der Himmel weiß, was für Vorstellungen von vorhandener Gefahr machte, und, ohne mich umzusehen, nur desto eilfertiger mit dem Versuche der Öffnung der Haustür aufs eifrigste beschäftiget war.

Die hörbar auf ihren Pantoffeln gleich eilig heranrutschende Dame war mir schon so nahe, dass ich bereits den Wind von ihren mich halten wollenden Händen hinter mir zu fühlen wähnte, als es endlich meinen desto stärkeren Bemühungen, die Tür zu öffnen, gelang. Ich schlüpfte so rasch hinaus, dass ich das fortdauernde mir folgende Toben der alten Donna nur halb verstehen konnte. Sie schrie, wie es mir deuchte, um Beistand, mich festzuhalten, nach ihrer andern im Hintergrunde des Hauses befindlichen Gesellschaft; allein ich rannte, als ich das Freie gewonnen hatte, um desto rascher.

Es war auf der Straße, und doch – plumps!, stürzte ich auf einmal in ein Wasser hinab, tauchte unter, fühlte indessen bald Grund, ebenso schnell wieder Land, und maß so nur en passant die Tiefe dieser, – freilich (in der Mitte der Straße) sehr unglücklich angelegten Pferdeschwemme.

Dies Bad benahm mir indessen alle Furcht, ertappt zu werden, nicht, ich lief ebenso schnell weiter, und rannte nach einiger Zeit beinahe einen Menschen um, der langsam vor sich hin promenierte, und in dem ich die dort postierte Schildwache nicht erkannte.

„Wer da? – Halt!“, rief er, und da ihm mein ängstliches Laufen ohne Kopfbedeckung verdächtig vorkommen mochte, so führte er mich, ungeachtet meiner kräftigsten Protestationen, zur entfernten Hauptwache, der ich in meinem triefenden Kostüme mit von Frost klappernden Zähnen und schlotternden Knieen vielen Stoff zu Witzeleien über mich gab, die ich indessen schweigend ertrug. Ich erhielt die Erlaubnis, auf der Pritsche Platz zu nehmen,. um dort die Ankunft des die Runde gehenden Unteroffiziers abzuwarten, wobei sie mir, weil sie mein Zittern für Wirkung der Angst halten mochten, tröstend versicherten, es werde mir nichts Leides geschehen, sondern wenn ich morgen werde vors Oberamt gebracht, und dort meine Angaben und mein Pass untersucht und richtig befunden sein, so werde ich gleich wieder los kommen.

Wenn ich dann noch am Leben bin, sagte ich, von Frost zitternd, bei mir selbst; denn in diesem Zustande bis dahin zu bleiben, werden meine zerrütteten Nerven nicht aushalten.

So stand ich da, triefend von stählendem Nass.
Von Martis-Söhnen umgeben,
Mit Zähneklappern und schlotternden Knien,
Mutlos verzagend am Leben,
verhöhnet von allen, verspottet, verlacht,
War ich die Scheibe des Witzes.
Wut, Bitterkeit, Stolz durchzitterten mir
Die Adern mit Schnelle des Blitzes.
Da stellt sich ein feister Gamaschenheld
Sich trinkend mir gegenüber,
Und sprach: Kamerad, hier nimm einen Schnaps,
Darnach vergeht Dir das Fieber!
Der eine fand mich dem Hiob gleich,
Der gar dem gekreuzigten Schächer;
Man wollte mich tränken, doch ich schlug
Aus der Hand ihm wütend den Becher. –
Da trat der Stock des Sergeanten herein,
Von seinem Herrn geschwungen,
Und plötzlich zogen sich in sich zurück
Der Spötter schreiende Lungen.
Er setzte sich dann sofort zu Gericht
Mit inquisitorischen Fragen,
Vor allem aber, ob ich nicht Lust,
Fortan die Muskete zu tragen?
Man werbe, sprach er, zum Rhein-Kontingent,
Gut Handgeld werde gegeben;
Für junge Burschen wie ich, sei das
Unstreitig ein herrliches Leben.
Groß schildert’ ich ihm mein Ehrgefühl zwar,
Doch größer noch meine Schwächen,
Und in der Angst vermehrt ich sie noch
Mit erdichteten Körpergebrechen.
Mein Jammerbild gab meiner Rede Gewicht,
Nahm die Lust ihm weiter zu werben,
Und glücklich entging ich der Aussicht für jetzt,
Auf dem Bette der Ehre zu sterben.

Der Herr Unteroffizier fand meine Erzählung, dass ich bei meiner Unbekanntschaft mit dem hiesigen Lokale in ein Wasser auf der Straße gefallen, dabei den Hut verloren, und nachher so schnell gelaufen sei, um die schädlichen Folgen einer Erkältung zu vermeiden, und mich in Transpiration zu setzen, vollkommen glaubwürdig, und fügte nach Endigung meiner Erzählung mit einem Kopfnicken, das seinen Glauben daran bewies, hinzu: Ich habe sicher in der Blitztränke da unten an der Straße gesessen.

Als ich ihm vollends den in meiner rotsaffianen Brieftasche unversehrt gebliebenen Reisepass vorzeigte, versicherte er, dass es eines weitern zu meiner Rechtfertigung nicht bedürfe, und er gegen eine Erkenntlichkeit an den Posten, der mich aufgefangen und hierher geliefert hätte, mich in mein Quartier bringen lassen werde, und rechne die Wache auf eine Ergetzlichkeit zum Trinken.

Wer war froher als ich, dass ich so leichten Kaufs davonkam! Ich erfüllte sein Ansinnen mit wahrer nobler Generosität und wurde nun sicher ins Badehaus, in dem ich mein Logis hatte, hineinkonvoyiert, und dort meinem weiteren Schicksale überlassen.

Da mein Zimmer im obersten Stock war, so trat ich die beschwerliche Reise an, die nur durch ihre Länge mühselig war, denn sonst war jeder Gang erleuchtet. Mein Zimmer war gerade der Treppe gegenüber, ich versuchte also an der Tür, die derjenigen Treppe gegenüber war, auf der ich das oberste Stockwerk erreichte, meinen Schlüssel. Die Ungeduld mochte mich dabei etwas zu rasch zu Werke gehen lassen, und den Inhaber desselben, den ich zu meinem Erstaunen darin hörte, aus seiner Ruhe gestört haben, denn aus dem verschlossenen Zimmer erscholl mir ein „Wer da?“ und auf mein schnelles Erwidern „Ich bin es!“ die hastige Frage entgegen, ob Feuer sei?

„Feuer?“, rief ich, bloß voll Erstaunen die Frage wiederholend, weil ich an kein Feuer gedacht hatte, nach jener Äußerung es aber in der Nähe glaubte. Diese Frage aber mochte mein Mann drinnen wiederum unrecht für eine Bestätigung seiner Besorgnis halten, denn mit plötzlichem Gepolter öffnete er das Zimmer, stürzte über mich heraus, und schrie ein über das andere Mal: „Feuer! Feuer!“

„Um Gottes willen“, fuhr er mich an, „so sagen Sie doch, wo ist das Feuer?“, indes ich die nämliche Belehrung von ihm begehrte, und ihm zu bedeuten suchte, dass ich von keinem Feuer wisse, sondern allein er der Urheber desselben sei, waren die übrigen Bewohner dieser Etage auch schon durch den Feuerlärm aufgeschreckt, kamen einer nach dem andern in den sonderbarsten Nachtaufzügen, ihre kostbarsten Habseligkeiten im Arm, zum Vorschein, und begehrten ängstlich zur weiteren Direktion ihrer Flucht nähere Aufklärung über das Feuer, die weder ich, noch der Besitznehmer, so meinte ich, meiner Stube ihnen geben konnte.

Brummend und fluchend über die ihnen widerfahrene Störung gingen sie, nach erhaltener Belehrung über das Missverständnis, in ihre Klausen zurück, und nachdem ich mich durch die nähere Besichtigung meines vermeinten Zimmers überzeugt hatte, dass ich mich geirrt haben müsse, schnappte auch dessen gleichfalls auf mich unwilliger Besitzer mir die Tür vor der Nase zu, und überließ mich meinem Schicksale.

Ich sah nun ein, dass ich die unrechte Treppe heraufgegangen sein musste, und fand nach einigen Promenaden in den weiten Gängen des Badehauses denn auch eine andere Treppe, und gerade derselben gegenüber eine Tür, die mithin in mein Zimmer führte.

Vorsichtiger als vorhin probierte ich erst dann meinen Schlüssel, als ich sorgsam durchs Schlüsselloch gesehen, und mich überzeugt hatte, dass ein zweiter Irrtum unmöglich sei, da kein Licht im Zimmer war, und doch vorhin alle Zimmerbewohner, durch den Feuerlärm aus den Betten gejagt, zum Vorschein gekommen waren, und sich, wieder mit Licht versehen, zurückgezogen hatten.

„Gott sei gedankt, er passt!“, sagte ich bei mir selbst, als der Schlüssel hineinging, und das Zimmer sich öffnete, ließ die Stubentür offen, und da ich mich der Lage des Zimmers und der Ordnung darin noch sehr gut erinnerte, so ging ich gerade auf den Tisch zu, der in direkter Richtung von der Tür abstehen musste, um mir das Licht zu hohlen und anzuzünden; aber plötzlich trat ich gegen etwas, und schlug über einen Koffer, Kasten oder Stuhl – denn der Himmel weiß, was es war – quer über ein Bett.

„Jesus Maria! Diebe, Diebe!“, erscholl eine weibliche Stimme, und es sprang neben mir aus dem Bette, zum Zimmer hinaus, und schlug die Tür hinter sich zu. Ich raffte mich so schnell als immer möglich wieder empor, und indem ich in dem stockdunkeln Zimmer mit vorgehaltenen Händen, um nicht mit der Stirn gegen die Wände zu rennen, oder einen zweiten Sturz zu machen, herumtappte, und die Tür wieder zu gewinnen suchte, um mich, der weiteren Untersuchung mit Hilfe der Finsternis, die hier herrschte, aufs schleunigste zu entziehen, fasste ich statt der kalten Wand auf etwas sehr Warmes, das sich mir stahlfederartig entgegendehnte.

Ich erstarrte vor Schrecken, wagte es nicht, meine gefesselten Hände zurückzuziehen, und blieb, wie magnetisch angezogen, unbeweglich in meiner Stellung. In dem nämlichen Augenblicke stürzten eine Menge Kurgäste und Bedienten mit Lichtern um mich herum und über mich her, mir, als dem vermeintlichen Diebe, das Weglaufen zu wehren.

Himmel! wie erschrak ich, bei der ankommenden Beleuchtung in meinen Armen ein kleines allerliebst rundes Gesicht zu finden, das gerade mit dem Kinne über einen gar nicht unebenen Cotillon hervorguckte, der um Hals und Schultern niederhing.

Eben war diese Kleine, durch meinen Sturz und das darauf folgende Angstgeschrei ihrer Dame aufgeschreckt, aus dem Bette gesprungen, und hatte, bedächtiger als ihre Gebieterin, wenigstens die leichte Toilette vor der Flucht machen wollen. In dieser Beschäftigung war sie durch mich gestört, und der Anzug, weil auch sie, gleich mir, von Schrecken unbeweglich geblieben war, sonach nicht vollendet worden, sondern statt die untern Regionen, für die er bestimmt war, zu erreichen, in den oberen hängen geblieben.

Beim ersten Strahl des Lichts, der ins Zimmer fiel, knüpfte sie ihre Bemühungen, ihn herunterzubringen, wieder an, und ich Unglückssohn hielt es für schuldige Aufmerksamkeit, dabei hilfreiche Hand zu leisten, brachte aber dadurch mich selbst sowohl als das kleine niedliche Gesicht bei der Versammlung, und vorzüglich den der alten aus dem Bette verjagten Dame in den übeln Kredit eines zwischen der Schönen und mir obwaltenden Einverständnisses, wodurch mein Eintritt in dies verschlossene Zimmer veranlasst sei.

Vor den Lichtern her war die aufgescheuchte Dame wieder in ihr Zimmer und hinter ihre Bettgardinen geflüchtet. Bis auf den Kopf hineingewickelt, sprühte sie von da, verheerend wie die Lava, aus ihren beredten Sprachwerkzeugen eine solche Menge zürnender Ergießungen über mich, dass ich den allen so bestimmten Vorwürfen, die mir, als einem auf der Tat ertappten Verbrecher, gemacht wurden, und bei so klaren wider mich redenden Beweisen, die ich nicht zu entkräften vermochte, nicht einmal an Entschuldigung denken, noch viel weniger damit zu Worte kommen konnte. Nur eine stärkere Stimme, als die ihrige, übertönte sie endlich.

„Was in T… Namen!“, hub ein alter grämlicher Patron, den ich vorhin beim Feuerlärm in seiner Netzhaube schon bemerkt hatte, an, „Herr, sind Sie toll, oder ein Nachtwandler, dass Sie schon zum zweiten Male in einer Viertelstunde das ganze Haus in Alarm bringen?“

„Keines von beiden“, sagte ich demütig; ich wollte bloß auf mein Zimmer gehen, und es ist, als ob sich heute alles Unglück wider mich verschworen hat, dass ich es nicht wieder finden kann, und mich, wie ich fast vermute, verirrt haben muss. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung“, setzte ich hinzu, „denn…“

„Wo haben Sie Ihren Schlüssel?“, unterbrach mich ein anderer, „und welches ist die Nummer ihres Zimmers?“ Von der letzten versicherte ich, nichts zu wissen, welches die reine Wahrheit war, und den ersten suche ich vergebens in allen Taschen.

„Er ist betrunken“, sagte ein Dritter, und ein Vierter behauptete gar, ich sei ein Spitzbube, und man müsse mich durch die Bedienten in die Wache bringen lassen.

„Da bin ich auch schon gewesen!“, platzte ich heraus, und nun behielt die Meinung die Oberhand, ich sei ein Nachtwandler.

„Aber er ist ja in vollem Anzuge!“, sagte ein Fünfter, und die Bedienten, die mich hielten, setzten hinzu: „Und pfützennass!“

Ich selbst sah schon, dass ich meinem Schicksale, wie ein Tollhäusler behandelt zu werden, nicht entgehen würde, als endlich die Frage des Sechsten, wie ich denn in das Zimmer der Dame gekommen sei, mich zur Besinnung brachte. Durch meinen Schlüssel, sagte ich, der noch in der Tür stecken muss. Dies machte endlich allen Verlegenheiten ein Ende, man entdeckte auf selbigem die Nummer meines Zimmers, führte mich dahin, und als ich mich durch dessen Leere und meine dort befindlichen Sachen sowie durch meinen abermals produzierten Reisepass gerechtfertiget, auch die Gesellschaft wegen meiner ungleichen Verirrungen um Verzeihung gebeten hatte, verließ man mich, und so war ich denn endlich, wo ich sein wollte, und dankte, als ich allein war, meinem Schöpfer für die Erlösung.

Neues Unglück befürchtend, verriegelte ich meine Tür, so gut es sich tun ließ, packte meine notwendigsten Sachen aus, riss mir meine nassen Kleider vom Leibe, und legte mich beim Anbruch der Morgenröte endlich zur Ruhe. Kaum mochte ich eingeschlafen sein, als ein wiederholtes Trommeln unter meinem Fenster und die dadurch von neuem erweckte Idee von Feuer mich wieder in schnelle Bewegung brachte und aus dem Bette ans Fenster trieb. Glücklicherweise war es nur französisches Militär, das sich zum Abmarsch versammelte, und auch nach einer Stunde des mannigfaltigsten Lärms mit voller Musik wirklich aufbrach. Ich legte mich abermals zur Ruhe nieder; allein mich Leidensträger fand der Schlaf nicht; denn im Nebenzimmer schickte sich ein absolvierter Kurgast ohne die allermindeste Rücksicht auf einen müden Brunnennachbar zur Abreise mit einem solchen Gepolter an, dass ich an alles, nur nicht daran, einzuschlafen, denken konnte. Ich hörte einen Glockenschlag nach dem andern, und hoffte von einer Viertelstunde zur andern, meinen bösen Nachbar loszuwerden, durch den mir die vierte Bitte in einer Wichtigkeit erschien, die ich ihr bisher nie beizulegen vermochte, weil ich gute Nachbarn bis dahin nicht unter die Kategorie des täglichen Brots zu bringen gewusst hatte.

Endlich ward es stille, und meine müden Augen schlossen gerade sich dem ersehnten Schlafe entgegen, als ein zwar leises und bescheidenes, aber immerfort dauerndes Pochen an der Tür meines Zimmers mich nachzusehen zwang, was es bedeute.

„Sind die Erdbeeren gefällig?“, fragten ein paar Kinder, als ich öffnete, und hielten mir einige Körbe voll der schönsten entgegen. Unwillig wollte ich ihnen die Tür vor der Nase zuwerfen, allein der Hunger überwand Schlaflust und Verdruss, mein schon so lange fastender Magen heischte die sich darbietende Befriedigung ungestüm, ich kaufte den ganzen Vorrat, und spedierte ihn dem Protestanten, der die dringendsten Ansprüche daran hatte, sofort zu. Ich fühlte mich dadurch merklich restauriert und griff zum gewohnten Morgenpfeifchen.

„Es ist doch ein treffliches Kraut!“, sagte ich, als ich, nach vollendetem Anzuge, in meinem Zimmer auf und nieder schritt und den blauen Dampf vor mir herblies. Seine Kraft besteht nicht bloß in dem aromatischen Geruche, der uns ergetzt, sondern sie wirkt auch auf die inneren Teile, setzt dort in Bewegung, löset auf und befördert die Geschäfte derselben. Die Richtigkeit dieser Lobsprüche machte, dass ich eines Wegweisers bedurfte. Da es mir aber bei dem Mangel einer Klingel, die ich vergebens in allen Ecken des Zimmers aufsuchte, rein unmöglich ward, mich mit einem der sieben Treppen unter mir webenden, häuslichen Dienerschaft in Kommunikation zu bringen, so trennte ich mich von meiner Pfeife, und begann eine förmliche Rekognoszierung in den langen Gängen des Badehauses vorzunehmen, um zu meinem Zwecke zu gelangen. Meine sorgfältigsten Blicke entdeckten nichts von dem, was ich zu finden wünschte. Mir ward es daher Notwendigkeit, mich bei dem nächsten Besten, der mir auf meiner Wanderung Begegnenden, Erkundigung einzuziehen.

„Verzeihen Sie, mein Herr“, redete ich einen derselben an, „wollten Sie nicht die Gefälligkeit haben? – Ich sagte ihm den Gegenstand der Bitte ins Ohr. Leider war ich an einen Harthörigen gekommen, der mich aufforderte, lauter zu sprechen, wenn ich mich ihm verständlich machen wolle. Ich prahlte also, was ich konnte „Haben Sie die Güte, mein Herr und sagen mir...“, allein als ich an den eigentlichen Gegenstand des Gesuchs kam, so fühlte ich, dass sich das so laut durchaus nicht vortragen ließe, als er es von mir begehrte – und stockte.

„Was wollen Sie denn eigentlich von mir?“, schrie er ungeduldig und so laut, als ob ich mit ihm den gleichen Fehler hätte.

„Das lässt sich nur nicht so laut sagen, mein bester Herr; aber ich will es Ihnen ins Ohr raunen“, erwiderte ich.

„Dann behalten Sie’s nur bei sich“, brummte er mich an, und ging weiter.

Wo ich wohl finde, was ich suche, erkundigte ich mich freundlich bei einem Zweiten, den ich für dienstfertiger hielt als jenen, weil er singend und trällernd an mir vorüberschlüpfen wollte.

„Folgen Sie nur ihrer Nase!“, erwiderte er lachend, hielt sich nicht auf, hüpfte weiter, und ich war um nichts klüger, weil ich nach angestellten Versuchen die Entdeckung machte, dass meine Nase immer auch nur dahin stand, wohin ich den Kopf drehte, und dass mithin auf die Weise doch der Gegenstand meiner Bemühungen in allen vier Winden sein konnte, und nach dieser Anweisung also schwerlich gefunden werden mochte. Da ich indessen durch die flüchtige Nachweisung von der Existenz des Gesuchten in diesem Teil des Hauses vergewissert war, und mir selbst helfen musste, so klopfte ich an jede Tür, und ging da stillschweigend weiter, wo ein „Herein!“ aus dem Innern des Zimmers gerufen, mir die Überzeugung gab, dass ich unrecht komme. Wo keine Erwiderung erscholl, da öffnete ich leise die Tür, und brachte den Kopf hindurch; allein immer war ich nicht da, wo ich sein wollte. Mehrenteils war das Stillschweigen nur Folge der Bequemlichkeit der Besitzer, die mir bald ein: „Haben nichts nötig!“ – „Rasieren uns selbst“ – oder „Wollen keine Erdbeeren“, entgegenriefen. Bei anhaltender Geduld indessen hätte ich doch endlich meinen Zweck erreichen müssen, wenn nicht ein paar neugierige Zimmerbewohner, an deren Türen ich bei ihrem Einruf auf mein Pochen stillschweigend vorübergeschlüpft war, herausgeguckt hätten, und da sie mich, mit ähnlichem Klopfen an anderen Türen horchend beschäftigt sahen, über meine Ehrlichkeit in Zweifel, und auf die Vermutung, dass ich stehlen wolle, geraten wären. Sie stellten mich sehr dreist zur Rede, was ich von ihnen begehre. „Gar nichts“, erwiderte ich zwar, „ich wollte nur“, – blieb aber in der Rede stehen, weil ich wieder auf das fatale Wort geriet, das sich des Anstands wegen durchaus nicht aussprechen lassen wollte.

„Den Augenblick packe Er sich“, fuhren mich beide zugleich sehr barsch an, „sonst wollen wir Ihm was anders weisen!“

Und ich hielt es bei so bewandten misslichen Umständen für geratener, in dieser Gegend des Hauses meine Nachforschungen aufzugeben, als mich mit diesen Bramarbassen in Händel einzulassen, wozu es mir auch für den Augenblick schlechterdings an Zeit fehlte.

Eilig stieg ich daher in den untern Teil des Hauses hinab, und sah mich auch dort allenthalben mit forschenden Blicken um. Ich geriet im untersten Stock in eine lange Reihe von aufgestellten mit Kleidungsstücken behangenen Körben, und wandelte zwischen ihnen, den entferntesten Teil des Hauses suchend, forschend hindurch, als ein Mann mit einem Haarbesen in der Hand eilig neben mir aus einer Tür in den Gang trat, und meine Wünsche, wie es mir schien, in meinem Gesichte lesen musste.

„Hier, Herr Graf, der Doktor hat für sie bestellt“, sagte er, „nur hier herein, es ist schon bereit.“ Indem er mir eine Tür öffnete; und ich folgte ihm unbedenklich.

„So“, sagte er eilfertig, „treten Sie nur auf“, indem er sich bückend, einen Stiefelknecht zu meinen Füßen hinstellte, und eh ich einmal selbst wusste, wie mir geschah, waren mir durch seine Hilfe beide Stiefel unwillkürlich ausgezogen.

„Lieber Mann“, sagte ich, und war im Begriff, mich näher zu erkundigen, was er eigentlich mit mir vorhabe, als ich mich selbst plötzlich unterbrach, weil mir mit Schrecken einfiel, dass ich am Morgen beim Anziehen den Stiefelriemen abgerissen hatte. „Mein Gott! Den Stiefel kriege ich gar nicht wieder an“, rief ich; „sie sind ohnedas so enge, und der Riemen fehlt.“

„Das soll gleich wiederhergestellt werden, indessen Sie baden“, sagte der Eilende, und war in demselben Augenblick mit dem Stiefel zur Tür hinaus, die er hinter sich zuschlug und ins Schloss schnappte.
„Baden“, sagte ich, als ich allein war, und entdeckte, was ich noch nicht bemerkt hatte, hinter mir ein gefülltes rauchendes Marmorbad. Hatte ich doch in meinem Leben noch nicht gebadet, und wie sollte ich das anfangen?

Ich trat an die verschlossene Tür, um den Versuch zu machen, ob ich meines entwischten Führers wieder habhaft werden könnte, pochte von innen leise an, und legte dann das Ohr vor, um wahrzunehmen, wann jemand vorbeiginge.

Allein es schien von außen nicht bemerkt zu werden, denn es herrschte dort eine große Stille, und nur zuweilen hörte ich ein rasches Vorbeirennen, ohne dass jemand von meinem Pochen Notiz nehmen wollte, mit dem ich jedes Mal zu spät kam. Zufällig entdeckte ich bei diesen Versuchen an der Tür des Zimmers ein Papier, worauf der Preis eines Marmorbades zu 16 ggr. bestimmt, und ein geringerer für eine totale oder partielle Dusche, für ein Klistier usw. bemerkt war.

Hier wirst du die ganze Badeschule durchzumachen haben“, sagte ich zu mir selbst, und da es mir einfiel, dass mein Führer bei meinem Einlass eine Bestellung des Doktors erwähnt hatte, so schloss ich, dass jeder, sich in dieses Badehaus einquartierende Kurgast von selbst als badelustig angesehen werde, der Arzt also diese Bestellung auch unaufgefordert für mich gemacht, aus Schonung die zu meiner Gesundheit hier veranstaltete Bearbeitung meines Körpers mir verschwiegen, und mich einsperren zu lassen verordnet habe, um mir das Weglaufen zu wehren.

„Nun denn“, sagte ich endlich resigniert, wenn es denn nicht anders sein kann, so will ich nur erst das Bad nehmen, und die übrigen Experimente, denen ich mich hier unterwerfen soll, erwarten.

Da ich das Wasser von angenehmer Temperatur fand, so ließ ich mich allmählich hinein, sah aber zu meiner Verwunderung, dass das Wasser mir nicht weit über die Hüften reichte. Dies war mir sehr unbehaglich, da der obere Teil meines Körpers desto heftiger fror, je wärmer sich der untere im Wasser fühlte.

Ich sparte die paar Schritte, die der enge Raum im Bad erlaubte, hin und her, um mich durch die Bewegung zu erwärmen, wäre aber beinahe auf dem glatten Marmor gefallen, wenn ich mich nicht zum Glück an einer eisernen Stange gehalten hätte, die neben dem Bade herausstand. Ich hörte nun ein vorher nicht bemerktes Brausen, und entdeckte bald, dass das Wasser ablief, war auch, eh ich mich dessen versah, völlig auf dem Trocknen.

Ein Fieberfrost teilte sich meinem ganzen Körper mit. Indessen schloss ich aus zwei messingenen Hähnchen, die vorhin von mir nicht beachtet waren, dass ich dem Wassermangel durch deren Öffnung leicht werde abhelfen können. Kaum waren mir meine Bemühungen, den einen derselben zu öffnen, halb gelungen, als ein spritzender Strom von heißem Wasser mich verbrühte, und mich mit einem Satze aus dem Bade herausbrachte.

„Mein Gott, was machen Sie? Warum haben sie das Bad abgelassen?“, rief der eintretende Bademeister, dessen Qualität ich nachher erfuhr, eine Maschine mit sich schleppend, die ich hier zum ersten Male sah. Rasch verschloss er den Ausfluss des Wassers wieder, und sagte dann.

„Treten Sie nur erst wieder herein, dass ich Ihnen die Dusche gebe; dann können Sie sich wieder ankleiden.“ Kaum hatte ich seine Vorschrift befolgt, und ihm auf seine Frage, welches der kranke Teil meines Körpers sei, den Magen genannt, so empfing dieser einen so schmerzhaften Wasserstrahl aus seiner Höllenmaschine, und dann wieder, als ich mich dem ausweichend umdrehte, der Rücken, dass ich laut aufschrie und ihn um die Wunden Jesu bat, Mitleiden mit mir zu haben.

„Das wird sich schon geben, es macht bloß die Angewohnheit. Doch da es das erste Mal ist, so mag es für heute genug sein“, sagte er, und entfernte sich mit seinem Apparat. Ich erwartete nun den dritten Akt, gelobte es mir aber selbst, mich schlechterdings dem zu widersetzen. Ich machte mich zu dem Ende schon schlagfertig, waffnete meine Rechte mit dem Stiefelknecht und nahm eine gedrängte Stellung mit dem Rücken an der Wand, um diesen freizubehalten, die Linke zur Reserve im Notfall bereithaltend.

Das Mal war meine Vorsicht indessen vergeblich; denn statt mit der gefürchteten Maschine gewaffnet zu sein, trat er ganz friedfertig mit einem großen gewärmten Laken in den Händen wieder herein, das er mir mit der Empfehlung umhing, es fest um mich herumzuwickeln, und keinen Teil bloß zu lassen, damit ich mich ja nicht erkälte. Ich befolgte seinen weisen Rat getreulich, jedoch gelang es mir nur mit der größten Anstrengung, dieses große Tuch in meine Beinkleider und unter meine übrige Kleidung hineinzupressen, die zwar nach der heutigen Mode ziemlich weit, aber doch nicht in dem Maße war, dass sie jenes noch ohne Unbequemlichkeit für mich hätte fassen können. Kaum hatte ich endlich doch dieses schwere Werk im Schweiße meines Angesichts vollbracht, als er wieder hereintrat, und mich verwunderungsvoll fragte, ob ich nicht der Graf Stürmer sei. Da ich es ehrlich verneinte, so gelang es mir kaum, die üble Laune, die er über mich, während er für jenen ein frisches Bad bereitete, in vollem Maße ergoss, durch ein reichliches Geschenk zum Schweigen zu bringen. Er nahm es indessen an, wurde beruhigt, und gab mir nach einer offenherzigen Beichte, was ich denn eigentlich gesucht habe, die Anweisung, dass ich das Gesuchte hinter den Häusern an der Allee finden werde.

„Aber“, sagte er, als das gräfliche Bad bald fertig war, und er aufräumte, um den wirklichen Grafen einzulassen, den ich Pseudograf um dasselbe so unschuldig betrogen hatte, „wo haben Sie das Badelaken gelassen?“

„Ach, es inkommodiert mich sehr, ich werde kaum davor gehen können“, versetzte ich. Der Mensch, den ich vorhin für gutmütig gehalten hatte, unterstand sich nun, mich förmlich auszulachen, als er auf nähere Erkundigung erfuhr, wo es sich denn eigentlich befinde, und wies mich dann in ein daran stoßendes Zimmer, wo ich mich von neuem vom Kopf bis zum Fuße auskleiden musste, um ihm wieder zu seinem Tuche zu verhelfen.

Gern wäre ich, beschämt über die unglückseligen Missverständnisse, davongegangen, allein leider erlaubte mir das der Mangel meines Stiefels nicht. Nach mehrmaliger Anforderung an den Bademeister, ihn mir wiederzuschaffen, kam er endlich mit einem Schusterjungen zurück, nach dessen Angabe seinem Meister der Stiefel nur mit der einfachen Anweisung, ihn sofort zu bessern, gebracht sei, und da dieser außer dem fehlenden Riemen auch die Sohle desselben durchlöchert gefunden, so habe er sie ganz herausgelöset, und sei er sonach zur Zeit unbrauchbar. Der lustige Bademeister, der sich totlachen wollte, und versicherte, dass er den heutigen Spaß zeitlebens nicht vergessen werde, half mir dann durch das Anlehn eines Pantoffels aus der Not, und voll Scham schlich ich mit Hilfe desselben wieder auf mein Zimmer.

Kaum hatte ich mich anders chauffiert, so begab ich mich der Anweisung des Bademeisters zufolge über den Hof des Hauses hinter die nahen Häuser an der großen Allee, und entdeckte auch daselbst leicht, was ich suchte. Aber neue Verlegenheit: alle Türen, die ich öffnen wollte, waren verschlossen, aus den nicht verschlossenen hielt mich ein lautes Husten oder Räuspern vom Eindringen ab, und ich wusste schon wieder nicht, was ich daraus machen sollte, als ein geringer Mann mir einen Schlüssel präsentierte, und mir eine Nummer, wie er sich ausdrückte, anwies. Mir war das zwar nicht verständlich, indessen machte ich von seinem Anerbieten Gebrauch, und als ich ihm, den ich beim Heraustritt noch in der Nähe fand, seinen Schlüssel mit meinem Dank zurückgab, sah er mich verwunderungsvoll an, und fragte, ob ich denn weiter keinen Gebrauch von selbigem machen, ihn auch nicht behalten wolle?

„Vor der Hand nicht“, war meine Antwort, und seine Erwiderung: „So muss ich mir einen Taler ausbitten.“ Ich weigerte mich schlechterdings, diesen unverschämten Anspruch zu befriedigen, der doch wohl in der ganzen Welt unerhört sei, und war so unvorsichtig, diese Weigerung durch einige Schimpfworte zu begleiten, die mir der Unmut in den Mund gab. Ich kam indessen mit ihm nicht aus, er pochte so laut und dreist auf seine Rechte, indem er versicherte, dass es nur von mir abhinge, während der ganzen Kur von dem einmal begehrten Schlüssel Gebrauch zu machen, berief sich mit solcher Zuversicht auf die Brunnengesetze, denen zuwider ich ihn an seiner Ehre gekränkt habe, und begehrte obendrein so trotzig meinen Namen und meine Wohnung zu wissen, um seine Klage höhern Ortes gegen mich einbringen zu können, dass ich ihm nicht nur das verlangte, sondern noch ein Übriges zur Versöhnung seiner beleidigten Ehre gab, und dadurch denn sein Toben glücklich zum Schweigen brachte.

Ich schlüpfte ins Haus zurück auf mein Zimmer, aus dessen auf den Brunnen hin gehenden Fenstern ich bald bemerkte, dass die Zahl der zur Quelle wandelnden Kurgäste von Minute zu Minute anwuchs. Ich rüstete mich daher selbst auch, meinen ersten Gang zum heiligen Borne zu machen, und legte mich zu dem Ende sauber an. Allein jetzt erst, als ich die Reise antreten wollte, vermisste ich meinen Hut. An seine Wiedererhaltung war nicht zu denken; einen Freund, der mich aus der Verlegenheit hätte reißen können, hatte ich hier nicht; ich musste also meiner Börse ansinnen, mir einen neuen zu verehren. Da ich aber nicht chapeau bas in den Kramladen gehen konnte, so musste ich notwendig einen Vermittler zwischen mir und dem Kaufmann haben, und, um mit irgendeinem dienstbaren Geiste des Badehauses in Rapport zu kommen, die große, sieben Treppen tiefe Reise ins unterste Stockwerk von neuem antreten.

Diesmal gelang indessen dieser Wunsch bald, sowie die Ausführung meines Auftrages sehr rasch ausgerichtet wurde, denn in dem Zeitraume einer Viertelstunde hatte ich für das Doppelte des Preises, den er bei mir kostet, einen stattlichen Hut.

Alles war zwischen mir und dem Ladendiener abgemacht, dieser hatte sich wieder abgeführt, und der neu erstandene Hut war bereits auf meinem Kopfe, um auch seinen ersten Gang zum Brunnen anzutreten, als eine Art von Hausknecht mit zwei Hüten in seiner Hand in mein Zimmer trat und mir anzeigte, dass er vermöge Order den gestern Abend vergessenen Hut zurückbringen, und sich zugleich die gestrige Zeche mit 9 Rtlr. 23 ggr. ausbitten solle.

Ich erschrak nicht wenig, den alten Bekannten zu sehen, den ich gern verleugnet hätte, wenn ich es nur auf eine schickliche Art anzufangen gewusst hätte; allein mir fehlte dazu Mut und Geschick, und ich sagte bloß, ihn stillschweigend anerkennend, etwas einfältig: „Ich bin ja in keinem Wirtshause gewesen, und begreife nicht, woher das Ansinnen einer Zeche? Über den Unfall mit der zerbrochenen Punschschale werde ich mich bei dem gnädigen Fräulein schon zu entschuldigen suchen.“

„Ein Wirtshaus ist unser Haus freilich nicht“, versetzte lakonisch und trocken der Hausknecht, „sondern nur eine stille Wirtschaft ohne Schild und Zeichen, die unsere Madam bloß während der Brunnenmonate hält; aber das ist einerlei, ob Sie das Geld an die Mamsells oder an die Madam bezahlen, denn die müssen es dieser doch wieder geben. Am besten ist es, wenn Sie es mir nur gleich mitgeben; denn Mienchen hat so schon diesen Morgen von der Madam Ohrfeigen bekommen, dass sie Sie im Dunkeln sitzen lassen, und es würde noch ärger über sie hergegangen sein, da sie ihren Namen nicht anzugeben wusste, wenn sich der nicht zum Glücke in ihrem Hute gefunden hätte. Ich bin beinahe halb Pyrmont durchgelaufen und konnte Sie nicht auffragen, bis ich zufällig von meinem Kameraden, der Soldat ist und die Wache gehabt hat, erfuhr, dass Sie dort diese Nacht das Quartier gehabt hätten.

Vor Schrecken und Ärger hätte ich mögen in die Erde sinken, und wurde durch diese Rückerinnerung aus dem Munde dieses Menschen so gebeugt, dass ich ohne weiteren Einwand alles haarklein berichtigte, und von meinem Hutgesandten durch ein Geschenk das Versprechen herauslockte, die Sache nicht weiterzubringen.

„Verlassen Sie sich auf mich“, sagte er, „wir sind an das Schweigen gewöhnt; denn nur dadurch hält sich unsere Kundschaft, die sonst bald ausgehen würde. Wenn Sie wiederkommen, soll ’s Ihnen gewiss auf die Art nicht wieder gehen, ich will denn schon Achtung geben und Schildwache stehen. Für so generöse Herrn läuft man gern durchs Feuer. Auf baldiges Wiedersehen!“, setzte er freundlich hinzu, und führte sich ab.

Ich war froh, als er ging, und ließ die ersten Ausbrüche meiner Wut an meinem verräterischen Hute aus, den ich nun, als den zweiten in meinem Dienste, fluchend in eine Ecke des Zimmers warf.

Keine acht Tage werde ich es bei diesen Stürmen auf meine Kasse hier aushalten, so bin ich kahl, wie eine Kirchenmaus, brummte ich mit mir selbst. „Ich muss schlechthin auf Ersparung sinnen, und da soll es die erste sein, hier keinen Arzt zu Rate zu ziehen. Was bedarf es auch zum Wassertrinken vieler Vorschriften? – Was ich hier trinken soll, hat mir ja schon mein Hausarzt vorgeschrieben, und in Rücksicht des Wieviels kann ich meinem Appetit folgen, der sicher den besten Wegweiser abgeben wird.“

„Ob es gefällig sei, diesen Mittag an der an der Table d’hôte zu speisen“, unterbrach mich fragend der Tafeldecker. Ich bejahete das, und da er sah, dass ich zum Ausgehen fertig war, setzte er hinzu. „Es wird auch hohe Zeit sein, jetzt zum Brunnen zu gehen, denn man fängt hier gern früh an.“ Ich beschleunigte also meine Schritte, und da ich zum ersten Male zu einer Quelle wandelte, so nahm ich mir vor, um ganz sicher und vorsichtig zu Werke zu gehen, mein Benehmen ebenso einzurichten, wie ich es an andern Kurgästen wahrnehmen würde.

Ungefragt schöpfte man, sowie ich an das Geländer trat, das die Quelle umgibt, mir sowohl als auch einem andern Manne, der schon da stand, ein Glas Brunnen, bot es mir dar, und als ich es, bis auf den Boden geleert, zurückgab, wiederholte man das Anerbieten. Jener mochte schon artig getrunken haben, und es ihm widerstehen, das merkte ich daran, dass er sein Glas kaum halb ausleerte, und dann den Rest weggoss. Er griff darauf in die Tasche, gab dem Reichenden ein Stück Geld – das zum wenigsten, wie ich es nur flüchtig bemerkte, ein Gulden sein mochte – und nannte ihm dabei Nummer und Hausherrn seiner Wohnung. Ich folgte seinem Beispiele, opferte auch einen Gulden, und sagte: „Im Badehause – die Nummer habe ich aber vergessen.“

Da ich für meinen Gulden noch lange nicht genug getrunken zu haben glaubte, so ließ ich mir, um für mein Geld doch etwas zu haben, noch mehrere Gläser füllen, bis ich die Unmöglichkeit fühlte, ein mehreres hinunterzubringen. Ich wollte, wie mein Vorgänger getan, mein Glas mit mir nehmen, das durch den Gulden, wie es mir schien, reichlich mitbezahlt war; allein auch das wurde mir wieder abgefordert, und ich empfand es sehr schmerzhaft, dass ich gegen ihn so zurückgesetzt und übervorteilt wurde. Mehrere Trinker, die während meines Genusses ab und zu gingen, tranken nur ein- oder zweimal und bezahlten nichts, woraus ich schloss, dass solches Eingeborne von Pyrmont oder Arme sein müssten, welche die Kur umsonst gebrauchten; denn dass der Mann, den ich mir zufällig zum Muster gewählt hatte, gerade, wie ich nachher erfuhr, zum letzten Male trank, und für die ganze Kurzeit bezahlte, hatte ich nicht ahnen können.

Ich mischte mich nun unter die Menge, die, sowie sie getrunken hatte, jeder sein Glas in der Hand, im bunten Gewimmel die Allee hinunterwandelte, und bei einer Fontäne, die das Ende derselben begrenzte, wieder umwandte, um denselben Weg zurück zu machen. Da sich mir keine Unterhaltung, als die mit mir selbst, darbot, so suchte ich mir auch mein besonderes Vergnügen, und ergetzte mich an dem Springwasser, das die übrigen ganz und gar nicht zu bemerken schienen.

Ich schlich an dem Rande des Bassins herum, um es genauer in Augenschein zu nehmen, und entdeckte mit einem freudigen Schrei einen Regenbogen jenseits der Fontäne. Dies zog einige neugierige Spaziergänger zu mir her, die aber nur mit einem höhnischen Gesichte mein entdecktes Wunder ansahen, und es sehr natürlich fanden, da die Sonne auf das Wasser scheine.

Ihre Meinung hätte ich ihnen ruhig gelassen, aber dass sie die meinige mitleidig zu belächeln schienen, das empörte mich.

Natürlich?“ rief ich aus. Ist an dem
Firmamente,

Als Gnadenreichen, er nicht damals
aufgestellt,

Als nach der Sündflut sich im
alten Testamente

Aus ihrem Untergang erhob die
öde Welt?

Ward nicht durch ihn allein dem
alten Patriarchen,

Der vollet Wasserscheu in seiner
Arche saß,

Der Mut, dass wir voll Weins ihn später
sehen schnarchen,

Und er, dadurch betört, die eigne
Scham vergaß?

Wär’ einer unter uns wohl ohne
jenen Bogen,

Der tausendfarbig prangt am hohen
Himmelszelt,

Mit Sicherheit hieher zu diesem
Quell gezogen,

Den er allein zurück an seinen
Ufern hält?

So fragte ich stolz, im Bewusstsein meiner besseren Kenntnisse, meine Umgebung, und, ersten Buch Moses am neunten, Vers dreizehnten, setzte ich triumphierend hinzu; aber mein Aufruf blieb unbeantwortet.

„Der arme Mann!“, sagte ein anderer, „dem wird der Brunnen schwerlich helfen. Kommen Sie weg“, redete er mich an, „Sie müssen hierher nicht wieder gehen, und überall nicht ans Wasser, das ist verboten. Wo ist Ihr Begleiter? Ich will Sie wieder zu ihm bringen.“

Dass man notwendig einen Begleiter haben müsse, wenn man den Brunnen trinkt, war mir wieder fremd, und ich war schon im Begriff, diesen Mann, der sich für mich so freundlich zu interessieren schien, zu ersuchen, diese Stelle bei mir zu vertreten, als ich plötzlich eine so aufsteigende Bewegung in mir spürte, dass ich mich schnell mit einer kurzen Verbeugung und einem: „Erlauben Sie, meine Herren!“, von der Gesellschaft aus der frequenten Hauptallee entfernte und eine Nebenallee einschlug, die mich zu einem großen Postamente unter hohen Bäumen führte.

Himmel, wie war mir! Nicht anders als ginge die Erde mit mir rund, ich konnte mich nicht aufrecht halten, und setzte mich an dem Postamente nieder.

„Was bedeutet denn dies?“, fragte ich nach einiger Erholung, auf das Monument zeigend, einige Landleute, die dort schon saßen. „Darunter liegt eine Frauensperson, die sich in Erdbeeren tot gegessen hat, weil sie Brunnen darauf getrunken. Das ist so gut wie pures Gift“, setzte der Redner kräftig hinzu, „und sie ist auch plötzlich gestorben.“ – Gift? –

Großer Gott! ich bin vergiftet!
Rief ich, und die Schuld ist mein,
Dieses Denkmahl, ihr gestiftet,
Wird auch mir mein Leichenstein.
Ich, der mit dem Lebenshasse
Qualvoll bange Jahre rang
Fühl’, erhört – was ich nicht fasse –
Wieder neuen Lebensdrang.
Hat denn nicht der Schwermut Leiden
Längst des Hauptes Haar gereift?
Wir auch dies noch, dass beim Scheiden
Jetzt mich Lebenslust ergreift?

Dass das Bild der teueren Meinen
Meiner Phantasie sich zeigt,
Wie sie trostlos um mich weinen,
Tief durch meinen Tod gebeugt;

Dass dies Bild, das fast vergebens
Der entschlossnen Hand gewehrt,
Jetzt am Ziele meines Lebens
Mir den Abschied noch erschwert:

Dass der abgestorbnen Freuden
Lichtstrahl marternd zu mir dringt,
Und mein Geist, um fortzuleiden,
Mit dem neuen Wunsche ringt?

Wohl, ich folge meinen Pflichten,
Welches Schicksal mich auch trifft;
Selbst will ich mich nicht vernichten,
Nein, ich nehme Gegengift!

Taumelnd raffte ich mich auf und lief halb besinnungslos zu dem ersten dem besten Arzte, den ich auffragen konnte. Ich bat ihn um schleuniges Gegengift, und nahm mir kaum Zeit, ihm die Art des Giftes bekannt zu machen, das in meinen Eingeweiden wühlte. Er mochte indessen meine Vorstellung ärger als das Gift selbst halten, daher er erst diese zu berichtigen suchte, und dann mir die tröstende Hoffnung machte, dass eine Dosis Ipecacuanha, die er mir verordnete, sowie ein ruhiges Verhalten auf meinem Zimmer für den heutigen Tag meinem Übel bald abhelfen werde.

„Suchen Sie sich durch angenehme Gesellschaft zu erheitern“, setzte er hinzu, indem er mit Schneckenlangsamkeit für meine galoppierende Besorgnis sein Rezept schrieb.

Aber, großer Gott! wie sollte ich das anfangen, ich, der hier keine Seele kannte? Ich ließ mir keine Zeit, ihm diesen Einwand zu machen, sondern lief selbst mit dem Rezepte zur Apotheke, und von da sporenstreichs in mein Quartier. Niedergebeugt und mit den ängstlichsten Besorgnissen für meine Existenz, verlebte ich diesen Kurtag in stiller Einsamkeit auf meinem Zimmer.

Gegen Abend fühlte ich indessen meine Abspannung gemindert, und erinnerte mich der Vorschrift meines Arztes, mich zu erheitern. Zur besseren Ertragung meiner Leiden versprach ich es mir selbst, mir auf den Abend ein Vergnügen zu machen, und ließ mir zu dem Zweck einige Komödienbillette holen. Mein Plan wurde jedoch vereitelt, und ich musste meinen Vorsatz bis auf den folgenden Tag aussetzen, weil ich mich zum Ausgehen zu schwach fühlte.

Mein Arzt erschien gegen Abend und fand meinen Puls sowie mein Befinden besser als es mir selbst schien. Da er aus den tausend Besorgnissen, die ich ihm äußerte, eine Zerstreuung außerhalb des Orts notwendig finden mochte, so riet er mir, am folgenden Tage den Anfang meiner Kur noch auszusetzen, und stattdessen eine Reise in eine benachbarte Gegend zu machen.

Meinen Einwurf, dass die abominablen Wege in der Nachbarschaft vollends meine angegriffenen inneren Teile zerstören würde, hob er durch den Rat, nach Hameln zu reisen, wo ich bei der jetzigen Demolition der Festung nicht nur manches Interessante sehen, sondern auch mit Wohlgefallen an den trefflichen umliegenden Wesergegenden hängen würde. Ich musste es ihm versprechen, und damit ich nicht wankelmütig werden und meinen Entschluss nicht zurücknehmen möchte, bestellte er selbst mir Pferde, und mit dem Frühesten schon rollte ich tags darauf an der nur noch mit sparsamen Brunnengästen besetzten Allee hinunter, nach Hameln zu.

Das treffliche Wetter begünstigte meine Reise, ich sog die frische Morgenluft des schönen Tages mit Gier ein, und machte mir einen kleinen Plan, wie ich meinen Tag dort hinbringen wollte. Die höchsten Berge der Nachbarschaft sollten erstiegen werden, um die schönen Ufergegenden jenes Flusses zu übersehen und mich an diesen herrlichen Anblicken zu weiden.

„Nur noch diesem Fluss passieren wir, und wir sind nahe vor der Stadt“, rief mein sonst einsilbiger Schwager, und schreckte mich aus den Träumereien auf, denen ich mich bei der langsamen Bewegung des Fuhrwerks überlassen hatte. Ich rieb mir die Augen, schaute um mich her und gab mich den freundlichen Eindrücken hin, welche die treffliche Gegend und die herrlichen Ufer des Flusses auf mich machten.

„Der Zweck dieser Reise ist erreicht!“ sagte ich mir selbst; es war, als wenn mein Atem leichter ginge, als ob mein Puls rascher flöge.

Lebe wohl! Von allem, was ich hier gesehen und genossen habe, schreibe ich dir nach meiner Rückkehr.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meine viertägigen Leiden im Bade zu Pyrmont