Kapitel 13 - Als ich im Alter von dreiundzwanzig Jahren die „Juden von Zirndorf“ schrieb, ...

Kapitel 13 - Als ich im Alter von dreiundzwanzig Jahren die „Juden von Zirndorf“ schrieb, griff ich einerseits zurück in Urbestände, Ahnenbestände, in Mythos und Legende eines Volkes, als dessen Sprössling ich mich zu betrachten hatte, und wollte andrerseits auch das gegenwärtige, das werdende Leben dieses Volkes in einem mythischen, sehr vereinfachten, sehr zusammenfassenden Sinn gestalten. Realen Boden für beides gab mir die Landschaft, die mich hervorgebracht, die fränkische Heimat.

Ich schrieb das Buch ohne wissentliche Überlegung, wie man einen Traum erzählt oder wie unter einem befehlenden Diktat. Wenn mir einer gesagt hätte: das ist der bare Unsinn, was du da machst, wäre ich vielleicht erschrocken, aber eigentlich überrascht hätte es mich nicht. Es entstand auf Wegen der Flucht, in Tirol, am Bodensee, in Eichstätt, dann wieder in einem tristen, entlegenen Münchener Atelier mit einer Katze als einziger Genossin; das Manuskript trug ich in kleinen Zetteln voll winziger Zeilen beständig in der Brusttasche. Die äußere Lage war die misslichste; zur gewohnten materiellen Not kam noch eine des Herzens; ich war abenteuerlich verstrickt und Verfolgungen ausgesetzt, wie sie sonst nur in Zehnpfennigromanen geschildert werden. Dicht vor den Schluss gediehen, blieb das Buch monatelang liegen; erst in einer Fieberkrankheit, in verzweifeltem Wunsch nach einem Ende in jeder Beziehung warf ich die letzten Kapitel hin.


Es war Aussprache, Bekenntnis, Befreiung von einem Alp, der meine Jugend zermalmt hatte. Für viele in Verwandlung Begriffene war es Mitbefreiung, und sie fühlten sich bestätigt. Ich trat von Anfang an mit offenem Visier auf, das gewann mir Unentschiedene und Mutlose; manche wandten sich mir begehrlich fordernd zu, umsturzlüstern und gaben sich als Jünger, doch konnte ich ihre Erwartungen nicht erfüllen, da ich nicht im Geleise blieb, das sie mir vorgezeichnet hatten. Andere lästerten; ich galt ihnen als Abtrünniger, sie liebten in diesem Bezug keinerlei Öffentlichkeit des Verfahrens und fanden jede Politik außer der des Schweigens töricht und schädlich. Die deutsche Welt verhielt sich gleichgültig oder ablehnend bis auf einige unbürgerliche Gruppen, die für die Dichtung als solche und ihre Gestalten empfänglich waren; im allgemeinen begnügte man sich damit, das Buch einzuordnen und es im Museum der Literatur einstweilen bestehen zu lassen. Den Aufsichtsbeamten der Kunst und des Geschmacks war ich ein Greuel.

Dass der eingeschlagene Weg in Wildnis führte, erkannte ich selbst. Die Frage: wie willst du zu den Unempfindlichen dringen, die Widerstrebenden erobern, wie willst du ihre Welt zu deiner machen und deine zu ihrer? wurde zunächst eine Frage der Zucht und eine Frage der Form. Ein Künstler ist nichts, wenn sein Werk nicht in den Seelen der Menschen lebendig aufersteht; damit dies geschehe, muss es eine Seele haben, aber auch einen Körper. Gefühl und Wort, Leidenschaft und Gedanke allein erzeugen keinen Körper. Es schien mir von alles überragender Wichtigkeit, Hingabe mit Bemeisterung zu verschmelzen, und es begann ein jahrelanges schweres Ringen, Versuch um Versuch, Entwurf um Entwurf, Studie um Studie. Vom aufgelockert Traumhaften geriet ich ins Starre; vom Gesetzlosen in vorgesetzte Konstruktion, vom Schwärmerischen in Trockenheit, vom Bodenlosen ins Flache. Die nächsten Freunde missverstanden mich; ich konnte mich ihnen auch nicht erklären, denn über dem eigentlichen Ziel war Dunkelheit; ich sah nur immer, daß das Einzelne, Fertige falsch war. Ich glaubte keinem Beifall, hielt mich an keine Wegweisung, keine Schule, ließ mich an kein Geleistetes binden und verzweifelte zwischen den Stationen am Gelingen. Es ist außerordentlich schwer, von der Natur dieses Kampfes einen klaren Begriff zu geben. Einerseits handelte es sich um Selbstbefreiung, Selbstgewinnung, um Läuterung und Erhöhung, also um sittliche Ziele, andrerseits um Maß, Gestalt, Distanz, also um Ziele des Geistes und der Kunst. Ich rang um meine eigene Seele und um die Seele der deutschen Welt. In mir selbst konnte ich immer wieder Quellen und Reserven finden; die deutsche Welt aber gab sich nicht; ich konnte sie nur umlauern, umwachen, beschwören; ich mußte darauf dringen, daß sie sich mir stelle, ich mußte sie von Leistung zu Leistung von mir und meiner Sache überzeugen, ich mußte die glühendste Überredung, die äußerste Anstrengung aufwenden, wo andere sich mit einem „seht her“ begnügen durften. Sie glaubte mir nicht; ich hatte mich ihr zu früh dekuvriert; vom einzelnen ließ sie sich, gleichsam aus Gnade, aus Nachsicht, oder weil sie sich nicht mehr zu wehren vermochte, günstig stimmen; doch verlor sie alsbald den Folgegang, und mit jedem neuen einzelnen sah ich mich von derselben Notwendigkeit wie mit dem vorherigen, ein Sisyphusbeginnen, das jedesmal meine Kraft bis zur Neige erschöpfte. Andere hatten laufenden Kredit. Sie konnten gelegentlich auf den Kredit hin lässig werden; ich mußte mich stets wieder legitimieren, stets mit meinem ganzen Vermögen einstehen wie einer, dem es nicht erlaubt ist, sässig zu sein und auf erworbenem Grund zu ackern und zu ernten.

Außenstehende wussten davon nichts; Nahestehende wunderten sich und begriffen nicht die Qual; ich schien ihnen bisweilen ein von unbefriedigtem Ehrgeiz Verzehrter, einer, der sich über seine Fähigkeiten spannt; sie meinten, ich dürfte mit dem Erreichten zufrieden sein, wiesen auf Untergeordnetes hin, Markterfolg, literarische Geltung; daß man genannt, gelesen, umstritten wurde, war ihnen etwas; sie sahen, hörten, fühlten nicht; ich konnte ihnen nicht begreiflich machen, woran ich litt; es war alles so fein, so zart, so schwebend, so fieberhaft labil und doch von so unermesslicher Tragweite; ich handelte und schuf wohl als Individuum, aber in der Tiefe des Bewusstseins und Gefühls eng verkettet mit einer Gemeinschaft, die sich abgelöst hatte und mit einer andern, die ich erobern wollte, erwerben sollte. Ich stand auf der Scheide; bisweilen erschien ich mir wie ein Prätendent ohne Anhänger, ohne Beglaubigung; ein Johann ohne Land; mir war, wie wenn der Boden unter jedem Schritt wiche, der Lunge die Luft entsaugt würde; dazu das brodelnde Gewühl einer noch unerlösten Gestalten- und Bilderwelt in mir und nie weichende Sorge um die Existenz.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mein Weg als Deutscher und Jude