Kapitel 5 - Krankheiten und deren Behandlung.

Eine der ersten Ursachen, weshalb die Bevölkerung in Marokko so wenig zunehmend ist, vielmehr stationär bleibt, sind die vielen im Lande herrschenden Krankheiten, und die schlechte und unrationelle Behandlung derselben. Ein Land, dessen Bewohner eben nur "Jenseits-Candidaten" sind, falls es sich um Unglücksfälle handelt, die ihr gewöhnlicher durch die mohammedanische Religion erstickter Geist nicht ergründen kann, das Volk eines solches Land muss zu Grunde gehen. Und in Marokko wird eine jede Krankheit als eine Heimsuchung "Allah's" bezeichnet, und die besten Mittel dagegen sind "Gebetsübungen" und "Amulette."

Von den Lehren der grossen Doctoren, welche einst in Spanien und Marokko gelebt, ist heut zu Tage keine Spur mehr vorhanden. Man müsste ihre Werke herausholen aus den Bibliotheken Fes' oder Uesan's, um nur den Namen derselben zu erfahren.


Kein marokkanischer Arzt, geschweige ein gewöhnlicher Marokkaner weiss, dass Abu-el-Kassem-Calif-ben-Abbes (Albucasis) ihr Landsmann ist, dass er der Erfinder der Lithotomie44 war.

[Fußnote 44: Portal, Histoire de Panatomie et de la chirurgie.]

Der im Dienste des marokkanischen Sultans (Yussuf [Yussuf] ben Taschfin gewesene Arzt Aven-Zoar (Abu-Meruan-ben-Abd-el-Malek-b-Sohr), der es wagte gegen die Vorurtheile seiner Zeit, Chirurgie und Medicin zu vereinigen, welcher zuerst die Idee der Bronchotomie hatte, ist in Marokko verschollen. Weder der ältere noch jüngere (Aven-Zoar's Sohn), der gleichfalls Arzt war, sind auch nur dem Namen nach bekannt. Verschollen ist der noch berühmtere Arzt und Philosoph Averoës (Abu-Uld-Mohammed-ben-Rosch), ein Schüler des älteren Aven-Zoar, welcher unter des Sultans Almansor Regierung nach Marokko berufen wurde und dort starb. Kein Grabstein, kein Andenken solch berühmter Männer ist im Lande zu finden, und wenn die Marokkaner kein Gedächtniss haben für so berühmte Männer, welche einst unter ihnen lebten, wie ist es da zu verwundern, dass auch von anderen minder berühmten jede Spur ausgelöscht ist.

Die heutigen Aerzte von Marokko verdienen in jeder Beziehung die untergeordnete Stellung, die sie einnehmen. Nur dann stehen sie in Ansehen, wenn sie zu gleicher Zeit Tholba, d. h. Schriftgelehrte oder Faki, d. h. Doctoren der Theologie sind. Und noch höher ist ihr Einfluss und ihr Ruf verbreitet, wenn sie zugleich Schürfa, d. h. Abkömmlinge Mohammed's sind. In dieser Eigenschaft liegt zugleich, der Meinung des Marokkaners nach, ärztliche Natur. Und so sieht man denn auch häufig genug Leute zu einem Scherif kommen, um seine Hülfe gegen irgend eine Krankheit zu erflehen, sei es nun, dass diese in einem Gebete oder Segen, in einem Amulet, oder geschriebenen geheimnissvollen Zauberspruche, oder auch in wirklicher medicinischer Substanz besteht.

Solche Leute, die sich nur mit Ausübung innerer Heilkunde beschäftigen, ohne Thaleb, Faki oder Scherif zu sein, giebt es daher sehr wenige in Marokko, eher schon stösst man auf Chirurgen von Profession, die es durch Uebung in irgend einem Zweige der Wundarzneikunde zu einem mehr oder weniger verdienten Rufe gebracht haben.

Meinen grossen ärztlichen Ruf in Marokko verdankte ich denn auch nicht dem Umstände, dass ich Medicin studirt hatte, oder Militärarzt des Sultans, später sogar dessen Leibarzt war, sondern es hatte das seinen Grund darin, dass ich vorher Christ gewesen war. Nach dem Glauben der Mohammedaner ist Jesus der grösste Arzt gewesen, und sie meinen, er habe den Christen eine Menge wunderthätiger Heilmittel hinterlassen. So wurden denn oft zu mir die verzweifeltesten Fälle gebracht. "Der Sohn des Jesus (uld ben Aissa) wird uns schon helfen können," meinten sie. Ebenso giebt es nirgends eigentliche Apotheken oder Pharmacien. Der Arzt bereitet immer selbst seine Arzneien und giebt sie dann dem Kranken. Ist er unbekannt und die erkrankte Persönlichkeit eine einflussreiche, so muss er unabänderlich von der Arznei vorher kosten, oft sogar die Hälfte geniessen. So hatte ich die Unannehmlichkeit, mich eines Tages mit dem Bascha von Fes, Ben-Thaleb purgiren zu müssen. Derselbe hatte ein Abführungsmittel verlangt, ich brachte ihm eine Schale mit aufgelöstem Bittersalz, aber um sicher zu sein nicht vergiftet zu werden, musste ich die Hälfte vor seinen Augen austrinken; vorher davon unterrichtet, hatte ich die Dose stark genug gemacht, um für uns beide eine Wirkung zu erzielen, im entgegengesetzten Falle würde mein Ruf gelitten haben.

Indem wir hier nur die am häufigsten in Marokko vorkommenden Krankheiten vorführen, beginnen wir mit der, welche am verbreitetsten ist, so verallgemeinert, dass heute fast keine Familie in Marokko nördlich vom Atlas existirt, welche von dieser Krankheit unberührt geblieben wäre: Syphilis.

Unter Syphilis verstehen die Marokkaner vom Ulcus syphiliticum an alle jene Krankheiten, welche wir als Syphilis universalis, constitutionelle Syphilis und ihre Producte bezeichnen. Der Marokkaner nennt diese Krankheit "die grosse," Mrd-el-kebir, oder die "Frauenkrankheit," Mrd-el-nssauïn. Einzelne Formen, z.B. das Ulcus syphiliticum nennt er Grah, ohne aber diese, wie andere syphilitische Erscheinungen, z.B. Bubonen, Ulcerationen im Schlunde, Ausschläge herpetischer Art, für Syphilis zu halten; ebensowenig rechnet der Marokkaner zum Mrd-el-kebir die Krankheiten der Harnröhre und Scheide. Also unseren secundären und tertiären Erscheinungen entspricht das Mrd-el- kebir, um so mehr tritt dies heraus, als selbst nicht sichtbare, sondern nur fühlbare Erscheinungen, die nächtlichen Knochenschmerzen (satar) von dem Marokkaner zum Mrd-el-kebir gerechnet werden.

Es giebt in der That fast kein Individuum in Marokko, das sein Leben ohne diese Krankheit zubrächte. Leo45 schon meint, dass nicht der zehnte Theil der Einwohner der Berberei dieser Seuche entgehe. Leo behauptet ferner, diese Krankheit sei ehedem nicht in Afrika bekannt gewesen, selbst nicht dem Namen nach; er sagt: "sie fing dort zu der Zeit, als König Ferdinand (der Katholische) die Juden aus Spanien verjagt hatte, an; viele von denselben waren angesiechet, und das Gift steckte die wollüstigen Mauren, die mit Jüdinnen nach ihrer Ankunft in Afrika zu vertraut umgingen, auch an, und griff nach und nach so um sich, dass wohl keine Familie in der Berberei gefunden wird, die das Uebel nicht gehabt hätte, oder noch hätte. Sie halten es für unleugbar, dass es aus Spanien herkomme, und nennen es folglich auch die spanische Krankheit." Wie dem nun auch sein mag, ob diese Krankheit in Marokko erst nach der Judenvertreibung aus Spanien bekannt wurde, oder schon vorher grassirte, heute ist sie unter dem Namen "spanische Krankheit" in Marokko nicht bekannt. Aber Alle, die in Marokko gewesen sind, constatiren das allgemeine Verkommen. So sagt Jackson in seinem Account p. 190: "they call it the great disease and it had now spread itself into so many varieties, that I am persuaded, there is scarcely a moor in Barbary who has not more or less of the virus in his blood."

[Fußnote 45: Leo Africanus, Uebersetzung von Lorsbach.]

Es giebt wohl keine Form der syphilitischen Krankheit, welche in Marokko unbekannt wäre, und da sie keine gründlichen Heilverfahren dagegen in Anwendung bringen, so wird dies Uebel erblich durch ganze Triben fortgesetzt. Häufig genug hört man ein Individuum sagen, "mein Vater war ganz gesund, und ohne Ursache bin ich vom Mrd-el-kebir befallen," forscht man aber nach, so erfahrt man bald, dass mütterlicherseits oder von grosselterlicher Seite her die Krankheit existirte und bei den Eltern nur latent war oder so schwach auftrat, dass sie nicht beachtet wurde.

Als Mittel gegen den Mrd-el-kebir wenden die Marokkaner mit bestem Erfolg die heissen Schwefelquellen von Ain-Sidi-Yussuf an. Da ich nicht selbst jenes bei Fes gelegene, wahrscheinlich das zu den Römerzeiten schon unter dem Namen Aquae Dacicae bekannte Bad besucht habe, so kann ich weder über die Temperatur noch über die Bestandtheile desselben berichten. Nach den Aussagen der Araber ist aber unzweifelhaft Schwefel Hauptbestandteil und ist das Wasser so heiss, dass darin Badende das Bassin, welches die eigentliche Quelle enthält, nicht betreten können, dort soll das Wasser fast siedend sein. Die Badebassins befinden sich in einiger Entfernung davon, nachdem das Wasser auf Umwegen eine Abkühlung erhalten hat. Die das Wasser Gebrauchenden baden in grossen gemeinschaftlichen Bassins, Frauen von den Männern getrennt.

Eine Kur dauert mit täglichem Baden, wobei mau oft stundenlang im Bassin hockt, so lange bis man geheilt ist, oder die Unwirksamkeit glaubt erprobt zu haben. Jahrelanges Baden ist nichts Seltenes, und weniger als eine dreimonatelange Kur wird wohl nie versucht. Die Marokkaner trinken das nach faulen Eiern riechende Wasser nicht. Man kann sich denken, welche Vollheit immer in Ain-Sidi-Yussuf ist, indess campiren alle Leute, für Badeeinrichtung ist nämlich gar nicht gesorgt und auf einem wöchentlich Einmal abgehaltenen Markte ebendaselbst, werden die Lebensmittel und Vorräthe eingekauft. Eine besondere Diät wird bei der Kur nicht beobachtet, was bei der einfachen marokkanischen Kost auch nicht nothwendig ist.

Vom Gebrauche dieser Bäder habe ich die überraschendsten Erfolge gesehen, manchmal nach kurzem (d.h. nach 5-6monatlichem, täglichem, meist zweimaligem Baden, wobei die Leute behaupteten, jedesmal zwei Stunden im Bade zugebracht zu haben), manchmal nach längerem Gebrauche. Indess ist dies Bad wie alle Schwefelbäder kein specifisches Mittel und nicht nur kamen oft genug Rückfalle, Wiederausbruch der Syphilis vor, sondern sehr oft zeigt sich das Bad vollkommen wirkungslos. Der Marokkaner sagt natürlich nie, dass das Wasser des Bades die Heilung bewirkt: Sidi Yussuf oder dessen Segen bewirken die Genesung.

Mercur wird äusserst selten gebraucht, und fast nur in den Städten. Man kennt dort, wo europäische Apotheken sind, die einfache Mercurialsalbe und macht örtliche Einreibungen. Auch Juden in den Städten des inneren Landes präpariren und verkaufen Ung. mercuriale cinerum. Am häufigsten wird das Quecksilber angewandt, indem man es in seiner wahren Gestalt in eine stark erhitzte Pfanne schüttet und dann die Quecksilberdämpfe einathmet. Aber wenn auch manchmal sowohl von den örtlichen Einreibungen, wie von den Inhalationen Besserung erfolgt, so unterliegen dann aber die Meisten den Folgen der Mercurialvergiftung. Jod und seine Verbindungen sind gänzlich unbekannt. Am gebräuchlichsten ist noch die Sarsaparilla, nicht nur das Decoct der Wurzel, sondern auch diese selbst im pulverisirten Zustande wird genossen. Aber nur Wenige in Marokko sind im Stande, eine durchgreifende Kur mit diesem für dortige Verhältnisse recht kostspieligen Medicament, welches die Portugiesen importiren, machen zu können. Man hält sodann ausserordentlich viel auf Ortsveränderung, Diät und Schwitzen, d.h. Ortsveränderung wird nur insofern gepriesen, als die Leute dabei in heissere Gegenden gehen, meist südlich vom Atlas. Die dann erfolgende grössere Transpiration soll manchmal Heilung bewirken. Entziehung der Nahrung bringt indess nach den Aussagen der Marokkaner nur Stillstand der Krankheit herbei. Jackson erzählt, dass zur Zeit, als er in Agadir war, der dortige Bascha, Namens Hayane, seine schwarzen Soldaten dadurch von der Krankheit heilte, dass er sie schwere Lasten bergauf tragen liess, welches eine mächtige Schweissbildung hervorbrachte. Innerlich giebt man an einigen Orten auch eine Abkochung der Rinde von Coloquinthen (Cucumis colocynthis). Dieses drastische Purgirmittel soll das Gift des Mrd-el-kebir aus dem Körper entfernen, aber nie habe ich gehört, dass es irgend gewirkt hätte.

Ebenfalls giebt man diese Decoction gegen blennorrhoïsche Affectionen, in der Regel aber werden diese durch eine Abkochung von Melonenkernen behandelt, welches unschuldige Mittel innerlich gegeben wird. Injectionen bei dieser Krankheit werden nie angewandt. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass nebenher Amulette und Zaubersprüche hier wie bei allen Krankheiten in Anwendung sind. Kleine Zettelchen mit Koran- oder anderen Sprüchen werden in die Kleidungsstücke oder in kleine lederne Säckchen genäht und diese umgehangen, oder ein solches beschriebenes Papierchen wird in einer Tasse mit Wasser abgewaschen und dies dem Patienten zu trinken gegeben, oder endlich das Amulet selbst wird als Medicin hinabgeschluckt; man denke sich, welche Wirkung es haben muss, wenn der Kranke einen Koran- Spruch gegessen hat.

Fälle von constitutioneller Syphilis, die ich selbst behandelte mittelst Jodkali und Mercur, hatten die überraschendsten Erfolge. Aeusserlich wandte ich die Inunctions-Kur, innerlich Jodkali an, mit 0,5 anfangend, bis zu 3 oder 4 Gr. auf einmal täglich, in Wasser gelöst, gegeben. Aus Mangel an Medicamenten musste ich indess auch bald zu den Amuletten greifen.

Intermittirende Fieber46 kommen in den Niederungen längs der Flüsse, in den sumpfigen Ebenen beständig und zu jeder Jahreszeit vor. Der Marokkaner wird ebenso gut davon befallen wie der Europäer, und das krankhafte Aussehen von Kindern und Frauen der Rharb-Provinzen deuten genug an, dass diese hauptsächlich dieser Krankheit unterliegen. Der Grund liegt darin, dass der Mann durch häufigen Ortswechsel seine Gesundheit leichter wieder herstellen kann. Meist ist das Fieber das gewöhnliche, alle 48 Stunden auftretende, sehr häufig beobachtet man auch Febr. quartanae, und die damit Behafteten werden ihr Fieber fast nie wieder los. Man kennt in Marokko den Segen des Chinin nicht, das erste Mittel, zu dem man greift (ausser den Amuletten und Zaubersprüchen), ist eine starke Purganz, die aber natürlich keine Heilung bewirkt. In den marokkanischen Städten, namentlich in den Hafenstädten, hat man in letzterer Zeit angefangen trotz des hohen Preises Chinin zu kaufen.

[Fußnote 46: Fieber: el Homma.]

Weit verbreitet sind Leberleiden und Gelbsucht47, gegen welche man das Kraut des Kümmel (Cuminum cyminum L.) anwendet, arabisch Schemssuria genannt; als gerühmtes Mittel wird dagegen auch Schih (Art. odorif.) genommen. Häufige Magenbeschwerden, Folgen grosser Unmässigkeiten, die namentlich nach den Festlichkeiten beobachtet werden, und alle die Krankheiten, wie Rheumatismus, Gicht, Kopfschmerz48, halbseitiger Kopfschmerz, der oft beobachtet wird, alle Arten von Entzündungen, versucht man durch äusserliches Bestreichen mit heissem Eisen zu heilen. Gegen Durchfall, Ruhr, Dysenterie wendet man Gummi arabicum, in Substanz gegessen, dann eine Pflanze "Kebbar" (Capparis spinosa) an, deren Holz gestampft und abgekocht wird, endlich auch rohes Opium.

[Fußnote 47: Gelbsucht, Bu-Sfor, d.h. wörtlich: Vater des Gelben.]

[Fußnote 48: Alle diese Krankheiten, welche bei uns mit Schmerz endigen (arabisch udja), drückt der Marokkaner ebenso aus, z.B. Kopfschmerz udja el ras u.s.w.]

Es ist unglaublich, wie besondere Freunde die Marokkaner von der Feuerkur, überhaupt von allen recht schmerzhaften Heilverfahren sind. In Fes giebt es daher auch eigene Special-Feuerärzte. Man sieht sie auf der Hauptstrasse, welche Neu-Fes mit Alt-Fes verbindet, auf dem Boden hocken. Vor sich haben sie einen kleinen eisernen Topf mit einem Rost darin, worauf sich ein gut unterhaltenes Kohlenfeuer befindet. Nebenan steht ein Körbchen mit Holzkohlen, daneben liegt auch ein Ziegenschlauch, der zum Anblasen dient. Ein Kranker erscheint, er hat Nachts ohne Zelt zubringen müssen, es hat geregnet, und Folge davon war, dass er sich einen Hexenschuss geholt. Er präsentirt sich beim berühmten Feuerdoctor Si-Edris, um so berühmter, da er lesen kann, Thaleb ist: ein dicker neben ihm liegender Foliant, einziges Buch, das er besitzt, bezeugt es. Trotzdem Doctor Si-Edris nur das eine Buch besitzt, hat er es, obschon er sechzig Jahre alt ist, noch nicht ganz durchgelesen. Ist es so schwer zu verstehen? Keineswegs! Aber das hat seine Gründe, erstens hat Doctor Edris es im Lesen keineswegs zu einer grossen Fertigkeit gebracht, er verfährt dabei so rasch wie bei uns ein sechs- oder siebenjähriges Kind, sodann ist der Inhalt des Buches, wenn auch für den Mohammedaner sehr gewichtig und zu wissen nothwendig, doch äusserst langweilig. Das Buch enthält nämlich von hinten bis vorn nichts Anderes als die Phrase: "Lah illaha il Allah Mohammed resul ul Lah", oder: "es giebt mir einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter"49.

[Fußnote 49: Als die Spanier die Stadt Tetuan einnahmen, fiel ihnen ein Buch in die Hand, welches von Anfang bis Ende nur die Worte "Gottlob", "Hamd-al-Lahi" enthielt.]

Mittlerweile hat unser Specialarzt mehrere Eisenstäbe, zwei Fuss lang und mit sonderbaren Knöpfen, Haken und anderen Formen am heisszumachenden Ende versehen, in das vor ihm stehende Feuer geschoben. Mit dem Schlauche facht er die Gluth besser an, endlich ist das Eisen weiss. Der Kranke hat sich unterdessen auf den Bauch gelegt, seine Kleidungsstücke in die Höhe schiebend, und die Vorbeigehenden, welche sehen, dass einer "das Feuer bekommen" soll, bilden einen dichten Haufen. Der wichtige Augenblick ist da, der Doctor ergreift ein Eisen und mit dem Ausrufe "Bi ism Allah" macht er bedächtig mit demselben auf dem Rücken und der Kreuzgegend einige Striche, es zischt und ein unangenehmer Geruch von verbrannter Haut zieht den Umstehenden in die Nase. Der Patient zeigt bei dieser Operation, welche Si-Edris mit wundervoller Langsamkeit vornimmt, weil er glaubt zu grosse Eile schade seinem Ansehen, die grösste Ausdauer und Standhaftigkeit, er beisst die Zähne zusammen und allein die stark ausbrechenden Schweisstropfen verrathen seinen Schmerz.

Wie vernichtet bleibt er nach beendeter Operation eine Zeit lang auf dem Boden liegen, aber keine Klage berührt das Ohr der Umstehenden, die den Rosenkranz durch die Finger laufen lassen und mit den Lippen Gott und Mohammed preisen. Aber was geschieht? Der Patient, der wohlhabend sein muss, dreht seinen Kopf: "Si-Edris, Si-Edris," ruft er.—"Malk, was willst du?" ist die kurze Antwort des berühmten Arztes.—"Masal-en-nar, noch ein Feuer!—" "Mlech attini haki, gut, gieb mir mein Honorar",50 erwiedert der Doctor. Unter Seufzen und Aechzen holt der Kranke aus irgend einer Falte eines Kleides eine Mosona (ungefähr einen viertel Groschen), reicht sie dem Doctor und die Feuerkur beginnt aufs Neue. Si-Edris lässt sich wie alle marokkanischen Aerzte immer im Voraus sein Honorar zahlen; sein grosser Ruf hat ihn übrigens übermüthig gemacht, er lässt nicht mit sich dingen. Während alle anderen Aerzte und auch die Feuerdoctoren, immer mit sich handeln lassen, thut dies Si-Edris nicht, von dem festen Preise: für ein einmaliges Feuer eine Mosona zu nehmen, ist er seit Jahren nicht herabgekommen.

[Fußnote 50: Wörtlich: gieb mir mein Recht.]

Der grosse Ruf, dessen sich als Heilmittel in Marokko das Feuer erfreut, liegt eben darin, dass in vielen Fällen recht gute Erfolge erzielt werden.

Aber welche Revolution brachte ich unter Fes' Aerzte, als sich auf ein Mal das Gerücht verbreitete, ich habe "en-nar-bird" kaltes Feuer und der Segen des kalten Feuers sei bedeutend grösser. Ich fürchtete, da, alle Patienten zu mir kamen, um sich mit kaltem Feuer51 brennen zu lassen, dass meine Collegen irgend etwas gegen mich unternehmen würden, und obschon ich noch Vorrath von Höllenstein hatte, gab ich vor, das kalte Feuer sei zu Ende, und schickte von da an alle Kranke, die sich brennen lassen wollten, zu meinen würdigen Collegen.

[Fußnote 51: Lapis infernalis.]

Ebenso erzielte ich später mit spanischem Fliegenpflaster wenn nicht Erfolge, so doch das grösste Renommé. Der Marokkaner liebt es sich selbst zu quälen mit starken Mitteln, und wenn ein Zugpflaster nach vierundzwanzigstündigem Liegen auf dem Rücken, auf dem Bauche oder auf dem Kopfe (der Marokkaner trägt den Kopf ganz glatt rasirt) eine mächtige mit Wasser gefüllte Blase bildete, war er zufrieden, einerlei ob er geheilt war oder nicht. Merkwürdig genug, obschon überall in Marokko die spanische Fliege52 käuflich zu haben ist, so kennt der Marokkaner die guten medicinischen Eigenschaften derselben nicht. Sie dient nur dazu Begierden anzustacheln, indem Cantharidenpulver mit anderen Gewürzen und Haschisch durch Honig oder Zucker zu einer Paste verbunden wird, Madjun genannt, welche sie angeblich gegen Impotenz einnehmen oder auch um die Potenz zu erhöhen. Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, welch' entsetzliche Folgen oft aus dem Genuss dieses Madjun entspringen.

[Fußnote 52: In den sumpfigen Niederungen von L'Areisch kommt die spanische Fliege häufig vor.]

Lungenkrankheiten, namentlich Tuberculose sind in Marokko fast ganz unbekannt, leichtere Affectionen dieser Art werden nur durch Amulette geheilt, d.h. man lässt die Natur walten.

Ein allgemeines Uebel ist noch Wassersucht in ihren verschiedenen Vorkommnissen. Die Ursache dazu liegt wohl zum Theil in der mangelhaften Kleidung, wo bei plötzlich eintretender Kälte oder schnell wechselnder Witterung, die Hautausdünstungen nicht mehr regelrecht vor sich gehen können und Unterdrückung des Schweisses stattfindet. Zum Theil ist, und dies gilt namentlich von den Städtern, durch die vielen heissen Bäder die Haut äusserst empfindlich geworden. Syphilitische Einflüsse mögen zur Häufigkeit der Hydropsie auch noch mit beitragen. Viele Eingeborene schreiben auch einer bestimmten Oertlichkeit und deren Trinkwasser die Ursache zu; so steht das Trinkwasser von Tanger im Rufe, Wassersucht zu erzeugen, ob mit Recht, lasse ich dahin gestellt sein. Vernünftig genug wendet man in diesem Falle Purgantien an, ohne indess allein mit diesen eine Heilung herbeiführen zu können. Diuretica sind nicht gebräuchlich. Ebensowenig ist die Paracentese bekannt.

Eine Abzapfung, die ich in Tafilet bei einer alten Frau mit einer gewöhnlichen Schusterahle und eigends dazu angefertigten Cannule aus Blech machte, hatte den besten Erfolg: mehrere Moschee-Eimer Flüssigkeit würden abgezapft, und ich galt als der erste Arzt der Welt. Als ich ein Jahr später den Ort wieder besuchte, hatte indess eine neue Wasseransammlung die Frau getödtet. Da die Einwohner aber nur Gedächtniss für den augenblicklichen, für sie überraschenden Erfolg bewahrt zu haben schienen, so war ich dort nach wie vor als ein wahrer Wunderdoctor von Kranken aller Art überlaufen, so dass ich wirklich froh war, als ich dem Orte für immer Lebewohl sagen konnte.

Die levantische Pest, die in früherer Zeit oft genug in Marokko auftrat, wahrscheinlich eingeschleppt durch die Mekka-Pilger, und welche der Marokkaner mit dem bezeichnenden Worte "er ist befallen", oder "davon betroffen" "medrub" ausdrückt, scheint jetzt seit Langem nicht mehr beobachtet worden zu sein. Die letzte bedeutende durchs ganze Land verbreitete Pest war im Jahre 1799, im April dieses Jahres starben daran zuerst Leute in Fes und die Krankheit soll derart gewüthet haben, dass allein in dieser Stadt 65000(?) Menschen, wenn man Jackson trauen darf, gestorben sind. Wenn aber eine solche Seuche auftritt, erniedrigt sich der dünkelhafte Mohammedaner soweit, dass er demüthig den "Rabiner" bittet, in den Medressen der Juden öffentliche Gebete zum Aufhören der Krankheit abzuhalten, und gemeinsam durchziehen Mohammedaner und Juden die Strassen, um Gott und die Heiligen um Schonung zu bitten. Der Jude muss hinterher allerdings büssen, der glaubensstolze Mohammedaner erinnert sich, dass er sich so weit erniedrigte, mit Juden gemeinschaftliche Sache gemacht zu haben, und wehe dem Juden, der sich dann unter Mohammedaner wagt. Mittel sind keine in Gebrauch, man kennt nur das resignirte Sichdreingeben.

Merkwürdigerweise kommt Typhus nur selten und an bestimmte Oertlichkeiten gebunden, Hundswuth aber nie vor. Typhus, Ruhr, Dysenterien, die der Marokkaner kaum von einander unterscheidet, werden stets mit Olivenöl, innerlich getrunken, behandelt. Fehlt das Oel, so wird es durch ungesalzene flüssige Butter ersetzt. Man zwingt den Kranken, Oel hinabzutrinken bis zu zwei Flaschen des Tags. Wirklich habe ich nach diesem Mittel manchmal Heilung eintreten sehen; wage aber nicht zu sagen, ob es die Natur oder das Oel waren, welche Heilung bewerkstelligt hatten.

Dass die Hundswuth bei den Hunden in Marokko noch nie beobachtet worden, ist wieder eine Bestätigung, dass rohes Fleisch fressende Hunde nicht spontan von dieser Krankheit befallen werden.

In neuerer Zeit ist mehrfach Cholera in Marokko beobachtet worden, so noch im Jahre 1860, wo sie in verschiedenen Städten des Innern zahlreiche Opfer forderte. Der Marokkaner hat keinen Namen für diese Krankheit und man sagte mir, es sei eine Art vom medrub (Pest). Man begnügt sich damit, sobald man von der Krankheit befallen ist, zu sagen: "Gott ist der Grösste" oder "es stand geschrieben".

Gemüths- und Geisteskrankheiten kommen in Marokko selten vor: im ganzen Lande ist nur ein Gebäude, um Tobsüchtige aufzunehmen. Leichte Fälle von Gemüthskranken lässt man frei umherlaufen, sie werden als Heilige verehrt. Und die Tobsüchtigen, d.h. solche, welche ihre Mitmenschen schädigen, werden, sind sie in oder in der Nähe der Hauptstadt in ein eigenes Gebäude in Fes eingesperrt, von einer medicinischen Behandlung ist aber nicht die Rede; das Haus ist weiter nichts als ein Gefängniss für jene Unglücklichen.

Die durchnarbten Gesichter der Marokkaner allein geben hinlänglich Zeugniss, wie mächtig in diesem Lande zu Zeiten die Blattern (Djidri genannt) herrschen. Für diese hat man nur Amulette in Gebrauch.

Prophylaktisch übrigens kennen die Marokkaner die Kuhpockenimpfung, welche Heilart, wie die Marokkaner behaupten, ihre arabischen Vorfahren schon von ihrer Heimathsinsel mit hergebracht haben. Die Vaccination wird leider in Marokko gar nicht regelmässig vorgenommen, der Mohammedaner ist viel zu sehr Fatalist, als dass er, ohne dazu gezwungen zu sein, aus freiem Antriebe zu einem solchen Schutzmittel greifen sollte. In den arabischen Triben, wo man vaccinirt, wird folgendes Verfahren angewandt: Mit einer geschärften Kante eines Feuersteins werden die Zwischenräume der Finger an deren Wurzeln geritzt, gewöhnlich nimmt man nur die rechte Hand, weil die linke an und für sich als unrein gilt. Die Lymphe wird direct von der Kuh genommen, und man hat Acht, dieselbe wohl einzureiben. Uebertragen der Lymphe von dem Menschen auf den Menschen kennt man nicht.

Wie in früheren Jahren die Pest öfter in Marokko und zwar bedeutend allgemeiner auftrat, so auch der Aussatz. Lepra orientalis, bekannt in Marokko unter dem Namen Djidam, kommt in den nördlichen Theilen von Marokko fast gar nicht vor. Allerdings begegnet man in Fes, Mikenes und anderen nördlichen Städten Leuten mit Elephantiasis; ob aber diese Krankheit immer Folge des Aussatzes ist, wage ich nicht zu behaupten. Die mit Elephantiasis Behafteten leben überdies nicht abgesondert von der übrigen Menschheit, sondern verheirathen sich mit Gesunden. Meistens aber wird dann beobachtet, dass von den Kindern einer solchen Ehe, eines oder das andere angeborene Elephantiasis besitzt.

Die Leprösen dürfen aber nur unter sich heirathen, sie dürfen keine Stadt bewohnen, sondern müssen sich immer im Freien aufhalten.53 Da Niemand etwas von ihnen kaufen würde, treiben sie kein Handwerk oder Gewerbe, sie leben von den Almosen ihrer Mitmenschen. Man findet sie einzeln oder in Familien am Wege, schon von Weitem rufen sie dem Vorbeikommenden "Medjdum", d.h. ein mit Aussatz Behafteter, zu, stellen ein Tellerchen an den Weg und das Almosen in Geld oder in Lebensmitteln wird hinein geworfen. Einzelne grössere aussätzige Familien besitzen sogar Heerden und ackern.

[Fußnote 53: Bei der Stadt Marokko ist ein eigenes Dorf für Aussätzige und die Insassen dieses Dorfes heirathen freilich nur unter sich, im Verkehr haben sie übrigens die grösste Freiheit mit den übrigen Bewohnern.]

Was das Aeussere dieser ausgestossenen Menschen anbetrifft, so zeigen sie manchmal über den ganzen Körper die widerlichsten weissen Flecke, anderen fehlen einige Partien, die Nase, die Ohren, Augen, noch andere zeigen Jauchen absondernde Wunden, von wulstiger und verdickter Haut umgeben, Krusten und hart anzufühlende Beulen bedecken oft den ganzen Körper. Oft aber ist bei einem Aussätzigen von alle dem nichts zu sehen, man bemerkt keine einzige der angegebenen Erscheinungen, er hat äusserlich vollkommen das Aussehen eines gesunden Menschen.

Nach der Meinung der Marokkaner verursacht der Genuss des Arganöls (Oel vom Baume des Elaeodendron Argan, der auf den westlichen Abhängen des grossen Atlas wächst) diese Krankheit oder begünstigt dieselbe. Ob dies der Fall ist, wage ich nicht zu bestätigen. Die in Mogador und Asfi lebenden Europäer haben nichts von einer solchen Wirkung dieses Oels gemerkt; und was dagegen spricht, ist das, dass in der Provinz Abda und Schiadma, wo doch hauptsächlich der Arganbaum wächst, gar keine Lepröse anzutreffen sind, während andererseits in Haha, wo ebenfalls der Argan vorkommt, die meisten Aussätzigen anzutreffen sind. Auffallend ist, dass die Kranken als Linderung ihrer Schmerzen innerlich einen Absud der Arganblätter nehmen, und auch äusserlich auf offene Wunden zerstampfte Arganblätter legen. Ein Teig aus Henne-Blättern54 mit Erde gemischt wird ebenfalls zu Verband bei den offenen Geschwüren gebraucht.

[Fußnote 54: Lawsonia inermis, L.]

Krätze kommt überall vor, aber weniger, als man bei dem entsetzlichen Schmutze, an dem diese Völker Gefallen finden, denken sollte. Aus Krätze wird nicht viel Wesen gemacht, und Heilung wird erzielt durch kräftige Einreibung von brauner Schmierseife und Sand; Schmierseife wird überall in Marokko fabricirt, zu halben Theilen von beiden eingerieben, habe ich selbst Heilung bei verschiedenen Fällen erfolgen sehen.

Eine ungleich widerlichere Krankheit und äusserst verbreitet ist der Kopfgrind. Meistens sind die Knaben damit behaftet, im Alter von zwanzig Jahren verliert er sich von selbst. Ob die Tinea in Marokko Folge des Rasirens ist (jeder männliche Marokkaner trägt den Kopf von frühester Jugend an, rasirt), ist wohl anzunehmen. Der Reiz, der dadurch entsteht bei ganz jungen Kindern, monatlich und noch öfter mit halbscharfem Messer die Haare dicht über der Wurzel zu entfernen, oft abzureissen, kann wohl Veranlassung zu einer solchen Krankheit geben. Bei den Mädchen beobachtet man Grind sehr selten. Man braucht gegen diese Krankheit gar nichts, und sie ist so allgemein, dass Niemand in der Gesellschaft eines Grindigen Abscheu oder Ekel empfindet. Nach dem zwanzigsten Jahre sind die Meisten der Mühe, ihren Kopf zu rasiren, überhoben, da die Krankheit im Kindesalter sie ihrer sämmtlichen Haare beraubt hat.

Von Parasiten kommen nur Kopf- und Kleiderläuse vor, beide haften an jeder Frau, während die männliche Bevölkerung nur den Pediculus vestimenti55 cultivirt, da sie in der Regel kein Kopfhaar hat, diejenige männliche Jugend indess, welche einen Zopf trägt, hat auch Kopfläuse. Der Pedic. pubis ist nirgends anzutreffen, weil sich Alle, sowohl die männliche als die weibliche Bevölkerung, diejenigen Partien des Körpers, wo derselbe vorzukommen pflegt, rasirt erhalten.

[Fußnote 55: Von dem Pedic. vestimenti existiren in Marokko mehrere Arten.]

Wurmkrankheiten sind selbstverständlich auch im Lande. Obschon die Lebensweise und Nahrung sehr förderlich für diese Entozoen sein muss, hört man doch selten darüber klagen. Spul- und Madenwürmer, eine häufige Erscheinung, werden behandelt durch eine Abkochung von Sater (Thymian56) und Kelil (Rosmarin57), denen noch andere starkduftende Kräuter zugesetzt werden. Aber auch durch eine Decoction der Wurzel der Rtemwurzel (Genista Saharae). Genannte beide bilden indess Hauptbestandteile. Taenia Solium, der auch vorkommt, wird (nach den Aussagen der marokkanischen Collegen) erfolgreich derart behandelt, dass man zuerst eine Portion Haschisch (Cannabis ind.) geniesst und später, wenn der Wurm berauscht ist, ihn durch irgend ein Purgirmittel abtreibt. Als Dose wurde angegeben ein Esslöffel voll pulverisirten und gedorrten Haschichkrautes [Haschischkrautes] 58, und als Abführungsmittel haben sie eine Zusammensetzung aus Sennesblättern (wächst wild im südlichen Marokko), Schwefel und Aloës, welches innerlich gegeben wird. Der Guineawurm kommt äusserst selten vor, und dann nur von Schwarzen aus dem Süden eingeschleppt. Die Behandlung desselben, sowie sie von den Schwarzen in Centralafrika practicirt wird, ist in Marokko nicht bekannt.

[Fußnote 56: Thymus hyrtus, Willd.]

[Fußnote 57: Rosmarinus offic.]

[Fußnote 58: Allerdings eine starke Dosis.]

Nicht nur der ungeheure Schmutz, in dem sich alle nordafrikanischen Völker gefallen, sondern auch Oertlichkeiten und Klima haben Augenkrankheiten von je her in Marokko begünstigt. Und je mehr man nach dem Süden kommt, desto häufiger werden dieselben, bis man in den Oasen der grossen Sahara die Bevölkerung derart von Augenleiden aller Art afficirt findet, dass ein Individuum mit beiden gesunden Augen schon zu Ausnahmen gehört. Wie der Staub auch sein mag, ob ihn der Gebli oder Samum aufwirbelt, ob er im Norden mehr mit animalischen oder vegetabilischen Atomen, im Süden des Atlas mit anorganischen, mikroskopisch kleinen Theilen geschwängert ist, immer wirkt er gleich schädlich auf die Augen.

Es hat dies zur Folge, dass Hornhautkrankheiten alltägliche Erscheinungen sind. Chronische Hornhautentzündung nennt der Marokkaner Bu Tillis, d.h. den Vater des Schleiers. Manchmal heilen sie derartige Fälle im Entstehen dadurch, dass sie Feuer im Nacken, an den Schläfen, hinter den Ohren örtlich anwenden. Meist aber enden alle Augenkrankheiten mit Erblinden. Citronensaft und Wasser gemischt und in die Augen getröpfelt, wird häufig genug angewandt. Auch Antimon (Kohöl) ist in vielen Gegenden Gebrauch; es wird dies im Atlas gefundene Metall, dessen sich alle Frauen nicht nur Marokko's, sondern ganz Nordafrika's als Schönheitsmittel bedienen, und das auch unsere Theaterdamen, um den Glanz der Augen zu erhöhen, anwenden, oft mit Erfolg gebraucht. Man bestreicht mit Kohöl die Augenlider, mittelst eines feinen Holzspatels und unzweifelhaft hat dies Mittel gute Präservativeigenschaften bei dort herrschenden Augenkrankheiten. Als Arzneimittel wird es deshalb auch vielfach von den Männern gebraucht. Die Wirksamkeit des Spiesglanzes als Präservativmittel erhellt schon daraus, dass bei weitem mehr Männer von Augenkrankheiten betroffen werden als Frauen. Als äusserstes Mittel gegen Augenkrankheiten59 führe ich noch an, dass in einigen Orten pulverisirter Pfeffer in die Augen geblasen wird.

[Fußnote 59: Ich bediene mich dieses allgemeinen Ausdrucks, da der Marokkaner nicht unterscheidet, ob die Hornhaut, die Lider, der Augapfel, die Liderhaut etc. erkrankt ist, sondern alles dies Augenkrankheit, Mrd-el- aiun, nennt.]

Von inneren Mitteln gegen Augenkrankheiten ist natürlich keine Spur vorhanden, als ich einige Male versuchte durch Calomel, innerlich gegeben, oder durch Purgantien Ableitungen herbeizuführen, wurde mir ernstlich gesagt, mit solchen Mitteln aufzuhören: "nicht der Bauch sei erkrankt, sondern die Augen".

Schwarzer und grauer Staar sind unter einer Bevölkerung, bei der fast jedes Individuum augenkrank ist, nichts Seltenes, und merkwürdig genug, giebt es in Marokko einige Familien, die sich damit beschäftigen, Staaroperationen und zwar mit Erfolg auszuüben. Diese Familien sind vorzugsweise auf dem grossen Atlas ansässig, die Fähigkeit den Staar zu stechen geht vom Vater auf den Sohn über, der natürlich bei jenem in die Lehre geht. Die beiden Doctoren-Staarstecher, die ich kennen lernte, waren Berber ihrer Abkunft nach. Ohne sich mit anderen Krankheiten zu beschäftigen, verschmähten sie es sogar, andere Augenkrankheiten als Staarerblindungen in Behandlung zu nehmen. Sie machten für dortige Verhältnisse gute Geschäfte und man würde sie wirklich als gute Specialärzte haben hinstellen können, wenn sie die Fähigkeit gehabt hätten, irgend wie eine Diagnose zu stellen, geschweige von einer Prognose zu reden. Aber da kam es oft genug vor, dass irgend eine andere Krankheit der inneren Theile des Auges, wohl gar Gutta serena mit Gutta opaca verwechselt wurde. Da ich nicht selbst der Operation eines Staares beigewohnt habe, so kann ich nur anführen, dass mittelst eines glattgeschliffenen nadelförmigen Instruments der Einstich, nach Aussage der Staardoctoren, seitwärts gemacht wird, dass nach der Beschreibung sodann die Linse zerstückelt wird, um später resorbirt zu werden. Eine Extraction oder Depression der Linse war offenbar diesen Leuten nicht bekannt.

Sehen wir, wenn es auf eine chirurgische Operation ankommt, wie bei der Staarstechung, die Heilkunde auf einer bedeutend höheren Stufe als bei inneren Krankheiten, so ist das im Allgemeinen in der Chirurgie auch der Fall. Es ist dies auch ganz natürlich. Bei Verwundungen, bei äusseren Verletzungen kennt auch der gewöhnliche Mensch gemeiniglich die Ursache, er kann es dann bedeutend leichter unternehmen, eine Heilung zu versuchen. Und nicht nur in ganz uncivilisirten Ländern, oder in halbcivilisirten wie Marokko, auch in den am weitesten in der Cultur vorgeschrittenen findet man, dass die Chirurgie auf einer höheren Stufe steht als die Heilkunde innerer Krankheiten.

Reine Hiebwunden, die durch das fast überall geübte Faustrecht so häufig unter den Bewohnern Marokko's vorkommen, werden entweder mit einem Teig verbunden, der aus Henne (Lawsonia inermis) und Chobis (Malva parviflora) geknetet wird, oder man verbindet die Wunden mit geschmolzener salzloser Butter, in welche vorher, sobald die Butter siedend ist, ein Säckchen mit Schih (Artemisia odorif.) getaucht worden ist. Hierdurch bekommt die Butter einen starken aromatischen Gehalt, nimmt einen fast Kölnischem Wasser gleichenden Geruch an, der später selbst nicht vom übelstriechenden Eiter verdrängt wird. Wunden auf diese Art behandelt, nehmen fast immer einen guten Verlauf. In vielen Gegenden verbindet man die Wunden mit Rinderkoth, namentlich nomadisirende Stämme glauben an die Heilkraft der verdauten Kräuter.

Verwundungen, welche die Knochen verletzen, einerlei ob sie durch Kugeln oder Hiebwunden herrühren, werden auf gleiche Art rationell behandelt. Ist eine vollkommene Knochenzerschmetterung vorhanden, so wird ein fester Verband angelegt, um die Heilung der zerschmetterten Knochen mittels Callusbildung herbeizuführen. Man kümmert sich nicht um Herausziehen der Knochensplitter oder Kugelstücken60, so schnell wie möglich wird der Verband angelegt. Eine aus Ziegen- oder Schafleder bestehende Binde, die ihren Halt durch kleine Rohrstäbchen, die hineingenäht werden, bekommt, wird um die verletzten Theile gelegt und das Ganze dann mit Thon umkleistert. Ein solcher Verband soll nach den Regeln der dortigen Chirurgie 28 Tage liegen bleiben. Das einzige Misslingen bei diesem Verbande liegt darin, dass nicht gehörig für Eiterabfluss gesorgt wird, und dadurch für den Patienten oft missliche Zustände eintreten.

[Fußnote 60: Man ladet meistens mit zerhacktem Blei.]

Fracturen werden ebenfalls durch festen Verband geheilt, ohne dass man aber vorher einrichtet. Natürlich werden dabei meist schiefe Heilungen erzielt, und oftmals sieht man Röhrenknochen die Weichtheile durchbohren, und es entstehen dann für immer offene Wunden. Nie fällt es ein irgend wie zu amputiren. Der Marokkaner hält das für sündhaft. Die durch die Gerechtigkeit abgehauenen Hände oder Füsse werden sorgfältig vergraben, weil sie sonst am Auferstehungstage fehlen könnten, und die Stümpfe werden in siedende Butter oder kochendes Oel getaucht, um die Blutung zu stillen. Verrenkungen einrichten kennt man nicht, so dass gewöhnliche Folge eine schmerzhafte Entzündung mit oft bösem Ausgang ist. Natürlich ist selbst bei schwersten Verwundungen von einer inneren Behandlung nie die Rede, aber Amulette, Zaubersprüche u. dergl. m. sind auch hier an der Tagesordnung.

Was die Geburtshülfe anbetrifft, so ist es schwer darüber nur das Geringste anzugeben, da nur Frauen als Beistand geduldet werden. Die Wendung sowie die Zange sind unbekannt, einzelne Praktiken, die mir erzählt wurden, sind zu abgeschmackt, als dass ich sie hier wiedergeben sollte. Nur so viel kann ich bezeugen, dass einst meine Hauswirthin in einer kleinen Oase der Wüste, Nachts mit einem Kinde niederkam und am andern Morgen trotzdem ihre gewöhnliche Beschäftigung verrichtete.