Reise von Vallstedt nach Hamburg und Aufenthalt daselbst

Am 5. Mai 1822 reisete ich nebst meiner Frau mit dem Fuhrmann, der uns ein Fuder Sachen bis Harburg zu transportiren gedungen war, von Vallstedt ab. Ein Vallstedter, Namens Christian Glindemann, der nebst vielen Andern recht herzlichen Antheil an meinem Schicksale nahm, begleitete uns bis Peine.

Am 8. Mai kamen wir wohlbehalten in Harburg an, wo wir bis zum 11. uns aufhalten mußten, weil unsere Sachen erst gewogen, gemarkt und in das dortige Kaufhaus niedergelegt wurden, bis ich mit einem nach Amerika segelnden Schiffer würde einen Akkord abgeschlossen haben. In Hamburg kehrten wir in dem ersten besten Wirthshause ein, dann suchte ich ein Privat-Quartier, in welchem wir bis zu unserer Abreise logiren konnten. Am folgenden Tage ging ich mit meinem Wirth zu der dortigen Polizei, zeigte meinen Reisepaß vor und erhielt die Erlaubniß, bis zu meiner Abreise nach Amerika, in Hamburg mich aufhalten zu dürfen. Am folgenden Tage erkundigte ich mich nach einer Schiffsgelegenheit nach den vereinigten Staaten, und fand auf der dortigen Börse und auch an andern Plätzen angeschlagen, „daß Kapitän Arend Fokkes, Befehlshaber des schönen dreimastigen Schiffs Ocean, welches beinahe seine Ladung hätte, am 16. Mai nach Philadelphia absegeln würde.“


Nun eilte ich zum Kapitän Fokkes, akkordirte mit ihm wegen der Überfahrt nach Philadelphia und wurde mit ihm einig, daß ich für mich und meine Frau 140 spanische Thaler zahlen sollte, die eine Hälfte sogleich, die andere aber sobald das Schiff in die Nordsee segeln würde; ich setzte auch sogleich so viel Geld in spanische Thaler um und bezahlte noch an demselben Tage die Hälfte der Fracht. Dann eilte ich, meine Sachen durch einen Schiffer an Bord des Schiffs Ocean bringen zu lassen, und sah jetzt zum erstenmale das Innere eines Schiffs, das nun auf lange Zeit unsere Wohnung seyn sollte; von außen hatte ich es bereits öfters gesehen. Es war eins der besten Schiffe seiner Art, recht zum Schnellsegeln gebaut. Man zeigte mir den Platz im Mitteldeck des Schiffs, wo ich nebst meiner Frau logiren sollte; er war geräumig und schön durch Glaskugeln erleuchtet, welche oben in der Decke befestigt waren, um den Raum zu erhellen. Das Schiff aber hatte, nach meiner Ansicht, seine Ladung kaum zur Hälfte und das Einladen der Waaren war eben nicht von großer Bedeutung, auch hörte ich das Schiffsvolk unter sich davon sprechen, daß die Waaren sehr sparsam ankämen. Doch meinte ich, da die Zeit zum Absegeln öffentlich angeschlagen sey, so würde es auch zur bestimmten Zeit gewiß zum Absegeln kommen.
Bei meinem Wirth wollte es mir länger nicht gefallen; es war dort ziemlich enge und dabei Tag und Nacht sehr unruhig; auch hatte er sehr oft betrunkene Gäste im Hause, wodurch uns der Aufenthalt noch unangenehmer wurde; meine Frau saß beständig im Winkel und weinte und vermehrte dadurch meinen Mißmuth über die fehlgeschlagene Hoffnung, in Gesellschaft mehrer jungen Landsleute nach Amerika zu reisen, wodurch ich meinen Plan, dort mit großem Vortheil den Acker zu bauen, vereitelt sah. Am 16. Mai erwartete ich den Kapitän Fokkes vergebens, der verabredetermaßen in Person kommen wollte, mir die Abfahrt des Schiffs anzuzeigen. Statt der Abfahrt des Ocean wurde wieder eine andere Bekanntmachung angeschlagen, des Inhalts: daß Kapitän Fokkes mit Gewißheit am 26. Mai mit dem schönen Schiff Ocean absegeln würde, weil es beinahe seine Ladung habe. War meine Frau schon vorher unruhig gewesen über die vielen Geldausgaben und wie es mit uns in Zukunft gehen würde, so wurde sie es nun noch weit mehr, und fast unaufhörlich machte sie mir die bittersten Vorwürfe darüber, daß ich sie unglücklich mache, daß ich im Vaterlande hätte bleiben und mich da wohl hätte nähren können u.s.f. Meine eigenen Gefühle über fehlgeschlagene Hoffnungen vermag ich nicht zu beschreiben; doch suchte ich meinen Kummer zu verbergen, um nur meine Frau, so viel wie möglich, zu beruhigen. Am meisten gereuete mir’s, daß ich zu voreilig gewesen war und mich sogleich beim Kapitän Fokkes engagirt hatte, da doch noch andere nach Nordamerika bestimmte Schiffe in Ladung lagen, und am 18. Mai schon ein großes amerikanisches Kauffartheischiff nach New-York abging, mit welchem ich viel vortheilhafter hätte reisen können. Das Alles sowohl als die ungewohnte Luft in Hamburg wirkte auf meine Gesundheit nachtheilig ein, ich fing zu kränkeln an und wurde schwach und elend. Kapitän Fokkes, der bisweilen seine Passagire besuchte, klagte dann darüber, daß die Waaren so sparsam ankämen und bedauerte nur, daß wir so lange vergeblich auf die Abfahrt des Schiffs warten müßten u.s.w. Der 26. Mai erschien wieder ohne die Nachricht, daß wir zu Schiffe kommen sollten und ich hörte und fand auch wiederum angeschlagen, daß Kapitän Fokkes am 6. Juni nach Philadelphia absegeln würde, weil das Schiff Ocean beinahe seine Ladung habe. Als der 6. Juni aber kam, wurde die Abfahrt des Schiffs wieder auf den 16., von da auf den 26. Juni, bis endlich auf den 6. Juli verschoben.

Meine Leiden während des langen unnützen und kostspieligen Aufenthalts in Hamburg waren unbeschreiblich groß und der Zustand meiner Gesundheit wurde immer bedenklicher. Nagend war der Kummer über das Fehlschlagen meiner Entwürfe und Hoffnungen. Sauer und schwer war es uns im Vaterlande seit 20 Jahren geworden, ein kleines Sümmchen mit der größten Sparsamkeit zu erwerben, um im Alter, wenn uns die Kräfte verlassen, und man deßhalb Abschied von seinen bisherigen schweren Geschäften nehmen muß, nicht Noth leiden zu dürfen. Nun aber war schon ein großer Theil der im Vaterlande durch Anstrengung unserer Kräfte, durch eine eingeschränkte Haushaltung und große Entbehrungen erübrigten Sparpfennige durch die Landreise und den kostspieligen Aufenthalt in Hamburg dahin, und doch waren wir erst 20 Meilen von unserer bisherigen Heimath entfernt, und noch immer im lieben deutschen Vaterlande! Gern hätte ich nun in Hamburg oder der Umgegend ein Unternehmen begonnen, wobei ich mein Brot gefunden hätte, aber durfte ich wohl hoffen, daß Kapitän Fokkes auch nur einen Theil des an ihn bereits bezahlten Geldes mir wieder zurückzahlen würde? auch gesellte sich zu meiner Lage eine falsche Schaam; ich scheuete nämlich den Spott meiner Landsleute, die vor meiner Abreise aus Vallstedt schon gesagt hatten: „der wird sich nicht auf das große Wasser wagen! wenn ers nur erst sieht, so kehrt er gewiß wieder um und bleibt auf dem deutschen Boden, u.s.w.“ Zwar hatte ich die Reise über das Meer nie gescheuet; aber in den letzten Wochen meines Aufenthalts in Hamburg war bei der durch Reue, Kummer und schwere Sorgen verursachten Abnahme meiner Gesundheit und Kräfte, noch die nagende Vorstellung erwacht, daß ich während der Reise, oder doch bald nach derselben mit Tode abgehen könne, und meine gute arme Frau alsdann von aller Welt verlassen in jenem fremden Lande unter unbekannten Menschen ihre Tage, vielleicht im größten Elende, unter Seufzen und Klagen über mich, als die Ursache ihres Unglücks, zubringen würde, und diese niederschlagende Vorstellung war keinesweges vermögend, meinen gesunkenen Muth zu beleben.

Bei meinem Abschiede aus Vallstedt, hatte mich ein dortiger Einwohner gebeten, mich seines jüngsten Sohnes, der gern mit nach Amerika reisen wolle, anzunehmen. Er würde es seinem Sohne zur Pflicht machen, daß er mir in allen Stücken gehorchen und folgsam seyn solle, als wenn ich sein Vater sey. Auch erschien der älteste Sohn dieses Mannes, und zeigte mir an, daß er seinem Bruder so viel Geld mitgeben wolle, daß er die Reisekosten bestreiten könne. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß er seiner Militärpflicht ein Genüge geleistet habe, ging ich den Vorschlag unter der Bedingung ein, daß mir dabei nicht zur Last gelegt werden dürfe, als ob ich diesen jungen Menschen verführt hätte, wie das mir schon von Andern fälschlich nachgesagt worden sey u.s.w. Dieser junge Mensch war übrigens einer von denen, die mir schon früher ihren Wunsch mit mir auszuwandern angezeigt hatten.

Etwa in der Mitte der Zeit meines Aufenthalts in Hamburg kam eines Abends ein dortiger Bürger zu mir, gab sich mir als ein geborner Vallstedter zu erkennen und erzählte mir, daß sein Vetter und noch ein anderer Vallstedter mit der Post ihre Sachen geschickt hätten, die er abholen und in sein Haus nehmen solle, bis diese beiden mit mir zu Schiffe gehen würden. Nach wenig Tagen kamen diese beiden jungen Männer zu mir, sie waren beide zwar mit Bewilligung ihrer Eltern, aber ohne Erlaubniß der Obrigkeit und ohne Reisepaß heimlich von Vallstedt entwichen; ich erschrak nicht wenig darüber, weil das Herzogl. Kreisamt sie ja beide bei meinem Abschiede darum hatte arretiren lassen, daß sie nicht mit mir auswandern sollten, sie aber ahneten für sich keine Gefahr, gingen in der Stadt sowohl als außerhalb derselben spazieren, ob ich ihnen gleich warnend sagte, daß sie, wenn sie sich nicht eingezogen hielten, vielleicht arretirt und wieder nach ihrem Vaterlande zurück gebracht werden würden. Wirklich kamen auch nach einigen Tagen die Polizeikundschafter und suchten sie in meinem Quartiere. Sie hatten den Auftrag, diese jungen Leute, die sich ohne Wissen und Willen ihrer Eltern entfernt hätten, aufzusuchen und sie zu arretiren, um sie alsdann wieder nach ihrer Heimath zurückzusenden u.s.w. Den einen von diesen jungen Leuten hatte ein Diener der Polizei eines Abends bei dem Hereingehen in die Stadt getroffen, ihn examinirt und ausgefragt, auch unter andern von ihm herausgebracht, daß er nebst noch einem Andern gewillet sey mit mir nach Amerika zu gehen, daß er bei seinem Vetter, einem Tischler und Möbelnhändler, logire, bis das Schiff abgehen würde ect. Doch dieser Möbelnhändler hatte, wie er mir nachher sagte, dem Polizeidiener ein Stück Geld in die Hand gedrückt und dadurch für das Mal seinen Vetter frei gemacht. Er beherbergte auch noch fortwährend diese beiden jungen Leute oben in seinem Hause, wo er Tischlergesellen (ebenfalls heimlich) in Arbeit hatte, denn er war ein sogenannter Bönhaase, d. h. ein Handwerker, der nicht Meister ist.

Dieser Mann erbot sich auch, mir nebst meiner Frau in seinem geräumigen Hause freie Herberge zu geben, bis ich zu Schiffe gehen würde, weil ich da manche Ersparung machen könne, welches ich auch mit Dank annahm und oben in seinem Hause eine Wohnung bezog. Unser Essen nahmen wir aus einem nahen Speisehause und hatten dasselbe nun auch viel billiger. Aber unser neuer Wirth hatte dieß nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern bloß aus Eigennutz gethan, wie sich bald zeigte; denn kaum war ich bei Ihm eingezogen, so bat er mich, mit ihm nach einem Hause zu gehen, wo er eine Anzahl Wiener Forte-Piano’s stehen hatte, und drang nun ohne Unterlaß in mich, ihm ein Solches Instrument abzukaufen und es mit nach Philadelphia zu nehmen, weil ich dort ungeheuer daran gewinnen könne; man hätte Beispiele, sagte er, daß Reisende dort an einem solchen Instrumente über 500 Rthlr. gewonnen hätten u.s.w. Ob ich gleich dieß Letzte bezweifelte, auch nicht die geringste Neigung hatte, auf eine solche Spekulation einzugehen; so konnte ich doch den Zudringlichkeiten dieses Mannes nicht widerstehen, und ich muß es bei dieser Gelegenheit bekennen, daß es eine meiner größten Schwächen ist, daß ich in solchen Fällen nicht den Preller gehörig und herzhaft genug abweisen kann. Ich ließ mich daher breitschlagen und kaufte ihm ein Wiener Piano-Forte für 150 Thaler ab. Wenigstens hoffte ich, daß ich dieß Instrument doch wenigstens in Amerika ohne Schaden wieder würde verkaufen können, aber ich hatte mich sehr geirrt, denn mit 40 Thlrn. Verlust mußte ich es dort wieder verkaufen.

Die beiden jungen Vallstedter waren nun auch bei Kapitän Fokkes engagirt, und gingen, da man sie in Hamburg nicht für sicher genug hielt, einige Tage frü-her nach Bassenfleeth im Hannoverschen, zu des Schiffers Lootsen ab. Vor dieser ihrer Abreise baten Sie mich beide mit Thränen, mich ihrer auch ferner anzunehmen und schwuren mir dafür noch einmal unverbrüchliche Treue, mich in Amerika nie zu verlassen, sondern dort mein Unternehmen mit allen Kräften zu unterstützen und zu befördern. In der festen Hoffnung, daß diese Leute, die ich wirklich nöthig hatte, wenn ich dort das Geschäft eines Landbebauers mit Vortheil betreiben wollte, erkenntlich und dankbar seyn würden, bezahlte ich dem Schiffer die ihnen noch fehlende Fracht, die gehabten Auslagen ihres Landsmannes und Wirthes und den Betrag ihrer Reise bis Bassenfleeth auf einem Elbschiffe. Dieß geschah etwa 14 Tage vor unserer Abreise aus Hamburg. Wir wurden in der Zwischenzeit noch mit einigen andern jungen Leuten bekannt, die auch mit uns nach Amerika reisen wollten, und uns daher öfters besuchten. Sie hatten aus Furcht vor dem Militärstande ihr Vaterland verlassen; es waren Preußen und Sachsen. Solcher jungen Menschen gab es in Hamburg eine große Menge, die sich dort heimlich aufhielten, und alle die ich sprach, hatten Lust nach Amerika zu reisen, nur fehlte es ihnen an Baarschaften, die Kosten der Reise dahin zu bestreiten und in Hamburg entschließt sich nicht leicht ein Kapitän, solche Leute mit hinüber zu nehmen, wenn sie nicht vorher ihre Fracht bezahlen können.

Etwas war uns zwar in der letzten Zeit wohl leichter ums Herz als im Anfange; aber wenn wir an die vielen Geldausgaben dachten, und daß wir nur wenig oder wohl gar kein baares Geld mit nach Amerika bringen würden, wenn der Aufenthalt in Hamburg noch lange dauern sollte, dann war der Mißmuth wieder desto größer. Endlich kam Kapitän Fokkes und zeigte uns an, daß nun der 6. Juli wirklich der letzte Termin sey, und wir uns anschicken sollten, an diesem Tage zu Schiffe zu gehen. Das Schiff würde den Tag vorher schon nach Kuxhaven segeln, er aber nebst seinen Passagiren am 6. des Nachmittags um 3 Uhr bei Altona ein Blankeneser Schiff besteigen, auf welchem wir nach dem Ocean bei Kuxhaven segeln sollten. Wir besorgten nun das gekauf-te Piano-Forte nebst noch einigen andern Sachen an Bord des Ocean und machten uns reisefertig.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meine Auswanderung nach Amerika im Jahre 1822