Kapitel 20 - Wenn mir die Frage gestellt würde: bei welchen Männern und Frauen hast du ...

Kapitel 20 - Wenn mir die Frage gestellt würde: bei welchen Männern und Frauen hast du am meisten Verständnis, Ermunterung, Echo und Anhängerschaft gefunden, so müsste ich antworten: bei jüdischen Männern und Frauen.

Wenn man an irgendeinen Dichter oder Künstler nichtjüdischen Ursprungs dieselbe Frage richten würde, so müsste, in der Mehrzahl der Fälle, dieselbe Antwort erfolgen. Ich habe die Probe gemacht; ich habe mich bei vielen Leuten von Rang erkundigt; meine Vermutung, die schon halbe Gewissheit ohnehin war, ist jedesmal bestätigt worden. Und wer die Lebensläufe der Neuerer und Schöpfer des neunzehnten Jahrhunderts erforscht, sei es in Briefen, in gelegentlichen, freilich oft sehr versteckten Äußerungen, sei es im Urteil, nämlich im erstgeborenen Urteil der Zeitgenossen, oder in den Formern und Trägern der öffentlichen Meinung, wird es auch dort bestätigt finden. Juden waren Entdecker, Empfänger, Verkündiger, Biographen, waren und sind die Karyatiden fast jeden großen Ruhms.


In meinem persönlichen Fall gibt es allerdings eine Erschwernis und eine recht eigentümliche. Der gebildete Jude kann sich kaum entschließen, an die schöpferische Fähigkeit eines Juden zu glauben. Mit abnehmendem Grad der Bildung wird daraus die unverhohlene zynische Skepsis. Hier liegt wahrscheinlich ein Atavismus zugrunde, die vom Zeitengedächtnis aufbewahrte Gewöhnung des Dichtbeieinander von Haus und Mensch; Verkettetsein und Zueinanderverurteiltsein; ein rohes Ichkennedich äußert sich so, du machst mir nichts vor, ich weiß zu viel von dir, ich verstehe mich auch auf die Handgriffe; es ist, als begegneten sich zwei Gaukler. Doch spüre ich auch einen profunden Demokratismus darin, der Jahrtausende zurückweist auf die natürliche Gleichheit bei Nomadenvölkern, wo keiner sich über den andern erhebt. Die Juden tragen gegen ihre großen Männer stets ein unausgesprochenes Gebot: du sollst dich nicht über uns erheben, denn vor Gott sind wir alle gleich.

Nun hat sich das bildende, gestaltenbildende Element bei den Juden niemals frei entfalten können; die wahrhaft schöpferische Gabe ist verhältnismäßig sehr selten. Manche leugnen sie überhaupt; sie würden kein Beispiel gelten lassen, auch wenn man sich zuvor über den Begriff des Schöpferischen mit ihnen einigte. Die Sehnsucht nach dem Schöpferischen steckt aber in den Juden tiefer als in jeder andern Menschengattung; Sehnsucht nach dem Schöpfer: sie erklärt sich aus dem jüdischen Gottesgefühl, aus der Gottesfurcht sozusagen, und es wäre zu untersuchen, wie und inwiefern Furcht und Sehnsucht gepaart ist oder Sehnsucht die Furcht bedingt.

In zahlreichen Ab- und Zwischenarten sah ich Sehnsucht sich verkünden, verlarvt und verkleidet oft; lächerlich oft und bizarr; lügenhaft und selbsterniedrigend. Ich kenne, kannte viele, die vor Sehnsucht nach dem blonden und blauäugigen Menschen vergingen. Sie betteten sich ihm zu Füßen, sie schwangen Räucherfässer vor ihm, sie glaubten ihm aufs Wort, jedes Zucken seiner Lider war heroisch, und wenn er von seiner Erde sprach, wenn er sich als Arier auf die Brust schlug, stimmten sie ein hysterisches Triumphgeschrei an.

Sie wollen nicht sie selbst sein; sie wollen der andere sein; haben sie ihn auserlesen, so sind sie mit ihm auserlesen, scheint es ihnen, oder wenigstens als Bemakelte vergessen, als Minderwertige verhüllt. Bis vor kurzem bemerkte ich sie in allen Theaterfoyers, so selten ich auch in Theater ging, und in allen Konzertsälen. Ich weiß nicht, ob sie noch dort sind.

Eine ergötzliche Figur war mir ein junger Wiener Jude, elegant, von gedämpftem Ehrgeiz, ein wenig melancholisch, ein wenig Künstler, ein wenig Schwindler; den hatte die Vorsehung selbst blond und blauäugig geschaffen, aber siehe da, er glaubte nicht an seine Blondheit und Blauäugigkeit; er hielt sie im Innersten für gefälscht, und da er in beständiger Angst lebte, auch andere könnten an der Echtheit zweifeln, ging er über das deutsche Ideal noch einen Schritt hinaus und wurde Anglomane, und zwar von strengster Observanz.

Aber was haben die Larven mit den Wesen zu tun? Ohne die Hingabe und den untrüglichen Enthusiasmus des modernen Juden wäre es um das Kunstverstehen und -empfangen der letzten fünfzig Jahre kümmerlich bestellt gewesen. Das hat schon Nietzsche immer wieder betont, dem die Antisemiterei, wie er es nennt, Greuel und Schrecknis war, mehr noch, Beleidigung. Juden waren bereit; Juden hatten das Ohr, das lauschte, das Auge, das sichtete; sie waren befähigt, das Geheimnis zu entdecken, das Wunderbare zu fassen, das Unerkannte zu erkennen. Ihr tätiger Enthusiasmus zwang oft genug den öffentlichen Geist zum Aufmerken, und ich kannte solche, bei denen dann alles Ergriffenheit war, als seien sie bis zur Stunde, die sie zu der beglückenden Sendung erwählt, leeres Gefäß gewesen und könnten nun den neuen Inhalt kaum tragen und ertragen.

Frauen insbesondere fand ich so. Jüdische Frauen und Mädchen sind der edelste und verheißendste Teil des Judentums; in ihren reinen Bildungen unvergleichlich. Manche sind fördernd, einige rettend in meinen Bezirk getreten, die ersten Bestätigerinnen, die ersten, die nagenden Zweifel stillten, dem Ruf antworteten, die Gestalt grüßten, die innere Welt sozusagen agnoszierten.

Mir ist die gegenwärtig, die nach der Veröffentlichung der „Juden von Zirndorf“ zu mir kam, als Fremde, mit beflügelter Eile, als hätte sie dringende Botschaft auszurichten, Botschaft gleichsam von vielen Ungenannten. Sie bewirkte, daß die Ungenannten auf einmal freudig meine Einsamkeit bevölkerten, und daß das phantastische Unglaubwürdige, als welches jedes Werk, dem der es macht, erscheint, Bestand und Gültigkeit gewann. Es handelt sich dabei nicht um Zustimmung und Bejahung, gewiss nicht um Beifall und Bewunderung, sondern schlechthin um die Lebensprobe. Die wird entschieden durch solche Botinnen. Ich konnte ihr später schwer genugtun; sie war eigensinnig anspruchsvoll für mich, wollte immer das ausnahmshaft Letzte, verglich, prüfte, wog, stellte Muster vor mich hin und sagte sich vom Misslungenen zornig los. Überdies muss ich lächeln, wenn ich denke, daß gerade sie erstaunlich blond und blauäugig war.

Dann sehe ich das Bild einer andern, sehr Beschwingten; von unendlicher geistiger Anmut, genialem Witz. Die Figur einer Dichtung war ihr so wirklich, daß sie mit ihr hadern, an ihr kranken konnte; beängstigend ihr forderndes, glühendes Mitsein in einer Sphäre, die den meisten nur ein bemalter Vorhang ist. Da fühlt man sich dann wörtlich genommen; verstanden wäre ein ausgelaugter Begriff, denn es ereignet sich eine sichtbare Wandlung, das Seltenste.

Wieder andere konnten sich geradezu ihres Schicksals entäußern. Dabei ist Verzicht, ja Askese; sinnliche Verkettung allein treibt so weit nicht, das Bild allein nicht. Ohne Zweifel ist eine Seelen- und Blutverfassung im Spiel, die den westlichen Rassen nicht eigen ist, eine mediumistische Fähigkeit, bereichert und erhöht durch den Willen zur Wahl und erst nach vollzogener Wahl sich hinzugeben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mein Weg als Deutscher und Jude